„Dem Eigentlichen“ hatte Thomas Mann in das Widmungsexemplar des „Doktor Faustus“ an Arnold Schönberg 1948 geschrieben, „mit ergebenem Gruss“. Doch was von Thomas Mann als Referenz gemeint war, löste eine unschöne Kontroverse aus, die zum Teil groteske Züge annahm. Schönberg fühlte sich bestohlen, da der fiktive Held des Romans Adrian Leverkühn als Urheber der 12-Ton Kompositionsmethode dargestellt wird.

Schönberg, der bereits gesundheitlich stark beeinträchtigt war, hatte den Roman gar nicht gelesen, sich nur einige Passagen vorlesen lassen und sonst vor allem willig den Einflüsterungen seiner Jünger überlassen. Thomas Mann tat alles um die Wogen zu glätten, fügte dem Roman eine Bemerkung bei, die die Urheberschaft klarstellte, und zumindest privatim versöhnte man sich kurz vor Schönbergs Tod wieder.

Auch Theodor W. Adorno hatte seine 1949 erschienene „Philosophie der Neuen Musik“ eigentlich als Huldigung an Arnold Schönberg gedacht. Adorno inthronisierte Schöneberg darin - als Vertreter des „Fortschritts“ im Gegensatz zu Igor Strawinsky, dem Vertreter der „Restauration“ - als bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten. Jener Essay über Schönberg, der bereits Anfang der 40er Jahre entstanden war, diente Thomas Mann als entscheidende Anregung und Instruktion zu seinem „Doktor Faustus“. Doch auch Adornos Schrift wurde ungnädig von Schönberg aufgenommen.

Gewiss könnte man Schönbergs allergische Reaktionen damit erklären, dass er diese Zuwendungen als paternalistisch empfand. Denn Schönberg musste in den USA bis zuletzt hart um den Lebensunterhalt seiner Familie und um die Aufführung und Anerkennung seiner Werke kämpfen, während Thomas Mann in Los Angeles unweit von Schönberg auf einem Anwesen lebte und als weltberühmter Autor hofiert wurde. Doch auf merkwürdige Weise bildet sich in all den gewollten und ungewollten Missverständnissen zwischen Thomas Mann, Adorno und Schönberg auch viel von der Konfusion und der Unordnung ab, die für das Ende jener deutschen Kulturepoche, die vom furchtbaren Tosen zweier Weltkriege begleitet wurde, bezeichnend und charakteristisch war.

Summe und Zusammenfassung

Denn ohne Zweifel hatten Thomas Mann und Theodor W. Adorno Recht: Arnold Schönbergs war die zentrale Figur der Musikgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In zahlreichen Aspekten seiner Person, seiner Biographie und seiner Ästhetik spitzen sich Entwicklungen zu, die vor allem seit Johann Sebastian Bach und Ludwig van Beethoven die Musikgeschichte geprägt hatten.

Schönberg erscheint geradezu wie eine Summe und Zusammenfassung vieler dieser Stationen. Bachs alles durchdringender Handwerkerethos verbindet sich bei ihm mit Beethovens Titanismus, Schuberts Einsamkeitspathos und Schumanns fieberhafte Zuspitzungen mit Wagners raffinierten harmonischen Erkundungen, Bruckners numinose Visionen und Mahlers Weltentwürfe mit Richard Strauss‘ orchestralen Aufrüstungen.

Doch selbst das reichte Schönberg nicht. Er war von seiner Rolle als Vollender so durchdrungen, dass alle Übertreffungen und Übertrumpfungen immer auch Vernichtungen waren. Wo er gewirkt hatte, durfte kein Gras mehr wachsen. Während Debussy und Ravel, Skrjabin und Strawinsky, Richard Strauss und Zemlinsky vor dem ersten Weltkrieg permanent mit dem Abgrund der Atonalität flirteten, sprang er in jenen Abgrund hinunter. Und während diese mit den aufgehäuften Schätzen einer reichen Musiktradition eine letzte Orgie um das goldene Kalb feierten, verkündete er mit der 12-Ton Methode das reinigende Gesetz, das alles dieses hinter sich lassen sollte.

Mahler, Strauss und Zemlinsky (dessen Schwester Schönbergs erste Ehefrau wurde) waren es auch, die Schönbergs Karriere in den frühen Jahren maßgeblich gefördert hatten, sich dann aber erschrocken von ihm abwandten. Richard Strauss befand, Schönberg sei verrückt geworden und solle lieber Schnee schippen als Notenblätter vollkritzeln.

Atonalität

Aus Schönbergs Sicht war diese Entwicklung vollkommen konsequent. Mit faustisch durchdringendem Blick und deutscher Gründlichkeit sah er mit aller Klarheit die Geschichtlichkeit ästhetischen Fortschritts. Richard Wagner hatte die Möglichkeiten tonaler Harmonik mehr und mehr ausgereizt und damit der Erschöpfung preisgegeben. Doch anders als bei vorausgegangenen stilistischen Umbrüchen gab es kein Zurück mehr in eine neue Einfachheit. Zu verwoben und verwachsen waren die kulturellen Schichten inzwischen geworden.

