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Meine Bücher mit persönlicher Widmung

Anmerkung:
Vieles, was Dr. Schwurbling in dieser Geschichte sagt, sind (fast) 1:1 Kommentare, die ich im Laufe der Zeit als Reaktionen auf meine Tweets und Artikel über Pseudomedizin erhalten habe. Die meisten davon von Ärzt*innen und Apotheker*innen.
Es ist ein schöner sonniger Tag. Die Vögel zwitschern und ein Mann steht in seiner Apotheke und wartet direkt vor einem dieser neumodischen Computer auf Kundschaft. Er ist etwa 60 Jahre alt und trägt lange, zu einem Zopf gebundene Haare. Sein weißer Kittel lässt ihn durchaus seriös wirken. Dieser Mann ist Apotheker, aber dieser Mann bin nicht ich. Denn das ist nicht meine Geschichte, sondern seine.
Gerade als dieser Mann sich in den hinteren Teil der Apotheke begeben wollte, um dort nach dem Rechten zu sehen, öffnet sich die Automatiktür, die seine kleine Welt von der Außenwelt abschottet.
Herein spaziert kommt eine junge Frau, die vermutlich nicht viel älter als 20 Jahre sein dürfte. Hinter ihr folgt ein etwa 30 Jahre alter Mann. Augenscheinlich haben die beiden nichts miteinander zu tun. Das einzige was sie verbindet, ist, dass sie beide eine FFP2-Maske tragen. Der Mann hinter dem HV-Tisch trägt jedoch keine. Nicht einmal die obligatorische Plexiglasscheibe ist in dieser Apotheke zu finden.
Unser Apotheker kennt die junge Frau, er hat schon ihre Mutter mit Ratschlägen zur Seite gestanden. Den anderen Mann Mann, den kennt er nicht.
„Guten Tag, Dr. Schwurbling”, begrüßt ihn die junge Frau.
„Frau Müller, schön Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen denn?”
„Ehrlich gesagt, nicht so gut. Ich renne gerade von einem Arzt zum anderen. Jeder schickt mich von Pontius zu Pilates, und …”
„Pilatus!”
„Wie bitte?”
„Der Mann hieß Pontius Pilatus.” Der Mann, der mit Frau Müller die Apotheke betrat, steht in zwei Meter Abstand hinter ihr. Diskretionsabstand. Nicht mehr selbstverständlich heutzutage. Seine Augen wandern durch die Apotheke, aber seine Ohren sind auf das Gespräch gerichtet.
„Öhm, okay. Jedenfalls kann mir keiner helfen.”
„Was fehlt Ihnen denn?”
„Wenn ich das nur wüsste! Ich hatte Ende Juni Corona. Zwei Jahre blieb ich verschont und dann meinte unsere tolle Regierung, dass wir alle keine Masken mehr bräuchten und, na ja, dann hat mich wohl jemand infiziert. Jetzt bin ich ziemlich kurzatmig und muss viele Pausen einlegen. Die Ärzte haben es schon mit Salbutamol und Cortison probiert. Nichts hat so richtig geholfen.”
„Natürlich sind Sie kurzatmig, Sie haben ja auch diesen Lappen im Gesicht”, erwidert Dr. Schwurbling aufbrausend, wodurch sich Frau Müller ein wenig eingeschüchtert fühlt. „Aber passen Sie auf, ich habe da genau das Richtige für Sie.” Frau Müllers Blick drückt eine gewisse Skepsis aus. „Das hier sind verschiedenfarbige Traubenzucker-Bonbons.” Er hält ein großes Glas mit einer bunten Auswahl davon in die Luft. „Jede Farbe hat eine andere Wirkung.”
„Aber das sind doch stinknormale Traubenzucker-Bonbons!”
„Junge Frau, als sie damals auf den Markt kamen, waren sie das tatsächlich. Aber ich, Dr. Schwurbling, fand hier in meiner kleinen Apotheke heraus, dass sie weit mehr als nur eine Süßigkeit sind. Schauen Sie …” Dr. Schwurbling greift einmal in das große Glas und zieht ein paar davon heraus. „Die roten hier werden für Erkrankungen des Blutes eingesetzt. Die blauen bei Hämatomen. Die braunen bei Problemen mit der Verdauung. Die gelben bei Depressionen, denn sie bringen die Sonne in das Leben zurück. Sie verstehen?” Frau Müller nickt zwar, aber die Skepsis ist ihr noch immer ins Gesicht geschrieben.
