In Berlin brannte an Silvester der Bus, Krankenwagen wurden angegriffen und Rettungskräfte. Feuer auf den Straßen, Chaos, ich denke mal, jeder wird inzwischen davon gehört und auch Videos gesehen haben. Am Ende jedenfalls gibt die Berliner Polizei bekannt, dass von den 145 in der Silvesternacht vorläufig Festgenommenen 45 Personen die deutsche Staatsangehörige besitzen, 27 Tatverdächtige sind Afghanen und 21 Syrer. Das hatten bereits nicht wenige gemutmaßt, also dass es sich bei den Randalierern vor allem um Menschen aus dem Migrationsmilieu handelt, weshalb die Berliner CDU lieber nochmal beim Innenausschuss nachgefragt hat, wie denn die Tatverdächtigen mit deutscher Staatsbürgerschaft eigentlich mit Vornamen heißen würden. Nicht, dass sich unter den deutschen Unruhestiftern noch ein paar Alis und Mehmets versteckten!
Nun fanden die Krawalle in Berlin Neukölln und nicht im beschaulichen Charlottenburg oder Prenzlauer Berg statt. Und also ist es auch wenig überraschend, dass ein Großteil der Randalierer die Bürde des Migrationshintergrund mit sich rumschleppt. Wer in Berlin schon einmal südlich vom Hermannplatz unterwegs war weiß, dass dort nicht nur biodeutsche Kartoffeln leben. Genauer gesagt hatten 2021 im Bezirk Neukölln 48,4% der Anwohner Migrationshintergrund. Stellt sich da nicht eher die Frage, ob - deutsche Wurzeln hin oder her - etwa die Anwohner rund um die Sonnenallee, die ihre Kinder dort zur Schule schicken, die womöglich ein Geschäft in der Gegend betreiben, dort womöglich seit Jahrzehnten wohnen, dass die an Silvester ihr Stadtviertel niederbrennen? Oder die Ausschreitungen zumindest insgeheim gutheißen?
Rund 22,3 Millionen "Menschen mit Migrationshintergrund" lebten 2021 in Deutschland, was ca. 27,25% der Gesamtbevölkerung entspricht. Allein das macht die Aussage, der Großteil der paar Dutzend Randalierer der Silvesternacht hätten Migrationshintergrund zur Leerformel, selbst wenn es am Ende sogar ein paar hundert gewesen sein mögen, die den Aufstand probten. Es fallen einem eine Menge möglicher Ursachen ein, wie es zu den Ausschreitungen hat kommen können. Die Sozialisation der Täter, natürlich. Aber auch ganz allgemein soziale Verwerfungen, die Wut, die Frustration Abgehängter, die keinen Job haben, keinen Job finden, sich als Menschen zweiter Klasse fühlen, keine Möglichkeit sehen, ihrem Zorn anders Luft zu verschaffen. Vielleicht war auch die Polizei nicht präsent genug. Die Menge alkoholisiert. Und dann die verfluchten Böller, Corona, der Lockdown, zwei Jahre kein richtiges Silvester, eins, das zum anderen führt, und am Ende brennen die Straßen. Mag sein. Fakt ist, wir wissen es nicht.
Was wir wissen, was man zumindest erahnen kann, ist, worauf die Frage der Berliner CDU abzielt. Mit aller Wahrscheinlichkeit darauf, ein Vorurteil bestätigt zu sehen: dem Mehmet und dem Ali traut man doch irgendwie zu, dass die sich nicht im Griff haben. Mit Böller auf Passanten schießen und so. Vielleicht auch dem Ivan, dem Bohdan, dem Dmitry. Also, wenn die nur ordentlich Wodka getankt haben, dann weiß man nie. Da bringt auch kein deutscher Pass was. Das sagt selbst die Statistik. Geringere Bildung, mit einem Bein im Knast. Und dass es etwa in den Stadtteilen Wedding (2021: 55, 4%) oder Gesundbrunnen (2021: 64,7%) keine Randale gab, obwohl dort ein noch höherer Anteil an Menschen mit ausländischen Wurzeln lebt als in Neukölln, geschenkt. Eins steht jedenfalls fest, die Integration ist gescheitert, das hat sich an Silvester doch wieder eindeutig gezeigt. Aber das darf man in Deutschland ja nicht sagen, sonst wird man gleich in die rechte Ecke gestellt. Oder so ähnlich.
Ich glaube, dass wir besser sind als das. Dass Deutschland besser ist als das. Natürlich gibt es rechte Spinner in diesem Land, und die sehen sich jetzt bestätigt und arbeiten sich in dämlichen Tweets ab am vermeintlichen Untergang des Abendlandes, der am Silvesterabend in Berlin mal wieder heraufgezogen ist. Aber glaubt ernsthaft jemand, dass über 20 Millionen Menschen in Deutschland leben, denen dieses Land egal ist? Die den deutschen Pass bloß haben, um sich Leistungen zu erschleichen, um es den Jochens und Michels zu zeigen, die ja alles mit sich machen lassen. Nicht zu vergessen die Jochens und Michels, die das alles mit sich machen lassen. Glaubt das ernsthaft irgendwer?
Klar, unsere Debattenkultur ist verroht. Nicht zuletzt, weil eine differenzierte Diskussion sehr mühsam ist, Recherche erfordert. Und kaum in ein paar Zeilen Tweet zu quetschen ist. Die einen sind ein wenig überempfindlich und wittern hinter jeder grob gezeichneten Meinung Nazi-Menthalität und Menschenverachtung. Die anderen fühlen sich von verweichlichten Baumknutschern gegängelt und poltern herum, vielleicht am Ende sogar aus Boshaftigkeit. Weil es Spaß machen kann, den Troll zu spielen. Und einem eine gewisse Aufmerksamkeit sicher ist.
Vielleicht finden das einige Leute naiv, doch ich glaube einfach nicht, dass die Menschen mit einer Meinung links der Mitte es gutheißen, wenn Krankenwagen angegriffen und Feuerwehrleute in Hinterhalte gelockt werden. Ebenso wie ich nicht glaube, dass die Menschen mit einer Meinung rechts der Mitte ernsthaft glauben, dass der Ali oder Mehmet vom Gemüseladen nebenan, Mustafa der Taxifahrer oder Orhan der Friseur gutheißen, was in der Silvesternacht in Neukölln passiert ist.
Oh, je. Jetzt hab ich gar nicht Hussein den Neurochirurg oder Hamza den Triebwerksingenieur erwähnt. Vielleicht einfach, weil ich keinen Gefäßchirurg kenne. Oder Triebwerksingenieur. Aber irgendwie glaube ich, dass Orhan vom Friseursalon am Ende der Straße, der mit seinen beiden Kindern einmal im Jahr in die Türkei in Urlaub fährt, dass er irgendwie angekommen ist in diesem Land.
Angekommen.
In diesem Land, das es jetzt ist.
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