Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) The Race Is Close Because Harris Is Running a Brilliant Campaign
Der Artikel beschreibt die Herausforderungen und Erfolge der Wahlkampagne von Kamala Harris im Präsidentschaftswahlkampf 2024, nachdem sie Joe Biden als demokratische Kandidatin abgelöst hat. Harris begann ihre Kampagne in einer schwierigen Position, da die Biden-Administration äußerst unbeliebt war. Trotz dieser Widrigkeiten hat sich Harris von einer anfangs fast aussichtslosen Kandidatin zu einer Konkurrentin auf Augenhöhe entwickelt. Der Artikel hebt hervor, dass Harris, obwohl sie zunehmend in der politischen Mitte agiert, von der linken Flanke ihrer Partei kritisiert wird. Diese Kritiker werfen ihr vor, wichtige progressive Anliegen zu ignorieren und stattdessen konservativere Wähler zu umwerben, um die Wahl zu gewinnen. Dennoch haben sich ihre Umfragewerte verbessert, was teilweise auf die geschickte Wahlkampfstrategie und die Schwächen ihres Kontrahenten Donald Trump zurückzuführen ist. Während Harris versucht, moderate Wähler zu gewinnen, sorgt ihre Kampagne für Spannungen innerhalb der Partei. Linke Stimmen argumentieren, dass die Demokraten das Potenzial hätten, eine größere Veränderung herbeizuführen, wenn sie sich von der Mitte abwenden würden. Dennoch bleibt Harris' Strategie, die Mitte zu umwerben, ein wesentlicher Grund für ihre zunehmende Popularität. Ob dies für einen Wahlsieg ausreicht, bleibt ungewiss. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Ergänzend dazu betont Bill Scher, wie Gaffe-frei Harris' Wahlkampf ist. Ich finde diese Punkte höchst relevant. Es ist völlig müßig festzustellen, dass Trump keine Chance haben sollte. Im politischen Klima und politischen System der USA ist seine Chance 50:50. That's just the way it is. Dazu kommt, dass manche Grundregeln der Politik eben immer noch gelten, vor allem für diejenige Seite, die immer noch in der Realität verankert ist, und das heißt: Kamala Harris. Sie ist de facto eine Amtsinhaberin, auch wenn da eigentlich Joe Biden sitzt, und Joe Biden ist zutiefst unpopulär. Seine ganze Regierungszeit, ob unfair oder nicht (und es ist absurd unfair) ist unpopulär. Genauso wenig wie Biden 2020 der Favorit war ist Harris es 2024. Beide müssen versuchen, einen Wahlkampf zu machen, der ihre jeweiligen Nachteile ausgleicht. Biden ist das haarscharf gelungen. Wenn die aktuellen Umfragen halten, wird Harris dasselbe gelingen. Clinton gelang es 2016 nicht. Wir werden sehen, wie sich das weiter entwickelt.
2) Wo Mark Zuckerberg Recht hat
Der Artikel beleuchtet die anhaltende Auseinandersetzung zwischen Mark Zuckerberg und der EU in Bezug auf den Datenschutz. Nach mehreren Auseinandersetzungen, einschließlich eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs, hat Meta zugesagt, keine Nutzerdaten aus der EU für KI-Systeme zu verwenden. Zuckerberg äußerte Unmut über die Einschränkungen in Europa und betonte, dass ohne Daten kein Fortschritt in der KI möglich sei. Der Artikel hinterfragt die ethische Haltung Europas, einerseits von technologischen Fortschritten zu profitieren, andererseits aber die dafür benötigten Daten nicht bereitzustellen. Es wird betont, dass Europa Gefahr läuft, digital und wirtschaftlich abgehängt zu werden, wenn es keinen neuen Umgang mit dem Datenschutz findet. Gleichzeitig wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, einen ausgewogenen Weg zu gehen, der sowohl ethische Verantwortung als auch technologischen Fortschritt ermöglicht. Das geplante Forschungsdatengesetz der Ampelkoalition könnte eine Brücke zwischen Datenschutz und Innovation schaffen, ähnlich wie das Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Der Artikel fordert eine Balance zwischen dem Schutz persönlicher Daten und der Förderung wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen. (Jan-Martin Wiarda)
Die deutsche Obsession mit dem Datenschutz geht mir ja schon eine ganze Weile gehörig auf den Senkel, ich habe das hier immer und immer wieder besprochen. Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Fortbildung zu Podcasts im Unterricht, die statt der Podcasts im Unterricht größtenteils auf damit beschäftigt war zu klären, inwiefern ihr Einsatz überhaupt datenschutzrechtlich möglich ist. Auch eine Fortbildung zu KI und ihrem Einsatz im Unterricht rannte ständig in die Mauer des Datenschutzes. Und das ist nur der Schulteil. In der Wissenschaft ist das Ganze mindestens genauso schlimm. Überall dient der Datenschutz vor allem dem Verhindern von etwas. Das kann doch nicht Sinn der Sache sein. Angesichts dessen, wie zurückgefallen ganz Europa bei digitalen und internetwirtschaftlichen Themen nicht nur bei der Infrastruktur ist (und ich halte das für mehr als Korrelation!), ist das ein wichtiges Thema. Und eines, dem sich eine "Fortschrittskoalition", noch dazu eine mit einer Partei, die sich explizit Deregulierung und Entbürokratisierung verschrieben hat, gerne hätte annehmen dürfen. Eine der vielen verpassten Chancen.
