Wachstumskritik hat angesichts der ökologischen Frage Hochkonjunktur. Die Konzeption eines Wirtschaftssystems ohne Wachstum findet fortwährend Zuspruch in der Klimadebatte, entpuppt sich allerdings bei genauerer Betrachtung als wirklichkeitsfremd und schadet dem Klimaschutz möglicherweise mehr, als dass sie nützt. Dennoch ist die Beschäftigung mit den Grenzen des Wachstums förderlich, da sie die blinden Flecken einer Green Economy aufzeigt.

Der im April erschienene dritte Teil des Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC enthielt eine kleine Sensation: Erstmalig wurde Degrowth, also die Abkehr vom Wirtschaftswachstum, als eine realistische polit-ökonomische Maßnahme zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5° C diskutiert.[1]

Dieser Tabubruch belebte die Debatte um das Wirtschaftswachstum wieder und erinnert an die ihrer Zeit so revolutionäre wie polarisierende Studie des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums im Jahre 1972, in der infolge des steigenden Bevölkerungswachstums und dem damit einhergehendem Rohstoffverbrauch eine globale Katastrophe prognostiziert wurde. Die Wurzeln der Debatte um eine nur auf Wachstum ausgerichtete Welt gehen lange zurück und durch das verschärfte umweltpolitische Bewusstsein der heutigen Zeit ist die Anzahl jener, die auf Grundlage der planetarischen Grenzen für eine neue Wirtschaftsordnung plädieren, größer denn je.

Insofern etablierte sich auch in der Volkswirtschaftslehre und Soziologie die Idee einer Postwachstumsökonomie; einem Wirtschaftssystem, das ohne Wachstum auskommt und so den ökologischen Kollaps zumindest abzudämpfen versucht. In Anbetracht des historisch engen Kausalzusammenhangs zwischen Wirtschafswachstum und Energie- und Rohstoffverbrauch liegt es zunächst nahe, sich von hohen Wachstumsraten zu verabschieden. Auch in der sogenannten IPAT-Gleichung wird dieses Verhältnis deutlich: Die Umweltwirkung des Menschen (I) errechnet sich aus den drei Faktoren Bevölkerungsgröße (P), Wohlstand (A) und Technologie (T).

Impact = Population x Affluence x Technology

Verringert sich einer dieser Faktoren, nimmt auch die anthropogene Umweltbelastung ab. Neben der ethisch fragwürdigen Einflussnahme auf die Bevölkerungsentwicklung und der Ungewissheit bezüglich zukünftiger technischer Effizienzsteigerung gilt daher vorwiegend die Verringerung des Wohlstandsniveaus als vielversprechend. Dabei handelt es sich allerdings um einen Fehlschluss – eingebettet in die richtigen Rahmenbedingungen kann Wachstum mehr zu einer nachhaltigen Entwicklung und Emissionsminderung beitragen als sein populärer Antagonist.

Ideengeschichte der Postwachstumstheorie

Die kritische Beschäftigung mit Wachstum und Ressourcenverbrauch ist kein Kind des 20. Jahrhunderts. Bereits 1713 legte der Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz eine Abhandlung über wirtschaftlichen Waldbau vor, in der erstmals die nachhaltige Nutzung knapper Ressourcen thematisiert wurde. Aufgrund der damaligen Holzknappheit wurden weniger Wälder gerodet und man begann damit, Holz nachhaltiger zu nutzen. Carlowitz schlug also vor, nur so viel Wald zu schlagen, wie auch wieder nachwächst, und säte damit das Fundament heutiger Subsistenzstrategien.

85 Jahre später beteiligte sich auch der britische Ökonom Thomas Malthus an der frühgeschichtlichen Debatte um die Grenzen des Wachstums: Er beobachtete, dass die landwirtschaftliche Produktion langsamer wächst als die Bevölkerung und prognostizierte daher die „Bevölkerungsfalle“: Für zu viele Menschen stehe zu wenig Nahrung zur Verfügung, weswegen es unweigerlich zu Verteilungskonflikten und letztlich zum Krieg komme.

