Sag niemals nie, lehrte mich mein Vater. In den Worten lag Bitterkeit und Wissen. Doch das hat er ins Grab mitgenommen.

Ob er etwas Schreckliches erlebt hatte, ob er gar etwas Schreckliches getan hatte? Zu etwas gezwungen wurde zu das er geglaubt hatte niemals fähig zu sein? Ich weiß es nicht. Etwas Schreckliches gesehen hat er sicher genug. Doch geredet hat er nie darüber. All die Bilder in meinem Kopf, die Geschichten, hat nicht er mir erzählt. Meine Mutter tat es.

Dass sie ihn nicht wiedererkannt habe, als er aus der Gefangenschaft kam. Abgemagert, krank. Ein junger Mann, ein Junge noch. Eingezogen in den Volkssturm kurz vor Kriegsende.

Ich weiß nicht mehr, ob er sich jemals explizit geäußert hatte dazu. Doch ich weiß, dass ich jedesmal, wenn ich an der Bergstraße zwischen Weinheim und Heidelberg entlangfahre, zwischen blühenden Obstbäumen im Frühjahr daran denken muss, dass dort die Deserteure hingen. An den Bäumen. Das hatte er mir erzählt. Denn er war abgehauen. Zu groß war die Angst. Nicht zu wissen, wer ihn erwischt: Würde er auch hängen, wie die, die er sah? Oder würde er aufgrund seiner Wehrmachtsuniform gefangen genommen werden im besten Fall.

Auf der Flucht sein, den Tod vor den Augen. Erwischt werden von den Tommys, den Briten. In einem Lager landen bei Bensheim. Fast am Typhus krepieren. Mutterseelenallein.

Sie gaben ihn raus, weil sie ihn aufgegeben hatten.

Über die Angst, die er ausstand, redete er nie. Ob es Gnade gab, Gesten der Menschlichkeit im Lager?

Sein Vater suchte seinen Ältesten. Einen Leiterwagen ziehend ging er die Bergstraße entlang. Von Ort zu Ort, von Lager zu Lager und fragte nach seinem Sohn. Bis er ihn gefunden hatte, ihn mehr tot als lebendig auf den Leiterwagen legte und ihn heim zog. Welche Sorge, welche Erleichterung für die Eltern. Ich sehe meine Großmutter vor mir, eine weiche, herzliche Frau, zermartert von Angst um ihren Sohn. Stelle mir vor, wie sie in Tränen ausbricht, ihn in die Arme schließt. Weint. Die Angst, dass er nicht mehr gesund würde und die Bereitschaft alles zu tun, dass er es wird.


Nicht weit von hier und auch weiter weg wiederholt sich diese Geschichte. Wird es irgendwann vorbei sein? So vieles scheint in Wiederholung zu gehen - tun wir alles dafür, dass nicht.

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