Es ist Pandemie und Familie Heisen trifft sich zum Adventskaffee. Obwohl Familie Heisen (senior), Familie Heisen (junior) und Familie Rodel etwas mehr als zwei Haushalte sind, ist es ja doch eigentlich eine Familie, und schließlich fühlen sich auch alle sehr gesund und außerdem wird man die Familie ja auch noch treffen dürfen.

Der Kaffee von Oma Ursula ist zu stark, davon kriegt Anette Heisen-Rodel Magenschmerzen, ihre 14jährige Nichte Muriel hat die Bauchschmerzen schon mitgebracht, und Muriels Papa Corbinian wollte welche haben, um zuhause auf dem Sofa vor sich hinzustarren. Seit einer Stunde wird Butter- und Baumkuchen verzehrt, nur Corbinians Frau Stefanie macht Vorweihnachtsdiät und isst die fünfte Apfelsine zur fünften Tasse Kaffee.

Es ist eine schwere Zeit.

Personen:

Ursula Heisen, berentet: Oma

Dieter Heisen, berentet, früher Schifffahrtskaufmann: Opa

Anette Heisen-Rodel, Physiotherapeutin: Tochter von Ursula   und Dieter

Dr. Martin Rodel, Tierarzt:  Ehemann von Anette

Corbinian Heisen, Dipl.Ing.:   Sohn von Ursula und   Dieter

Stefanie Heisen, Kinderärztin:   Ehefrau von Corbinian

Leon Heisen (17):  Sohn von Stefanie und Corbinian

Muriel Heisen (14):  Tochter von Stefanie und Corbinian

Anton Heisen (9): Sohn von Stefanie und         Corbinian

Geschlossener Vorhang, Kaffeeklatsch-Gemurmel. Vorhang auf.

Langer Tisch mit Kaffee und Kuchen, weißer Tischdecke und vorweihnachtlichen Tannenzweigen.

Dieter:

Bei Vahlenkamps ist neulich eingebrochen worden.

Stefanie:

Wirklich? Bei Vahlenkamps? Hast du gar nicht erzählt, Muri.

Muriel:

Woher soll ich denn wissen, wo hier eingebrochen wird?

Stefanie:

Benni Vahlenkamp geht doch in deine Klasse, oder. Den mochte ich immer gerne, plietscher Kerl, und hübsches Kind vor allem.

Muriel:

Tausend Leute gehen in meine Klasse.

Ursula:

Frau Vahlenkamp geht gar nicht mehr raus, furchtbar ist das. Dieses schreckliche Jahr. Das kann man sich alles gar nicht vorstellen. Frau Vahlenkamp hat ja früher immer im Asylantenheim geholfen, ganz toll hat sie das gemacht, ehrenamtlich! Obwohl die Kinder da noch ganz klein waren. Das sind ja ganz arme Menschen, diese Asylanten.

Leon:

Und wie ist da eingebrochen worden, wenn Frau Vahlenkamp immer zuhause ist?

Dieter:

Die schrecken ja vor nichts zurück.

Corbinian:

Ich habe gerade nicht zugehört, wer schreckt vor nichts zurück?

Ursula:

Die Migranten!

Muriel:

Oma spinnst du eigentlich?

Ursula:

Muriel, es gibt immer solche und solche, das ist immer so. Das wirst du auch noch merken.

Anette:

Also naja, das ist ja jetzt-

Muriel:

Es gibt solche und solche? Und solche brechen dann bei den ordentlichen Leuten ein? Wie tickt ihr eigentlich? Das ist widerlich.

Corbinian:

Ach Muri.

Ursula:

Es ist ja nun mal Fakt, daß die Herkunft eine große Rolle spielt bei der Entwicklung. Guck doch mal, die Söhne von Vahlenkamps zum Beispiel-

Muriel:

Benni Vahlenkamp erpresst dicke Kinder bei Insta und Luca Vahlenkamp vertickt Joints hinterm Bäcker.

Stefanie:

Bitte was?

Corbinian:

Bitte lasst es doch jetzt. Es ist doch alles sowieso schon schlimm genug.

Muriel:

Ihr versteht nichts. Gar nichts. Alle.

Martin:

So. Wir wollen jetzt mal hoffen, dass das alles bald wieder gut ist, und bis dahin heisst es einfach durchhalten.

Anette:

So einfach ist das nicht, Martin.

Martin:

Doch.

Anette:

Vielen Menschen geht es überhaupt nicht gut, und dein bizarrer Optimismus hilft hier überhaupt nicht weiter.

Anton:

Papa hat neulich auch geweint.

Ursula:

Corbinian! Was ist denn los! Geht es dir wieder nicht gut? Fängt es wieder an?