In den 1960er-Jahren machte auch der renommierte Ökonom Herman Daly weitere Vorschläge zu einer stationären Wirtschaft, indem er argumentierte, dass die Folgeschäden des Wachstums schwerer wiegen würden als die ökonomischen Vorteile, womit er das Konzept einer „steady-state-economy“ prägte.

1972 erschien schließlich der Limits to Growth-Bericht, der eine enorme Strahlkraft hatte und unter anderem dafür sorgte, dass die Postwachstumstheorie allmählich auch die wissenschaftliche Debatte erreichte. Mit der Gründung der akademischen Organisation Research and Degrowth betrat schließlich auch ein institutioneller Akteur die wachstumskritische Bühne, der ab 2008 mobil machte und internationale Degrowth-Konferenzen organisierte, die in den 2010er-Jahren auch in Deutschland ankamen. Heute wird Degrowth vor allem in der ökologischen Ökonomik diskutiert und durch die enorme Öffentlichkeitswirkung durch Umweltorganisationen und weitere soziale Einrichtungen ist Wachstumskritik längst keine Nischenthematik mehr.

Die Entkopplung wird nicht rechtzeitig gelingen

Die zentrale Argumentation, die Degrowth-Anhänger für die Alternativlosigkeit ihres Konzepts formulieren, lautet, dass sie die rechtzeitige technologische Entkopplung von weiterem Wirtschaftswachstum und Treibhausgasbelastung nicht für realistisch halten. Ihrer Ansicht nach kann die absolute Entkopplungsrate nicht in absehbarer Zeit die BIP-Wachstumsrate dauerhaft übertreffen und daher argumentieren sie, dass eine Abkehr vom Wachstum unausweichlich sei. Der Postwachstumsökonom Tim Jackson rechnet vor: Bei einer Weltbevölkerung von zehn Milliarden Menschen, die alle einen westlichen Lebensstandard anstreben, müsste die Kohlenstoffintensität jedes einzelnen Dollars bis 2050 200-mal niedriger sein als heute.

Weiterhin bezweifeln die Wachstumskritiker, dass die Entkopplung – selbst, wenn sie erreicht wird – zu einer umweltschonenden Wirtschaftsweise führen würde, da es infolge der niedrigeren Kohlenstoffbelastung je Einheit BIP zu Rebound-Effekten komme, die den ökologischen Fortschritt wieder zunichtemachen würden und die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre immer weiter ansteigen ließen. Beispielsweise würde das durch eine energetische Sanierung des Eigenheims eingesparte Geld in der Folge für eine Flugreise ausgegeben werden, wodurch es summa summarum trotz Effizienzsteigerungen zu gleichbleibenden oder sogar höheren Treibhausgasemissionen kommen würde, so ihre Prognose.

Die Inszenierung von Treibhausgasbelastung als einziger Auswirkung wirtschaftlichen Wachstums stellt dessen Funktion allerdings vollkommen verkürzt und simplifizierend dar, denn auch aus ökonomischer Sicht ist Wachstum nur so lange sinnvoll, wie es das subjektive Wohlergehen steigert. Schließlich handelt es sich dabei nicht um einen Selbstzweck an sich, sondern um das historisch wirksamste Instrument zur Reduktion extremer Armut: Hatten 1820 noch rund 84% der Menschen weltweit in extremer Armut gelebt, waren es 2015 nur noch 9% (einer sich inzwischen versiebenfachten Weltbevölkerung), die unter dem Existenzminimum von 1,90$/Tag leben.[2]

Das Zeitalter des Industriekapitalismus führte zu einer radikalen Veränderung der Produktionsprozesse, denn dadurch, dass Kapital neben Arbeit zum wichtigsten Produktionsfaktor wurde und Boden zunehmend an Bedeutung verlor, war es nun möglich, von Jahr zu Jahr die Produktion zu erhöhen. Infolgedessen wurde ein enormer Wohlstand geschaffen, der die Durchschnittslöhne stetig wachsen ließ und schließlich zu dem materiellen Wohlstand führte, den wir heute als selbstverständlich betrachten. Dennoch darf auch aus wachstumsfreundlicher Perspektive nicht vernachlässigt werden, dass mit diesen historischen Wachstumsraten auch ein hoher Ressourcen- und Energieverbrauch einher ging.