„Okay und welche bräuchte ich?”
„Na, selbstverständlich die grünen! Diese werden für Erkrankungen der Lunge eingesetzt. Die grüne Lunge, Sie verstehen!”
„Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass …”
„Hören Sie, vor zwanzig Jahren hatte ich einen schlimme Verstopfung und nachdem ich mehrere der braunen Traubenzucker-Bonbons zu mir nahm, wurde meine Verdauung schlussendlich wieder angeregt. Seit dem empfehle ich das meinen Kunden und was soll ich sagen, sie sind äußerst zufrieden. Nach und nach entdeckte ich die verborgenen Fähigkeiten der anderen Farben. Ich benannte die Methode nach dem Erfinder: „Dr. Schwurblings Traubenzucker Therapie”.
„Und wie sollen die angeblich funktionieren?”
„Die Dextrose landet schnell im Blut und zieht dabei die Aromastoffe mit sich, die dann dort ihre Wirkung entfalten können. Sie regen den Körper sozusagen an, mit der Krankheit von alleine fertig zu werden. Wie genau das funktioniert, ist noch nicht geklärt. Aber aber eines Tages wird man das herausfinden. Davon bin ich überzeugt!”
„Seien Sie mir nicht böse, Dr. Schwurbling, aber, äh, ich mag keinen Traubenzucker.”
„Dann darf ich Ihnen etwas anderes zeigen.” Dr. Schwurbling zieht etwas aus seiner Tasche, das wie ein Magnet aussieht. Weil es ein Magnet ist.
„Das ist der sogenannte Dr. Schwurblings Krankheitsmagnet.”
„Okay. Und wie soll der funktionieren?”
„Schauen Sie, eine Krankheit manifestiert sich im Körper durch verstimmte magnetische Felder. Die müssen wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Entweder schafft der Körper das von alleine, mit Hilfe des Traubenzuckers oder Dr. Schwurblings Krankheitsmagnet erledigt das. Er zieht die Krankheit aus dem Körper und bringt die magnetischen Felder dadurch wieder ins Gleichgewicht. Man ist wieder geheilt.”
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich mich einmische”, meldet sich der Mann hinter Frau Müller nun zu Wort. „Aber was reden Sie denn da für einen Unsinn?”
„Ich darf doch wohl sehr bitten! Ich bin promovierter Apotheker und habe diese Methoden seit vielen Jahren sorgfältig erforscht. Mit beiden Methoden habe ich gute Ergebnisse erzielt!”
„Ich kenne mich auch ein wenig mit Medizin aus, ich bin Arzt! Das was da gewirkt hat, falls überhaupt, war höchstens der Placeboeffekt!”
„Der Placeboeffekt? Pah! Dass ich nicht lache. Damit will uns die Schulmedizin doch nur mundtot machen. Die mögen die Alternativmedizin nicht.”
„Mit Verlaub, aber es gibt weder die Schulmedizin noch gibt es die Alternativmedizin. Wenn es wirkt, ist es Medizin und wenn es nicht wirkt, ist es auch keine Alternative, sondern Pseudomedizin!”
„Meine beiden Therapien heilen die Menschen, die mit den konventionellen Methoden keine Erfolge erzielen konnten!”
„Aber Sie heilen gar nichts! Entweder wird die Krankheit von selbst besser oder es handelt sich um den Placeboeffekt! Ganz bestimmt liegt das nicht am Traubenzucker und schon gar nicht am Magneten!”
„Ich bin tatsächlich immer wieder darüber erstaunt, wie engstirnig manche Leute sein können! Und selbst wenn es, wie Sie behaupten, nur der Placeboeffekt wäre, heile ich immerhin ohne anderweitigen Schaden anzurichten! Wer heilt hat Recht!”
„Was ist mit den Menschen, die sich nicht richtig behandeln lassen, weil sie lieber auf Hokuspokus setzen? Es kommt immer wieder vor, dass Menschen hätten gerettet werden können, aber lieber auf Scharlatane vertrauten! Oder was ist mit den Kindern, die unnötig leiden müssen, weil ihre Eltern eine Mittelohrentzündung lieber mit Homöopathie heilen wollen, als mit richtiger Medizin. Das ist unverantwortlich!”