Der einzig konsequente Ausweg war der in eine Negativität, die das einstig Gültige zum negativen Nukleus macht, auf dem das neue Positive wachsen und gedeihen kann. Diese Zusammenhänge hat auch Adorno in der „Philosophie der Neuen Musik“ vollkommen klar erkannt und beschrieben. Bereits das Motto von Hegel, das Adorno dem Schönberg-Teil voranstellte, adressiert diese Idee.

„Die reine Einsicht aber ist zunächst ohne Inhalt und vielmehr reines Verschwinden desselben; durch die negative Bewegung gegen das ihr Negative aber wird sie sich realisieren und einen Inhalt geben.“

Hegel, Phänomenologie des Geistes

Doch musste Schönberg auch selber über diese Schwelle gehen. Es ist insbesondere „Pelleas und Melisande“, das den Wagnerianischen Chromatismus handwerklich an ein Limit führt, das kaum mehr überboten werden kann. Auch Zemlinsky bezeichnete die Partitur als die größte handwerkliche Errungenschaft seiner Zeit. Mit der ersten Kammersinfonie und dem zweiten Streichquartett tastete er sich dann in die neuen Gefielde vor.

Für Adorno kulminiert die atonale Phase in den beiden Musiktheaterstücken „Die Erwartung“ und „Die glückliche Hand“. Nicht nur musikalisch, sondern auch in seinem theatralen Kontext. Der radikale Subjektivismus und das rein intuitive dramatische Gefüge dieser Stücke, dem gegenüber Adorno selbst Alban Bergs „Wozzeck“ als „opernhaft“ abgrenzt, verweise am unmissverständlichsten auf den radikalen Schnitt, den Schönberg auch in Bezug auf die soziologischen Aspekte der Kunstmusik vollzieht: „Musik hat unterm Zwang der eigenen sachlichen Konsequenz die Idee des runden Werkes kritisch aufgelöst und den kollektiven Wirkungszusammenhang durchschnitten… Das geschlossene Kunstwerk ist das bürgerliche, … das fragmentarische meint im Stande der vollkommenen Negativität die Utopie.“

Pierrot Lunnaire

„Pierrot Lunnaire“ ist eine von den Deviationen, von denen es in Schönbergs Werk eine ganze Reihe gibt. Es sollte eigentlich erstaunen, dass Schönberg kurz vor dem ersten Weltkrieg, als er vollkommen von einem antifranzösischen nationalistischen Chauvinismus ergriffen war (wie vor allem in Briefen an Alma Mahler nachzulesen), plötzlich ein Werk schrieb, das nicht nur einen französischen Titel trägt und auf einer französischen Vorlage beruht, sondern auch in der luftigen Schreibweise dem Impressionismus erstaunlich nahe kommt.

Es ist denn auch kein Wunder, dass gerade dieses Stück auf Ravel und Strawinsky starken Eindruck machte. Ravels Mallarme Lieder und Strawinskys Japanische Lieder sind unverkennbar von diesem Stück inspiriert. Man mag darin einen Goetheschen Zug erkennen, der auch immer wieder trotzig Erwartungen unterlief und sich in Welten stürzte, die seinem eigenen ästhetischen und kulturellen Horizont eigentlich fern standen.

12-Ton Methode

Nach dem ersten Weltkrieg fiel Schönberg in eine tiefe Krise. Gewiss nicht zuletzt weil nach der schmachvollen Niederlage Deutschlands und Österreichs viele eigene Träume von einer Hegemonie deutscher Kultur sich in Luft aufgelöst hatten. Doch während Thomas Mann, der sich in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ ähnlichen Träumen hingegeben hatte, eine Läuterungsphase durchlief, deren Zeugnis der „Zauberberg“ wurde, ließ Schönberg sich nicht beirren und folgte weiter seiner künstlerischen Mission.

Doch spürte er, dass der freie Flug der Aspiration, der ihn in den Jahren zuvor getragen hatte, seinen Elan verloren hatte und sein Komponieren einer Fundierung bedurfte, die ihm Halt gab für neue Aufschwünge. In der 12-Ton Methode glaubte er jenes neue Gesetz gefunden zu haben, das nicht nur die Grundlage für seine neuen Eroberungen bilden, sondern, wie er in der ersten Euphorie seiner Entdeckung schrieb, der deutschen Musik die Vorherrschaft für die nächsten hundert Jahre sichern sollte.

Viel ist über dieses System geschrieben worden und bereits bei Adorno meint man hinter aller Apologie eine gewisse Skepsis über diesen formalistischen Ansatz herauszuhören. Denn es war von Beginn an vollkommen offensichtlich, dass die monokausale und lineare Prämisse dieses Systems in der multidimensionalen Heterogenität von orchestraler und instrumentaler Vielstimmigkeit des modernen Komponierens völlig willkürlich bleibt.

Das war auch Schönberg durchaus bewusst, der immer wieder betonte, dass es vor allem ein „Werkzeug zum Komponieren“ sei und auch allergisch darauf reagierte, wenn Exegeten nach den Reihen in seinen Kompositionen forschten. Es gehe den Hörer nichts an, mit welchen Mitteln der Komponist vorgehe, entscheidend sei alleine der numinose Funke, der die Inspiration in Bewegung setzt und damit durch den Komponisten hindurch wirke.