Insbesondere der Klimakrise möchte die wachstumskritische Bewegung mit ihrem Entwurf eines nachhaltigkeitsorientierten Wirtschaftssystems also Abhilfe schaffen.

Die Verzichts-Doktrin gerät allerdings schnell in den Verdacht, nur eine einfache Antwort auf eine weitaus komplexere Problematik zu sein und erweckt damit den Anschein von Symbolpolitik, die unerwünschte side effects nicht ausreichend berücksichtigt.

So romantisch und naturverbunden das Konzept einer auf Selbsterhaltung beruhenden Postwachstumsökonomie nämlich auch klingen mag, so problematisch zeigt es sich in seiner praktischen Umsetzung.

Globale Umsetzung

I saw these homes in Nha Trang while motorbiking around the city and had to stop to capture them at sunset.

Der erste und wichtigste Punkt, an dem Degrowth scheitert, ist die globale Umsetzung des Konzepts, die ja für eine signifikante Emissionsminderung im Weltmaßstab von Nöten wäre. Angesichts einer steigenden Weltbevölkerung und einer global wachsenden Mittelschicht ist die Abkehr vom Wirtschaftswachstum realitätsfern, denn die Schwellen- und Entwicklungsländer beharren auf ihr Recht, als latecomers zu dem Wohlstand der Industrieländer aufzuschließen.

Bereits auf dem Weltklimagipfel 2010 in Kopenhagen zeigte sich, wie ernst es ihnen mit dieser Prämisse ist, als besonders China und Indien, die zwei Schwellenländer mit den damals größten jährlichen Wachstumsraten, keine verbindlichen Emissionsobergrenzen auf Kosten ihres Wirtschaftswachstums vereinbaren wollten.

Auch der an dieser Stelle oft genannte, schon weniger radikale Kompromiss, nur die reichen Volkswirtschaften des globalen Nordens müssten die Wachstumsdoktrin aufgeben, damit der globale Süden weiterwachsen kann, geht nicht auf. Gegenwärtig findet eine ökonomische Kontinentalverschiebung gen Afrika und Asien statt, und der Anteil der bereits wohlhabenden Staaten am zukünftigen Wirtschaftswachstum wird voraussichtlich eher gering ausfallen. Vorangetrieben wird das Wachstum der Zukunft in erster Linie von den heutigen Schwellenländern, und insbesondere von Menschen, die heute noch zur Schule gehen oder möglicherweise noch gar nicht geboren sind.

Im Weiteren sind „der Norden“ und „der Süden“ keine isoliert voneinander existierenden Welten, was durch eine solche Unterteilung suggeriert wird. Nahezu alle Staaten der Welt treiben Handel und stehen auch in jeder anderen Art im Austausch miteinander, was die Aufteilung nach Himmelsrichtung in „darf wachsen“ und „darf nicht wachsen“ ad absurdum führt.

Ökonomische Instabilität

An zweiter Stelle verkennt oder übersieht die Postwachstumstheorie, dass eine Welt ohne Wachstum ökonomisch instabil werden würde. Durch eine verringerte Verbrauchernachfrage nach Konsumgütern käme es zu steigender Arbeitslosigkeit, infolgedessen zu weniger Steuereinnahmen und somit auch zu verringerten Sozialleistungen. Daher gibt es auch nur die Zustände Wachstum oder Schrumpfung, nicht aber Stillstand, was von einigen Wachstumskritikern noch wohlwollend als Mittelweg vorgeschlagen wird.

