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Ich wurde mal gefragt, seit wann ich denn depressiv wäre und wie es überhaupt dazu gekommen sei. „Ich meine, irgendeinen Grund muss es ja geben, niemand wird mal eben so von jetzt auf gleich depressiv und will plötzlich lieber sterben als auf Partys gehen - also, sag schon. Was wars bei dir?“

Menschen können manchmal verdammt anstrengend sein. Ja, ich kann gut mit ihnen, wenn ich denn muss, aber ich will am liebsten gar nicht erst können müssen. Ich habe keine Lust auf diese oftmals so seichten Gespräche, in denen man freundlich lächelnd irgendwelchen Belanglosigkeiten lauscht, die dem Arbeitskollegen eines Freundes der Schwester meines Gesprächspartners widerfahren sind, und diese Aversion steigt exponentiell ins Unendliche, wenn ich nicht nur den Arbeitskollegen des Freundes der Schwester nicht kenne, sondern nicht mal die vermaledeite Schwester und selbst mein Gegenüber mir emotional nicht wirklich nahe steht.

„Ich bin schon immer so“, hatte ich damals geantwortet und nein, damit hatte ich nicht sagen wollen, dass ich schon lange Jahre depressiv war. Ich hatte es gemeint, wie ich es gesagt hatte. Schon immer. Von Geburt an. Irgendwas bringen wir ja alle mit. Es hätten ebenso gut Grübchen, ein Feuermal oder ein fehlendes Fingerglied sein können - in meinem Fall wars halt der Hang zum Schwermut.

Wie in den meisten Fällen, wurde "schon immer" als "schon ganz schön lange" interpretiert, woraufhin ich die Erklärung nachgeschoben hatte, dass ich mich schon als kleines Mädchen häufig mit dem Tod im Allgemeinen und dem Sterben im Speziellen beschäftigt hätte - hyperspeziell: meinem eigenen Sterben. Einen bestimmten Auslöser für dieses etwas kinderuntypische Interesse könnte ich nicht benennen und mehr hätte ich da jetzt auch nicht drüber zu sagen. Mein Gesprächspartner plötzlich auch nicht mehr. Derartige Themen rangieren auf der Beliebtheitsskala zwischenmenschlicher Kommunikation vermutlich irgendwo zwischen  Privatinsolvenz, Fußpilz und Geschlechtskrankheiten.

Ist aber auch egal. Mit den meisten Menschen kann man sich über solche Dinge ohnehin nicht unterhalten. Zumindest nicht so, dass es einem selbst einen erkennbaren Mehrwert liefern würde. Entweder, sie begreifen es tatsächlich nicht, was völlig okay und irgendwie auch beneidenswert ist, oder sie wollen sich mit solchen Dingen einfach nicht befassen. Sterben? Das tun nur die anderen - oder, so möchte man meinen, zumindest niemand unter 85. Gehts dann auch noch darum dass ich jemand höchstselbst aus seinem ach so kostbaren Leben befördern möchte, spätestens dann ist Schicht im Schacht. Darüber brauchen normale Menschen sich nicht austauschen, das ist nur was für so richtige Freaks und ganz bestimmt keine Thematik für Tante Margots Sonntagnachmittagskaffeekränzchen bei Schonkaffee, Frankfurter Kranz und Bienenstich auf Goldrandgeschirr. Dem guten.

Zwar sind Depressionen in den letzten Jahren zunehmend gesellschaftsfähiger geworden, wirklich intensiv damit auseinandersetzen möchte man sich aber doch bitteschön frühestens dann, wenn entweder ein Mensch davon betroffen ist, zu dem eine emotionale Bindung besteht oder gar man selbst. Zwar ist es in diesem Fall mit der emotionalen Bindung nicht sonderlich weit her, das liegt aber in der Natur der Sache. Meine Depression und ich, wir sind jedenfalls trotzdem recht dicke miteinander.

Ergibt ja auch Sinn. Man weiß, was man hat. Warum, das weiß man zwar nicht, aber das ist ja auch erst mal egal. Man kennt sich eben und mit der Zeit bemerkt man seinen ungebetenen Besuch auch immer früher. Anfangs hatte er schon monatelang auf der Couch rumhocken  müssen, bis er endlich mal unsere Aufmerksamkeit hatte erlangen können, irgendwann erspähte man ihn bereits durch Fenster, kurz bevor er auf den Klingelknopf drückte und irgendwann genügte es schon, sein vertrautes Gangbild am vernebelten Horizont zu erspähen. "Alles klar, da kommt er wieder", denkt man, verdreht die Augen, atmet ein paar Mal tief durch und geht Kaffee kochen.

Die Frage nach dem "Warum" ist nun mal nicht immer so offensichtlich zu beantworten, wie es bei manchen Menschen den Anschein hat. In meiner Erinnerung gibt es keine bestimmte traumatische Erfahrung, die den Wendepunkt in meinem bis dato glücklichen Leben markieren würde. Weder wurde ich von einer Naturkatastrophe meines sicheren Zuhauses beraubt, noch von feindlichen Militärfliegern aus meinem Kinderzimmer gebombt und auch vor einer schwerwiegenden Erkrankung, die mich in frühester Kindheit zu unzähligen Operationen und monatelangen Krankenhausaufenthalten verdammt hätte, war ich verschont geblieben. Was nicht heißt, dass es keine nachvollziehbare Ursache für meine spätere Todessehnsucht gegeben hätte - nur, dass ich sie nicht erinnere.

Fakt ist: Eine Schwangerschaft ist kein Garant dafür, dass Monate später die für diesen Umstand verantwortlichen Eltern in bislang ungeahnter Glückseligkeit ein Neugeborenes in ihre Arme sowie Herzen schließen. Manchmal kommen auch Kinder zur Welt, die besser nie hätten geboren werden sollen. Dass ich eines davon war, das hatte man mich bereits gelehrt, noch bevor mein bewusstes Denken eingesetzt hatte.

Fortsetzung folgt


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