„Meine Methoden funktionieren 100 prozentig! Meine Kunden sind äußerst zufrieden! Zum Beispiel habe auch ich persönlich sehr gute Erfahrungen mit dem grünen Traubenzucker bei Erkältungen machen können!”
„Eine Erkältung ist selbstlimitierend, aber Sie tun so, als wäre Ihr Traubenzucker dafür verantwortlich!”
„Vielleicht wäre es mal an der Zeit, Ihren Horizont etwas zu erweitern! Probieren Sie meine Traubenzucker aus, probieren Sie den Krankheitsmagneten aus und sie werden restlos überzeugt sein!”
„Sie haben aber schon verstanden, was der Placeboeffekt ist?”
„Das ist doch alles sekundär, hauptsache den Patienten geht es nach der Behandlung besser!”
„Nun hören Sie mal, Sie verkaufen Placebos und tun so, als wäre das wirksame Medizin. Das ist ethisch äußerst fragwürdig, um das mal vorsichtig auszudrücken!”
„Nur weil Ihre Wissenschaft noch nicht so weit ist, das erklären zu können, …”
„In solchen Fällen braucht man noch nicht mal Studien, weil die Theorien dahinter so absurd sind.”
„Ähm, ich bin dann mal weg”, meldet sich Frau Müller zu Wort und flüchtet Hals über Kopf aus der Apotheke.
„Na, vielen Dank, dass Sie mir eine Kundin vergrault haben mit Ihrer Engstirnigkeit.”
„Das haben Sie schon selbst zu verantworten. Das ist Betrug, was Sie hier machen!”
„Ich verbitte mir diesen Ton! Die Menschen sollten nicht immer alles unreflektiert als Betrug abtun, nur, weil sie es nicht verstehen! Betrüge ich einen Patienten, wenn ich ihn von seiner Krankheit befreie, sei es nun aufgrund des Placeboeffekts oder durch Wissenschaft?”
„Sie bereichern sich mit Ihren Lügen, halten Sie das etwa für in Ordnung?”
„Ich heile diese Menschen! Wie gesagt, nur, weil man die exakten Mechanismen dahinter noch nicht versteht oder gar nachweisen kann, ist es noch lange keine Lüge! Die Natur kann heilen und Traubenzucker ist letztendlich Natur!”
„Mein Gott, Sie behaupten mit einem Magneten Krankheiten aus dem Körper zu ziehen und mit Traubenzucker Krankheiten zu heilen. Jede Geschmacksrichtung soll angeblich eine andere Krankheit heilen! Das. Ist. Absoluter. Blödsinn!”
Ohne Ihre Intervention hätte ich die junge Dame heilen können! Angenommen meine Therapie hätte tatsächlich nur einen Placeboeffekt, was natürlich nicht der Fall ist, aber mal angenommen, dann haben Sie ihr diesen Effekt genommen! Hätte sie denn gleich den harten Drogencocktail einnehmen sollen?”
„Wir drehen uns im Kreis!”
„Mein Doktorvater, Gott habe ihn selig, sagte immer ‚Wer den Placeboeffekt nicht nutzt, hat seinen Beruf verfehlt!‘”
„Es spricht doch überhaupt nichts gegen den Placeboeffekt. Der ist immerhin erwiesen. Nur, wenn Sie etwas verkaufen, das nur einen Placeboeffekt hat, Sie aber behaupten, dass es besser als Placebo wirkt, dann ist das Betrug. Das ist noch nicht mal eine Diskussion wert! Und alleine die Behauptungen, die Sie aufgestellt haben, wie Ihre beiden Methoden wirken sollen, sind so absurd, dass man noch nicht mal eine Studie bräuchte, um das zu widerlegen!”
„Bitte verlassen Sie sofort meine Apotheke!”
Wer diese kleine Geschichte gelesen hat und meint, dass es weder eine Therapie mit Traubenzucker gibt, die aufgrund verschiedener Farben verschiedene Krankheiten heilen kann, noch einen Krankheitsmagneten, der Krankheiten einfach aus dem Körper ziehen kann, liegt richtig.
Die Frage ist: Warum eigentlich nicht?