Unverkennbar kommt darin auch der ideelle Horizont des deutschen Idealismus zur Vollendung. Kants Vorstellung von Ordnung durch errungene und selbstauferlegte Gesetze, Fichtes Idee der Selbstsetzung und Hegels Vision eines Pfades zur Vollkommenheit, alles das schwingt bei Schönberg mit.

Johannes Brahms

Schönbergs Hinwendung zu Brahms ist eine andere Deviation, die sich zunächst in der Schrift „Brahms, der Fortschrittliche“ von 1933 und dann in seinem Werk vor allem im Violin- und Klavier-Konzert und den späten Kammermusikwerken manifestiert.

Brahms hatte zwar für Schönbergs Anfänge eine gewisse Rolle gespielt, in den frühen Liedern und dem frühen Streichquartett ist ein gewisser Einfluss durchaus festzustellen. Doch in der Ahnenreihe seiner Selbstwerdung spielt Brahms nicht nur keine Rolle, sondern war eine regelrechte Antifigur. Brahms war der Antagonist nicht nur zu Bruckner, auch in den frühen Werken von Mahler und Richard Strauss, die er vor seinem Tod 1897 noch erlebte, sah Brahms vor allem dekadente Auflösung und Zerstörung.

Dass Schönberg Brahms 40 Jahre später doch noch als seinen Ahnherren deklarierte, war einerseits erneut eine Dreistigkeit, und im Angesicht der Machtergreifung der Nazis wohl auch Zeichen in einem ähnlichen Sinne wie bei Thomas Manns „wo ich bin, ist Deutschland“. Doch zeigen sich gerade in diesen an Brahms orientierten Werken am stärksten die Risse und Widersprüche von Schönbergs Ästhetik.

Denn dadurch, dass er gewisse Verfahrensweisen von Brahms mechanistisch übernimmt, die subjektivistisch abstrakten Prinzipien von Schönbergs Kompositionsmethode aber gleichzeitig Brahms bürgerlich ethischer Ästhetik eklatant widersprechen, wird das Artifizielle viel stärker spürbar als in der expressionistischen Gestik vieler anderer Werke.

Die Babylonischen Türme

Die heftigen Widersprüchlichkeiten, die zu Schönbergs Physiognomie untrennbar dazugehören, offenbaren sich nicht zuletzt in seinem Verhältnis zum Judentum. Dieses schwankte merkwürdig immer wieder zwischen völliger Gleichgültigkeit und obsessiver Überidentifikation.

Gleichwohl sind die beiden zentralen Werke seines Oeuvres tief im Judentum verwurzelt. Sowohl die „Jakobsleiter“ als auch „Moses und Aron“ bilden in gewisser Weise die Fluchtpunkte von Schönbergs zwei ästhetischen Perioden und korrespondieren auf merkwürdige Weise gleichzeitig mit den beiden Weltkriegen. Ist die „Jakobsleiter“ die Kulmination von Schönbergs Vorstellung der schicksalhaften Selbstwerdung, imaginiert sich Schönberg in „Moses und Aron“ als Moses-Figur, die als Verkünder von Gottes Gesetz die Menschheit in ein neues Zeitalter führt.

Doch ähnliche wie bei Franz Kafkas Romanen, mag man auch bei diesen Werken Schönbergs nicht daran glauben, dass ihr Schicksal unvollendet zu bleiben das Ergebnis zufälliger oder unglücklicher Umstände ist. Vielmehr war es ihr mythisches Schicksal als die Babylonischen Türme der abendländischen Musikkultur in die Geschichte einzugehen.

Doktor Faustus

Glaubte Adorno in der „Philosophie der Neuen Musik“ noch an jenen utopischen Durchbruch hin zu einer neuen, aus dem Ende der alten geborenen, Ästhetik, hatte Thomas Mann in seinem „Doktor Faustus“ bereits keine Illusionen mehr, dass das Schicksal von Adrian Leverkühn, als Repräsentanten der deutschen Kulturepoche zwischen Martin Luther, Wolfgang von Goethe und Arnold Schönberg, das der Höllenfahrt ist, das sich mit dem Ende des zweiten Weltkriegs und dem Ende von Deutschland als Weltmacht parallel zur Entstehung des Romans vollzog.

Doch leugnete Thomas Mann Schönberg gegenüber, dass er mit Leverkühn gemeint sei, ebenso wie er Adorno gegenüber leugnete, dass mit dem Teufel mit der Hornbrille er gemeint sei. Was zum Teil auch gerechtfertigt war, da die Figuren in „Doktor Faustus“ tatsächlich Montagen aus ganz verschiedenen Physiognomien sind, nicht zuletzt der des Autors selber.

Am Ende hatte Schönberg jedoch durchaus Anlass zu Empörung, denn natürlich war er tatsächlich der „Eigentliche“, jene faustische Gestalt, die das Ende der abendländischen Musikgeschichte besiegelte.