Dort, wo es früher Austausch und Diskurs gab, etabliert heute die politische Linke ein Klima von Ausgrenzung und Stigmatisierung – auch bekannt als Cancel Culture, die sich zu einem systematischen Etikettieren von Andersdenkenden entwickelt.

Mein politisches Ich würde lügen, würde es behaupten, im Jahr 2021 noch ausgesprochen gerne mit politischen Mitbewerbern zu diskutieren. Nicht, weil ich mich den Argumenten meiner Diskussionspartner entziehen will, sondern vielmehr aus einer Sorge heraus, welche Auswirkungen meine Ansichten und Äußerungen haben werden. Denn das, was wir in Deutschland seit einigen Jahren erleben, ist nichts anderes als die schrittweise Zerstörung dessen, was früher einmal Diskurs genannt wurde.

Um es direkt zu Beginn dieses Meinungstextes klarzustellen: Wir haben Meinungsfreiheit und in diesem wunderbaren Land darf jeder das äußern, wonach ihm der Sinn steht. Trotz alledem gibt es nicht wenige Entwicklungen, die den Meinungspluralismus gefährden. Hier sind wir beim eigentlichen Thema – der sog. Cancel Culture. Aber womit haben wir es hier zutun? Ich versuche mich in einer kleinen Beschreibung:

Als Cancel Culture wird eine Ausgrenzung oder der Boykott von Menschen und Institutionen bezeichnet, auf Grundlage vermeintlich »falscher Ansichten« zu bestimmten Themen, die Teil der öffentlichen Debatte sind.  

Wir haben es also mit der Ausgrenzung von Menschen zutun, indem sie von ihrem freien Rederecht Gebrauch machen und als Reaktion darauf von einer erhabenen Gruppe, teils linker Moralpolizisten, mundtot gemacht werden sollen.

Zufall? Haben wir es mit einer einfachen Fehlentwicklung zutun, die sich nach einiger Zeit wieder ins Positive umkehren wird? Mitnichten. Denn wir erleben es tagtäglich im öffentlichen und digitalen Raum, ob an Universitäten oder im Internet: Ein tollwütiger Mob an Moralaposteln zieht von Person zu Person, von Account zu Account, um all jene zu diskreditieren, die sich dem linksgrünen Zeitgeist widersetzen wollen. Niemand kann behaupten dieses Kalkül nicht hätte kommen sehen können.

Annähernd zwei Drittel der Bürger sind überzeugt, man müsse heute „sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich wie äußert“, denn es gäbe viele ungeschriebene Gesetze, welche Meinungen akzeptabel und zulässig sind.

Hier ein kurzer Auszug aus einem FAZ-Artikel, der über die Meinungsfreiheit in diesem Land berichten will und sich einer Allensbach-Umfrage bedient. Diese Umfrage – oft in Funk und Fernsehen zitiert und von Linken relativiert – markiert ein erstes Indiz dafür, wie es gegenwärtig zu einer modernen, neuen Form der Meinungseinschränkung kommen konnte. Man muss sich das nur einmal auf der Zunge zergehen lassen: Zwei Drittel der Bürger fürchten Repressionen, wenn sie gewisse Themen im öffentlichen Raum ansprechen. Viele andere aus meinem politischen Spektrum und mich eingeschlossen wundern diese Zahlen nicht – Wieso?


»Etikettierung«

Ganz einfach: Die politische Linke setzt bei ihrer Themenfindung auf Absolutismus und auf die Vorstellung über alles und jeden erhaben zu sein. Angefangen beim Thema Klima- und Energiepolitik, bis hin zu inneren Sicherheit und Migration – ist man nicht auf Linie, ist man raus.

Sie sind für: Einen widerstandsfähigen Rechtsstaat, eine starke Polizei? Oder ein allgemein-gültiges Einwanderungsgesetz? Kernenergie? Wirtschaftliche Innovation, um den Klimawandel einzudämmen? Dann kann ich an dieser Stelle nur gratulieren, denn von nun an tragen Sie im linken Spektrum den Titel »Nazi, Klimasünder, Dreckskapitalist«, zumindest aber mal sind Sie ein »Boomer«, unabhängig vom Alter. Diese Bezeichnungen weisen auf ein Konzept der Cancel Culture hin. Das systematische Etikettieren und Labeln von Menschen, die zu gewissen Themen einen anderen Zugang haben. Das Ziel ist es, ohne jeden Gedanken- oder Meinungsaustausch von vornherein ein großes »ACHTUNG! HIER FALSCHE MEINUNG« auf ihre Stirn einzumeißeln. Denn wozu miteinander reden, wenn das kollektive Schweigen und Verächtlich machen viel einfacher ist?