Doch selbst unter der Voraussetzung eines völligen Wachstumsstopps oder sogar negativen Wachstumsraten wäre es damit längst nicht getan: Das Erdsystem ist träge und der bereits an den Ökosystemen verursachte Schaden lässt sich auch durch eine sofortige Abkehr vom Wachstum nicht so schnell wieder beheben: Vergleichbar mit einem zwei Tonnen schweren Zug, der eine Vollbremsung macht und trotzdem noch viele weitere Meter zurücklegt, wird sich das Klima auch nach Stabilisierung der atmosphärischen CO2-Konzentration weiterhin verändern, da das Erdsystem schleichend auf den bereits verursachten Schaden reagiert.

Insofern sind – egal, welchen Weg wir klimapolitisch einschlagen – Investitionen in Technologien für CO2-Entnahme aus der Atmosphäre und CO2-Speicherung sowie weitere Klimaanpassungsmaßnahmen dringend notwendig, und diese können nur durch Wachstum finanziert werden, damit Staatsschulden für Forschung, Investition und Entwicklung aufgenommen werden können. Die alternative Finanzierung durch Umverteilung von oben nach unten, wie es aus wachstumskritischer Sicht gefordert wird, ist demokratisch wohl kaum zu bewältigen, da sich der finanzielle Bedarf nicht auf die Vermögen der Superreichen beschränkt, sondern auch und insbesondere den Mittelstand betrifft.

Gesellschaftliche Instabilität

Neben der ökonomischen Baufälligkeit des Konzepts Degrowth sind auch die gesellschaftlichen Folgen nicht außer Acht zu lassen: Wachstum sichert Arbeitsplätze, da es die einzige Möglichkeit ist, die Produktivitätssteigerungen infolge des technischen Fortschritts so zu kompensieren, dass die Menschen nicht ihre Jobs verlieren. Wenn beispielsweise eine Brötchenfabrik mithilfe von Maschinen mehr Brötchen herstellt als ein Bäcker per Hand, dann sind immer weniger Bäcker notwendig, um dieselbe Menge an Brötchen herzustellen. Wachstum sichert diesen Bäcker ihren Arbeitsplatz, damit mit gleich vielen Menschen mehr produziert werden kann und nicht die gleiche Menge an Brötchen mit immer weniger Bäckern.

Eine zweite wichtige Rolle in der gesellschaftlichen Dimension spielt die Finanzierung der Renten- und Sozialversicherungen einer steigenden und immer älter werdenden Weltbevölkerung. Durch den demographischen Wandel infolge abnehmender Geburtenraten und längeren Lebenserwartungen ist die Rente bereits heute gefährdet: Auf einen Rentner kommen heute 2,1 Arbeitnehmer[3]– 1962 waren es noch 6 gewesen – 2050 werden es Prognosen zufolge nur noch 1,3 Beitragszahler sein.[4]Auch an dieser Stelle zeigt sich die Bedeutsamkeit des Wirtschaftswachstums, damit es bei der Fixierung des Bruttoinlandsprodukts nicht zu einem wirtschaftlichen Nullsummenspiel und damit zu Verteilungskonflikten kommt, in der der Eine nur mehr haben kann, wenn der Andere dadurch weniger hat.

Demokratische Legitimation

Der letzte und nicht minder relevante Punkt, der im Zusammenhang mit der Realisierbarkeit einer Postwachstumsgesellschaft zu erwähnen ist, ist ihre demokratische Legitimation. Die Verzichts-Doktrin mutet bisher eher wie ein ökologisches Notstandsregime an und auch ihr autoritär wirkender Verbotscharakter trägt wohl nicht zu politischen und gesellschaftlichen Mehrheiten bei.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass dem Konzept ein völlig verzerrtes Bild vom Konsum zugrunde liegt: Vom Verzicht betroffen wären nicht nur die Superreichen mit ihren SUVs und Luxusyachten, sondern auch und vor allem die unteren Einkommensklassen. Degrowth bedeutet Einkommensverluste, niedrigere Renten- und Sozialtransfers, die Schließung von Bahnhöfen und Tankstellen und grundsätzlich ein geringerer Lebensstandard, was schlichtweg an der Lebensrealität nahezu aller Menschen vorbeigeht, die sich nicht tagtäglich mit der Zukunft des Wirtschaftswachstums befassen.