Da keine Studien dazu gemacht wurden, kann man ja auch nicht einfach behaupten, dass diese Methoden nicht funktionieren würden.
Und selbst wenn es die Studien tatsächlich geben würde und man herausgefunden hätte, dass die beiden Therapien nicht besser als ein Placebo wirkten, so haben sie immerhin einen Placeboeffekt. Wer heilt hat recht. Nicht wahr?
Aber mal im Ernst, klingt es wirklich absurder zu behaupten, dass ein Krankheitsmagnet Krankheiten aus dem Körper ziehen kann, als zu behaupten, dass jeder Krankheit eine seelische Gleichgewichtsstörung zugrunde liegt, deren Ursache in einem Konflikt zwischen der unsterblichen Seele und der Persönlichkeit liegt, so wie es Edward Bach tat?
Findet es niemand absurd, dass Bach den disharmonischen Seelenzuständen der menschlichen Natur, die er selbst beschrieb, einfach irgendwelche Blüten zuordnete, nur indem er seine Hand darüber hielt und dann die auswählte, die angeblich den disharmonischen Seelenzustand, unter dem er gerade litt, verbesserte?
Ist eine Theorie, die behauptet, dass ihre Mittelchen besser wirkten, je verdünnter sie sind und am besten, wenn nichts mehr vom Ausgangsstoff enthalten ist, weniger absurd als die Traubenzucker-Therapie von Dr. Schwurbling?
Und was ist mit einer Theorie, wie die der anthroposophischen Medizin? Die möchte immerhin „das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen (...)” und behauptet, man sei krank, wenn eine Disharmonie der vier Wesensglieder, also des physischen Leibs, des Ätherleibs, des Astralleibs und des Ichs, vorliegen würde. Heilen soll man eine Krankheit dann, indem man die Wesensglieder zum Beispiel mit Arzneisubstanzen wieder in Einklang bringt.
Aber natürlich keine normalen, wirksamen Arzneisubstanzen, sondern welche, die laut den Anthroposophen wie in der Homöopathie potenziert werden.
Bei ihnen wird die „Arzneisubstanz” aber nicht nur stufenweise verdünnt. Nein, die Anthroposophen möchte durch rhythmische, intensive Bewegungen die Kräfte aus der jeweiligen Substanz freisetzen und sie so in der Flüssigkeit auffangen.
Jede dieser Theorien ist absolut absurd. Jede dieser Theorien widerspricht den Naturgesetzen. Jeder Fachmann, jede Fachfrau sollte das - auch ohne Studien - erkennen können. Im Grunde sollte es sogar jeder - auch ohne Studium - erkennen können.
Die Frage ist, warum gibt es Ärzte und Apotheker, die trotz dieser Theorien, daran festhalten?
Wollen sie nicht erkennen, dass da nichts über den Placeboeffekt hinaus wirken kann, weil sie sonst finanzielle Einbußen hätten? Oder eher, weil sie sich nicht eingestehen wollen, dass sie ihr ganzes Leben auf falschen Tatsachen aufgebaut haben? Oder verstehen sie einfach nur nicht, was der Placeboeffekt ist?
Den ein oder anderen Leser wird es nicht überraschen, aber nicht jede dieser Theorien gibt es auch tatsächlich in der Realität. Zwei davon waren nur ausgedacht. Der Vollständigkeit halber: die mit dem Traubenzucker und die mit dem Magneten.
Und, wenn wir mal ehrlich sind, waren das noch nicht mal die beiden absurdesten Theorien. Aber das Beste daran ist, würde man sie tatsächlich anwenden, würde man damit die gleichen Erfolge erzielen, wie mit der Homöopathie, den Schüßler-Salzen, der anthroposophischen Medizin und den Bach-Blüten. Und solange das keiner über Jahre hinweg ausprobiert, um mich zu widerlegen, kann auch niemand etwas anderes behaupten. Ist das nicht toll?
Aber im Ernst, es ist eine Sache, mit dem Placeboeffekt einen Haufen Geld zu verdienen, aber eine andere, seinen Verstand auszuschalten und zu glauben, dass irgendeine dieser absurden Theorien auch nur ansatzweise mehr leisten kann, als der Placeboeffekt.
Dimidium facti, qui coepit, habet. Sapere aude: incipe! - Horaz

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