Helen Andrews argumentiert in ihrem Essay, dass die moralische Diskussion in der modernen Gesellschaft zunehmend in materialistischen und empirischen Begriffen geführt wird, anstatt auf klaren moralischen Grundlagen zu basieren. Sie bezieht sich dabei auf die Theorie von Rebecca West, die beschreibt, wie moralische und religiöse Anliegen früher in wirtschaftliche oder politische Sprache übersetzt wurden und umgekehrt. Andrews kritisiert, dass moralische Fragen heute oft in sozialwissenschaftlichen und utilitaristischen Begriffen gefasst werden, was zu einer Art "blutleeren Moralisierung" führt. Sie hebt Beispiele wie die Argumentation der US-Gerichte zu jugendlichen Straftätern und die Abhängigkeit von empirischen Studien hervor, um moralische Urteile zu fällen. Dies zeigt, dass Entscheidungen, die eigentlich auf ethischen Prinzipien beruhen sollten, oft durch wissenschaftliche Beweise gestützt werden, die nicht immer die moralische Dimension erfassen können. Andrews argumentiert, dass dies zu einem Verlust an moralischer Klarheit führt, da politische und gesellschaftliche Diskussionen auf statistischen und empirischen Grundlagen anstatt auf ethischen Überzeugungen beruhen. Schließlich plädiert Andrews für eine Rückkehr zu moralischen Autoritäten, die nicht auf wissenschaftlicher Expertise, sondern auf Integrität, Weisheit und moralischem Anstand beruhen. (Helen Andrews, First Things)
Dieser Artikel von 2014, über den ich zufällig gestolpert bin, bleibt in meinen Augen weiterhin sehr aktuell. Er ist für eine Betrachtung eines mittlerweile schon beinahe Reliktstatus genießenden Konservatismus interessant, denn hier werden nicht nur explizit moralische Argumentationen aufgemacht (erfrischend angesichts der heuchlerischen Leugnung, die gerade unsere Konservative bei dem Thema an den Tag legen), sondern auch Schlüsse gezogen, die sich einer politischen Gesäßgeografie weitgehend entziehen. Ich betone vor allem diesen Teil als pars pro toto der lesenswerten Aspekte: "Finally, there are those who rightly complain that social science has made politics dull. This is not a frivolous point. Edward Banfield, the great theoretician of urban politics, observed that when the big-city bosses were replaced by colorless reformers, the lower and working classes stopped paying attention to urban politics. The decline in entertainment value led to a decline in participation among those who needed local politics most, as one of the very few arenas where they could make their voices heard. Dullness is regressive." Ich glaube, dahinter steckt viel Wahrheit. Die Politik zu professionalisieren und effizient zu machen, auf empirische Grundlagen zu stellen und so weiter gefällt zwar Leuten wie mir, ist aber vielleicht für ein demokratisches Gemeinwesen gar nicht so gut.
4) Angriff auf Alleinerziehende
Der Artikel kritisiert die geplante Reform des Unterhaltsrechts durch Justizminister Marco Buschmann (FDP). Er hebt hervor, dass das aktuelle Residenzmodell („Eine(r) betreut, eine(r) bezahlt“) vor allem Alleinerziehende, meist Mütter, unterstützt, die die Hauptlast der Kindererziehung tragen. Die vorgeschlagene Änderung sieht vor, dass Väter, die zwischen 30 und 50 Prozent der Betreuung übernehmen, weniger Unterhalt zahlen müssen. Dies könnte die finanzielle Lage Alleinerziehender weiter verschlechtern, da diese den wegfallenden Unterhalt durch mehr Erwerbsarbeit ausgleichen müssten. Der Artikel kritisiert zudem, dass die Bewertung und Dokumentation der Betreuungsleistungen der Väter unklar bleibt, was zu weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen führen könnte. Dies würde Kinder, die bereits unter den Trennungskonflikten leiden, zusätzlich belasten. Zudem warnt der Artikel vor einer Schwächung der mütterlichen Sorgerechte, insbesondere durch die mögliche Einbindung von Großeltern in das Sorgerecht. Insgesamt wird die Novelle als frauenfeindlich beschrieben, da sie die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung von Alleinerziehenden untergrabe und Kinder zum Spielball von Machtkämpfen zwischen Eltern mache. Abschließend wird gefordert, dass sich die Familienpolitiker der Grünen und SPD zu einer kinderfreundlichen Lösung positionieren. (Udo Knapp, taz)
So sehr ich jederzeit für eine Stärkung von Alleinerziehenden, der wohl vom System diskriminiertesten Gruppe Menschen, bin, so kopfschüttelnd lässt mich Knapps Artikel zurück. Denn natürlich ist es die gesellschaftliche Realität, dass die meisten Alleinerziehenden Frauen sind; geschenkt. Aber es quasi als Naturgesetz hinzustellen, dass das so sein muss, noch dazu mit der völlig unsubstanzierten Behauptung, die Kinder wären grundsätzlich bei der Frau besser aufgehoben, ist auch eine Sache, die Knapps ostentativem Anliegen wenig dient: Geschlechterrollen festzuschreiben ist kein probates Mittel. Die Verbesserung der Position von Alleinerziehenden und ein für alle Beteiligten faireres System schließen sich ja nicht aus. Denn die bisherige Aufteilung der Unterhaltszahlungen und Betreuungsmodelle ist grotesk veraltet. Dass Probleme existieren kann ja kein Grund sein, die bisherigen nicht zu lösen.