Die in diesem Kontext unterschätzte Gefahr ist allerdings, dass in einigen wachstumskritischen Kreisen offensichtlich der Tenor gilt, der Zweck heilige die Mittel, da ein intaktes Klima „too big to fail“ sei. Den demokratischen Boden zu verlassen kann allerdings nie ein legitimer Weg sein, da damit Tür und Tor für politische Willkür und das Recht des Stärkeren geöffnet wird, während gleichzeitig die Zukunftsfähigkeit autoritärer Regime überschätzt wird.

Wirtschaftswachstum stellt sich immer weniger als Option, sondern vielmehr als eine Notwendigkeit heraus – sowohl für den Aufbau des Wohlstands der Entwicklungsländer als auch seinen Erhalt in den Industrieländern. Dennoch stehen wir vor einem Wachstumsdilemma: Das bisherige Wachstum ist schlichtweg ökologisch nicht nachhaltig, durch eine Abkehr hingegen riskieren wir ökonomische Instabilität. Wir setzen also entweder einen ökologischen oder einen gesellschaftlichen Zusammenbruch aufs Spiel, daher erzwingt der Konflikt zwischen dem rasanten Wachstum der Weltwirtschaft und der Überlastung zentraler Ökosysteme eine Synthese von Ökologie und Ökonomie.

Green Growth

Da die Antwort auf die ökologische Frage nun also weder in der Schrumpfung der Weltwirtschaft noch in einem business-as-usual-Szenario liegt, bleibt nur eine weitere Möglichkeit: Die Entkopplung von Wohlstandsproduktion und Naturverbrauch.

Sowohl die wirtschaftliche Aufholjagd der Entwicklungsländer als auch das weitere Wachstum der Industrienationen müssen nachhaltig sein und die Industrieländer stehen in der historischen sowie moralischen Verantwortung, diese Transformation finanziell und technologisch zu unterstützen. Maßgeblich dafür ist ein integriertes Maßnahmenpaket aus Wirtschaftspolitik, internationaler Zusammenarbeit und Renaturierung.

Durch ein umfangreiches Konjunkturprogramm mit Investitionen in energieeffiziente Gebäudesanierung, Elektromobilität und erneuerbare Energien kann die grüne industrielle Revolution in Form von Effizienzsteigerungen und ökologischen Stoffkreisläufen vorangetrieben werden, doch sie muss begleitet werden von der Internalisierung externer Effekte, also der Bepreisung von negativen Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns auf Dritte, wie beispielsweise der Deponierung von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Durch eine CO2-Steuer oder ein ausgeweitetes Emissionszertifikatehandelssystem ließe sich ein Lenkungseffekt hin zu erneuerbaren Energien realisieren, dass sich in vielen Ländern und Wirtschaftszweigen bereits in der Vergangenheit als sehr effizient erwiesen hat.

Damit dessen Wirkung allerdings auch im Weltmaßstab signifikant ist, ist es eine der zentralsten Herausforderungen erfolgreicher Klimapolitik, Emissionsminderungen vor allem in emissionsintensiven Schwellen- und Entwicklungsländern zu erreichen. Dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) zufolge übertrifft das Wachstumspotenzial eines green-growth-Szenarios, bei dem jährlich zwei Prozent des globalen Bruttosozialprodukts in Umweltschutz investiert werden, bereits nach sieben Jahren die globale Wachstumsrate eines business-as-usual-Szenarios; Tendenz steigend.[5]

In Kombination mit integrierten Klimaschutzaspekten in Freihandelsabkommen und globalen Klimaclubs stellt das mit Umweltschutz verbundene Wohlstandsargument also eine der besten Optionen dar, verbindliche Emissionsminderungen international umzusetzen. In Ergänzung dazu sollte ein Programm zur Renaturierung von Wäldern, Mooren und Gewässern ausgeweitet werden, damit die Minderungslast möglichst breit auf Wirtschaftspolitik, technologischen Fortschritt und CO2-Speicherung verteilt wird.