Wir erleben auch extreme Formen von Ausgrenzung im Diskurs, wöchentlich. Ganz gleich, ob Benedikt Brechtken, der sich als bekannter (Twitter-)FDPler dem Hass einer Jan Böhmermann-Kolonie ausgesetzt sah, oder Zara Riffler, die für Tichys Einblick schreibt und im privaten Leben, ob beruflich oder an ihrer Universität, versucht wird auszugrenzen. Ich könnte hier unzählige Beispiele anhängen und diese Liste fortführen. Es macht bloß keinen Sinn solchen Menschen, die nicht davor zurückschrecken bis ins tiefste Innere des eigenen privaten Lebens vorzudringen (Herausgabe von Adressdaten, Kontaktierung der eigenen Eltern), eine Bühne zu bieten.


»Willkommene Entwicklung«

Den vorausgegangenen Zeilen sollte entnehmbar sein, weshalb ich glaube, dass die Cancel Culture für Linke ein wichtiges Instrument für Wahlkampf und außerparteilichen Wettstreit ist. Dies ist eine gewollte, kalkulierte Entwicklung innerhalb des linken Spektrums. Denn eines muss klar sein: Grünlinke Ideen werden im »Superwahljahr 2021« eine übergeordnete Rolle spielen. Annalena Baerbock und Robert Habeck wollen mit ihrer Partei ins Kanzleramt. Schon frühzeitig wird auf Twitter und anderen Social Media-Plattformen mobil gemacht, gegen die CDU, gegen die FDP oder allgemein das bürgerliche Lager. Es wird von »#NieMehrCDU« und »#MenschenGegenMerz« gesprochen, Blockierungsorgien gestartet (Jan B. kennt sich hier besonders gut aus) oder Menschen aus der Mitte mit ein paar Klicks und Worten das Label »rechts« verpasst (die politische Linke meint hier radikale und extreme Formen, kann aber einfach nicht differenziert an den Begriff »rechts« herangehen) und weggecancelt. Worauf wir Bürgerliche uns gefasst machen müssen, lässt uns der linke Youtuber »Rezo« in seinem »Zerstörungsvideo« gegen die CDU vermuten, er sagt:

Es geht hier nicht um verschiedene legitime politische Meinungen. Sondern es gibt nur eine legitime Einstellung.

Dieser Satz ist so unfassbar, dass man ihn gleich mehrmals lesen muss. Ich muss nicht mehr viel darüber schreiben, über den Blödsinn, der hinter dieser Aussage steckt, das haben bereits andere zu genüge getan.

Es lässt nur sehr tief in ein Welt- und Menschenbild blicken, das umtrieben ist von der Unfähigkeit und dem Unwillen andere Meinungen anzuhören und zu respektieren.


Wofür wir streiten

Deshalb finde ich es umso wichtiger, dass gerade wir Konservative und Liberale für unsere Ideale einstehen, weitermachen und nicht den Mund verschließen. Ja, auch ich merke die Auswirkungen öffentlicher Stigmatisierung, aber es muss unter allen Umständen weitergehen. Dieses Land liegt uns zu sehr am Herzen als dass wir es linken Sozialismus-Träumern und »Nie wieder Deutschland«-Brüllern überlassen.

Nichtsdestotrotz sollten wir auch in unsere eigenen Reihen schauen und kritisch mit uns ins Gericht gehen. Wo wird innerhalb der Union gecancelt? Welche Themen sind unliebsam? Die Wahl zum Parteivorsitzenden der CDU hat einmal mehr gezeigt: Das konservative Lager darf nicht länger »rechts liegen gelassen« werden. Wir dürfen uns in diesem Jahr von Linken und Grünen nicht vor den Karren spannen lassen und wir müssen für unsere Wertvorstellungen eintreten.

Foto von Christian Wiediger / Unsplash