Schwarze Löcher sind uns schon lange ein Begriff. Bereits im 18. Jahrhundert formulierten unabhängig voneinander der englische Naturphilosoph John Mitchell und der französische Physiker Pierre-Simon Laplace eine Theorie der Gravitation, der nicht einmal Licht entgehen könnte. Im 20. Jahrhundert wurde diese Idee unter anderem von Albert Einstein in seiner 1915 veröffentlichten allgemeinen Relativitätstheorie wieder aufgegriffen. Erneut etwa zeitgleich formulierte der deutsche Astronom Karl Schwarzschild eine Metrik, in der das Gravitationsfeld auf punktförmig erscheint. Während es zu dieser Zeit noch rein mathematische Herleitungen waren, die die Existenz eines Schwarzen Lochs möglich machen, konnte ihre Existenz ab 2016 durch Beobachtungen nachgewiesen werden: zuerst als Fusion, die durch Gravitationswellen nachgewiesen werden konnten und im Jahr 2019 mit einer Bildaufnahme des schwarzen Loches in der Galaxie Messier 87. Auch eine Aufnahme des schwarzen Loches in unserer Galaxie konnte 2022 gemacht werden.

Obwohl wir schwarze Löcher noch nicht völlig verstanden haben (was auch dem Umstand geschuldet ist, dass es nicht möglich ist, sie direkt zu beobachten und zu untersuchen), kamen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erste Überlegungen auf, ob sie einen Gegenpol hätten. Als konkret: ein weißes Loch. Astronomen verstehen darunter ein astronomisches Objekt, welches genauso funktioniert wie ein schwarzes Loch, aber unter umgekehrten Bedingungen. Während also Materie, Licht und Informationen der massiven Gravitation eines schwarzen Loches ab einem bestimmten Punkt nicht mehr entkommen und nichts das Loch verlassen kann, scheint es bei einem weißen Loch andersrum der Fall zu sein: ab einem bestimmten Punkt kann nichts in das Loch fallen, dafür verlässt jede Materie, jedes Licht und jede Information das astronomische Objekt. Was auf den ersten Blick völlig kontraintuitiv und gegen unsere Vorstellungskraft spricht, gibt es dennoch Astronomen, die sich diesem Phänomen widmen.

Die Ersten beiden, die sich unabhängig voneinander mit dieser Theorie befassten, waren der sowjetische Kosmologe Igor Nowikow und der ehemalige israelische Physiker und Politiker der in Likud aufgegangenen rechtsradikalen Partei “Tehiya” Juval Ne’eman. Alleine rein mathematisch spricht in erster Linie nichts gegen die Existenz von weißen Löchern. Dass es dabei nicht unerheblich ist, dass eine mathematische Gleichung die Möglichkeit zulässt, zeigt die Entdeckung der schwarzen Löcher. Sowohl Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie als auch Schwarzschilds Metrik stehen im Einklang mit einem “umgekehrten schwarzen Loch”. Dennoch konnte man sie bis heute nicht entdecken: Woran liegt das genau?

Ein Hauptgrund ist, dass sie entweder quasi aus dem Nichts entstehen oder kurz nach dem Urknall entstanden sein müssten. Beides konnte bis dato nicht nachgewiesen werden. Überlegungen, sie könnten ein Teil eines Wurmlochs sein, das heißt, die theoretische Reise von einem Punkt des Universums zum anderen scheint ebenfalls nicht zufriedenstellend zu sein. In Anlehnung an den amerikanischen Physiker Stephen Hawking argumentiert der englische Physiker Brian Cox, dass eine solche Reise nicht möglich sei, da ein Wurmloch völlig in sich zusammenbrechen müsste. Etwas Hoffnung hatte man, als Quasare entdeckt wurden. Das sind aktive Kerne einer Galaxie, die massive Energiemengen von sich geben. Dieser helle Lichtstrahl wurde anfangs als Teil eines weißen Lochs verstanden. Mittlerweile wurde diese Theorie jedoch fallen gelassen, da man nun der Auffassung ist, dass sich in einem Quasar tatsächlich ein schwarzes Loch befindet.