5) ‘Eat your greens’ politics brings its own dangers
Der Artikel beleuchtet die politischen Strategien von Rishi Sunak und Keir Starmer, wobei beide unterschiedliche Ansätze verfolgten. Sunak scheiterte, weil er versuchte, die erfolgreichen Zeiten der konservativen Ära Thatcher-Lawson nachzuahmen, ohne jedoch die schwierigen wirtschaftlichen Maßnahmen umzusetzen, die damals den Grundstein legten. Er wollte Steuersenkungen, ohne die notwendigen fiskalischen Einsparungen vorzunehmen. Dies führte letztlich zu seinem Scheitern bei den Wahlen. Keir Starmer hingegen setzt auf eine „Eat-your-greens“-Politik, bei der er die Notwendigkeit harter Entscheidungen betont. Er plant höhere Steuern und keine kurzfristigen Verbesserungen der öffentlichen Dienste, mit der Hoffnung, langfristig Wachstum und Vertrauen zu gewinnen. Der Ansatz soll die Bevölkerung darauf vorbereiten, dass es zunächst schwierige Zeiten geben wird, bevor positive Entwicklungen sichtbar werden. Der Artikel kritisiert jedoch, dass diese Strategie möglicherweise nicht ausreicht, um das Wirtschaftswachstum zu fördern. Maßnahmen wie digitale Infrastrukturresilienz und Dekarbonisierung sind notwendig, bringen aber keine direkten Wachstumsimpulse, da sie weltweit erforderlich sind. Stattdessen sollte Starmer mehr in bereits erfolgreiche britische Sektoren wie Pharmazie, Gaming und Finanzdienstleistungen investieren, um stabile Einnahmen zu generieren und die dringenden Herausforderungen zu bewältigen. Nur so kann Großbritannien langfristig prosperieren. (Stephen Bush, Financial Times)
Ich bin immer endlos fasziniert von diesen politischen Dynamiken, besonders was die Klimakrise betrifft. Denn wie Bush beschreibt gibt es einfach eine Anzahl notwendiger Policies, die keinerlei Wachstumseffekte oder Ähnliches bringen, sondern die Geld kosten. Die aber eben auch notwendig sind, um der Klimakrise zu begegnen. Nur steht da die politische Herausforderung dahinter, diese Policies zu verkaufen. Ich glaube übrigens auch nicht, dass das ein Demokratieproblem ist; auch Diktaturen haben dieses Problem. Die machen zwar keine Abstimmungen, aber jede Diktatur ist sensibel für die Stimmung in der Bevölkerung. Der Diktator, der Dinge gegen den Bevölkerungswillen macht, einfach nur weil es geboten ist, und ohne dass es ihm etwas bringt, muss noch erfunden werden.
Resterampe
a) Dieser Blick in die Finanzen des Trump-Clans ist absolut faszinierend.
b) Ich kann nur Jonas' Beobachtungen und Gefühle zum Kühnert-Rücktritt unterschreiben.
c) Die Wahl und die Inflation.
d) Zur von Lars Feld geforderten Lohndebatte.
e) Tolle Twitterdebatte zu der Perzeption von Trumps Chancen.
f) Die BILD (!) nimmt Thomas Gottschalk wegen seines Unfugs auseinander.
g) Der Merz-Faktor bleibt ein Problem für die CDU. Kein großes, mind you.
h) Jepp.
i) Deutschland braucht die Widerspruchslösung. Absolut.
j) Ich hab ein Gefühl dass ich weiß wie der Charaktertest ausgehen wird.
k) True.
l) Guter Punkt zu Siedlerkolonien.
m) Schöne Erklärung des SPD-Steuerkonzepts.
n) Credit where credit is due.
o) Ich erkenne ein gewisses Problem mit der Klassifikation.
p) Grenzkontrollen: Armin Laschet wird kontrolliert und spricht von »Symbolpolitik«. No shit :D
q) BILDUNG: Söders falsches Leistungsverständnis - Schluss mit den Exen!
r) Republicans think everything is terrible. "Vibes all the way down." Dazu: Republicans remain convinced that they’re failing financially.
t) Zustimmung beim Thema Erbschaftssteuer.
u) Leider auch wahr.
Fertiggestellt am
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