Dennoch sind die Bedenken der Wachstumskritiker hinsichtlich nachhaltigen Wachstums ernst zu nehmen, da die (absolute) Entkopplungsrate von Wirtschaftswachstum und Rohstoffverbrauch und Umweltbelastung aktuell zu niedrig ist und Rebound-Effekte bisher nicht ausreichend kompensiert werden.

Die wenigen der bisher genannten Klimaschutzmaßnahmen, die allerdings bei einem globalen Wachstumsstopp noch umsetzbar wären, hätten jedoch einen zu geringen Effekt auf die Regeneration der Ökosysteme und die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre. Daher ist es weitaus zielführender, die Entkopplung über die internationale Koordination von Freihandel und Umweltstandards voranzutreiben und Rebound-Effekten mithilfe einer progressiven CO2-Besteuerung entgegenzuwirken, sodass Effizienzsteigerungen nicht automatisch von Nachfragesteigerungen begleitet werden.  

Flucht nach vorne

Null- bzw. Negativwachstum erweist sich insbesondere aufgrund der daraus folgenden ökonomischen und gesellschaftlichen Instabilität insbesondere in Anbetracht der Lebensrealität der aufstrebenden Mittelschicht in den Schwellen- und Entwicklungsländern als ein idealistisches, aber realitätsfremdes Konzept, das in seiner Absicht zwar gut gemeint, in seiner Umsetzung allerdings mehr als zweifelhaft ist.

In seinem radikalen Bruch mit der Wachstumsdoktrin und der simplifizierenden Darstellung einer auf Produktivität ausgerichteten Volkswirtschaft verkennt die Wachstumskritik, welche unbeabsichtigten Folgen sich gerade für die Menschen ergeben können, die von der sich anbahnenden Klimakatastrophe ohnehin schon am stärksten betroffen sind.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich hingegen, dass Wachstum die beste aller Möglichkeiten darstellt, auf die ökologische Frage zu reagieren, da es gleichzeitig die dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen finanziert, als auch das Spannungsfeld von Klimaschutz und Entwicklungspolitik umgeht, beide Herausforderungen nicht gegeneinander ausspielt und somit eine Lenkungswirkung im Weltmaßstab hervorrufen kann, was dem entgegengesetzten Konzept der Wachstumskritik nicht gelingt.

Solange das Wachstum in Rahmenbedingungen wie einer Korrektur des Marktversagens bei öffentlichen Gütern, progressiver CO2-Besteuerung und globalen Umweltstandards eingebettet wird, erweist sich die Flucht nach vorne als die wesentlich vielversprechendere Maßnahme, um das klimapolitische Ruder noch herumzureißen und einer gefährlichen irreversiblen Veränderung des Weltklimas zu entgehen.

Um es mit den Worten des Philosophen Peter Sloterdijk zu halten: „Das bloße Weitermachen ist kriminell, die bloße Verzichtsethik ist naiv. Dazwischen liegen die intelligenten Wege.“[6] Auf diesen zu gehen wird die zentrale Aufgabe des 21. Jahrhunderts sein.


[1] https://www.nature.com/articles/s41467-021-22884-9

[2] https://ourworldindata.org/grapher/declining-global-poverty-share-1820-2015

[3] https://www.demografie-portal.de/DE/Fakten/altersrentner-beitragszahler.html

[4] https://de.statista.com/infografik/25320/verhaeltnis-von-altersrentnern-zu-beitragszahlern-in-der-gesetzlichen-rentenversicherung/#:~:text=Da%20demn%C3%A4chst%20die%20so%20genannte,noch%201%2C3%20Beitragszahler%20sein

[5] https://www.lse.ac.uk/granthaminstitute/wp-content/uploads/2012/10/WP92-green-growth-economic-theory-political-discourse.pdf

[6]  https://petersloterdijk.net/2009/12/das-21-jahrhundert-beginnt-mit-dem-debakel-vom-19-dezember-2009/