Also alles nur Fantasie? Während die Mehrheit der Astronomen die Existenz von weißen Löchern für eine rein mathematisch-theoretische Spielart halten, gibt es dennoch Einzelne, die fest davon überzeugt sind, dass es sie geben muss. Einer, der davon felsenfest überzeugt ist, dass es sie geben muss, ist der italienische Physiker Carlo Rovelli. Rovelli, der unter anderem in London, Rom und Pittsburgh lehrte, entwickelte 1996 mit dem amerikanischen Physiker Lee Smolin eine Theorie der Quantenmechanik (Schleifenquantengravitation), die für das weitere Verständnis seiner Theorie wichtig ist.

In seinem Buch “Ein neues Bild des Universums: Weiße Löcher”, veröffentlicht 2023, formuliert er seine These, dass die eigentliche Singularität in schwarzen Löchern in der Zukunft lägen, und dort keine Materie auf einen unendlich kleinen Punkt zentriert werde. Am hypothetisch letzten Punkt innerhalb des schwarzen Loches finde ein Übergang statt, der zum weißen Loch führt. Das Problem sei jedoch, wie er schreibt, dass bei diesem Übergang Einsteins Gleichungen verletzt würden. Die Lösung des Problems: “Wir erwarten, dass vor Erreichen der Singularität Quanteneffekte ins Spiel kommen.” Was bedeutet das? Stark vereinfacht sagt die Quantenmechanik, dass immer eine geringe Chance bleibt, dass Atome durch andere Atome durchdringen können. Konkret: Materie kann durch eine Wand gehen. Der genaue Prozess, wie das in der Theorie erklärt wird und in der Praxis geschehen könne, kann hier allerdings nicht detailliert ausgeführt werden.

Nehmen wir diesen Prozess jedoch an, so kann nach Rovelli der Übergang, der sogenannte Tunneleffekt, von einem schwarzen in ein weißes Loch gelingen. Was geschieht nun? Faktisch wird indessen die Materie, die in dem schwarzen Loch gesammelt wurde, im weißen Loch übernommen, jedoch quasi rückwärts wieder heraus gestoßen. Daher kann aus einem weißen Loch auch nur Materie entkommen, aber keine hereinfallen. Der Zeitstrahl spielt dabei eine ganz zentrale Rolle bei Rovelli. Denn dieser wird ebenfalls durch den Tunneleffekt und weiter fortgeführt. Das Gesetz, dass die Zeit in nur eine Richtung geht, wird dadurch nicht verletzt. Was jetzt allerdings geschieht, ist erstaunlich: “Der Begriff Planck-Stern bezeichnet das gesamte Phänomen: den ins schwarze Loch stürzende Stern, den Rückprall und das weiße Loch, bis alles wieder austritt”. Dieser Rückprall hat zur Folge, dass die Zeit zwar weiterhin in eine Richtung geht, es aber eine zeitliche Rückwärtsentwicklung gibt. Dieses Phänomen könne man “umgekehrtes Universum” nennen, was die Entwicklung des Universums wieder zurück auf den kleinsten, unendlich dichten Punkt führt: den Punkt vor dem Urknall. In diesem “umgekehrten Universum” würde theoretisch auch das, was geschehen ist, rückwärts wieder geschehen. Konkret: Ein Glas, das auf den Boden fällt und zerschlägt, fällt im “umgekehrten Universum” vom Boden auf den Tisch und ist unversehrt.

In der Theorie scheint es also zu funktionieren: “Es wird von den uns verfügbaren Gleichungen erfasst und beschrieben. Die Gleichungen der Quantengravitation beschreiben eine Welt, die reicher ist als ein einfaches raumzeitliches Kontinuum.” Die Schwierigkeit, die noch bleibt, ist die Berechnung des eigentlichen Übergangs. Sie würden jedoch laufen und basieren auf der von Rovelli und Smolin entworfenen Theorie der Quantenmechanik. Ob wir tatsächlich jemals ein weißes Loch zu Gesicht bekommen, bleibt fraglich. Ist es doch nur eine rein mathematische Spielerei oder tatsächlich ein Versuch, die allgemeine Physik mit der Quantenmechanik anhand schwarzer und letztlich weißer Löcher zu vereinen? Das wird, nun ja, die Zeit zeigen.