Stefanie:

Gar nichts fängt an, es ist alles in Ordnung, Corbinian hatte einen hektischen Tag bei der Arbeit. Haben wir ja drüber gesprochen, Anton, es ist nicht leicht für die Menschen im Moment.

Anette:

Außer für Martin.

Martin:

Schnaps!

Stefanie:

Das Wichtgste ist, dass wir jetzt die Regeln einhalten und versuchen, von Tag zu Tag zu denken.

Ursula:

Ja. Die Regeln. Dieter und ich haben ja ein Attest für die Maske.

Anette:

Wie bitte? Was? Warum??

Ursula:

Weil mir so unwohl wird.

Anette:

Von wem habt ihr das?

Ursula:        

Von einem Arzt.

Martin:

Was hat denn das gekostet, wenn ich fragen darf?

Ursula:

70 Euro.

Corbinian:

Mama!

Ursula:

Das war sehr günstig.

Stefanie:

Ich nehme nie was für Atteste! Also für richtige Atteste! Für richtige Krankheiten!

Anette:

Mein Hausarzt nimmt 2,50.

Stefanie:

Wie heißt denn dieser Arzt!

Ursula:

Sag ich nicht.

Anette:

Das verstehe ich nicht, Steffi, wieso nimmst du nichts dafür?

Stefanie:

Weil ich blöd bin und nicht mit Geld umgehen kann.

Corbinian:

Ach wirklich.

Ursula:

Er muß ja geschützt werden, also der Arzt! Die armen Kinder fallen alle um wegen der Maske.

Stefanie:

Ich bin nicht mal sicher, welche Ziffer man da nimmt.

Martin:

Also nicht mal bei den Tierärzten gibt es eine 70-Euro-Ziffer.

Anton:

Oma, Mama sagt, ihr seid Schwurbler

Stefanie:

Das habe ich überhaupt nicht gesagt, ich habe eventuell-

Ursula:

So, wer möchte noch Sahne.

Muriel:

Es ist noch kein Kind wegen der Maske umgefallen.

Ursula:            

Was sagst du, Muriel?

Muriel:

ES IST NOCH KEIN KIND WEGEN DER MASKE UMGEFALLEN OMA!

Stefanie:

Muri, lass jetzt mal.

Dieter:

Also auf Fehmarn war es wunderbar.

Ursula:

Und das mit der Organspende, darüber denkt ihr nie nach.

Corbinian:

Was ist??

Ursula:

Zwangs-Organspende!

Dieter:

Ursel, lass jetzt mal.

Ursula:              

Da werden die Wesensglieder entzerrt.

Stefanie:

Bitte nicht das jetzt.

Martin:

Hat einer Bundesliga gesehen? Dieter, sag doch mal. Cörbchen du doch, oder.

Muriel:

Was sagt Oma? Was soll das denn sein?

Leon:

Ich geh mal eben zum Auto.

Leon geht ab.

Anette:

Mama.

Anton:

Leon geht rauchen.

Muriel:

Ja genau, immer schön denunzieren, damit man es allen Recht macht, Anti. Ihr seid so ekelhaft.

Ursula:

Wir werden alle gezwungen.

Martin:

Kein Mensch zwingt dich zu irgendwas.

Auftritt Leon.

Dieter:

Auf Fehmarn mussten wir keine Masken tragen.

Martin:

Sag mal Cörbchen, was sagst du eigentlich zu Köln. Seit 91 nicht mehr in Dortmund gewonnen, 91!

Corbinian:

Ich heiße nicht Cörbchen, verdammt nochmal, seit 20 Jahren nicht. Das verstehst du einfach nicht, oder?

Leon:

Da hat irgendwer was in den Garten gestellt.

Ursula:

Das ist nicht irgendwas, das ist die Akasha-Säule.

Corbinian:

Die was? Das verstehe ich nicht.

Ursula:

Das versteht ihr ja doch nicht.

Türklingeln. Ursula springt freudig auf und rennt von der Bühne.

Muriel:            

Wer ist das?

Dieter:

Das ist der Expressversand.

Martin:

Dieter, es gibt da Sachen, über die wir mal reden müssen.

Dieter:            

Wie geht´s in der Praxis, Martin.

Anette:

Papa, ich bin auch der Meinung, dass das jetzt also Ausmaße annimmt-

Muriel:

Weiß eigentlich einer von euch, wie das ist, wenn man überhaupt keinen Bock mehr hat?

Corbinian:

Ich habe überhaupt kein Bier.

Stefanie:

Ich habe das Gefühl, dass das hier zu nichts führt.

Anette:

Ich habe Angst um euch, Papa.

Martin:

Ich habe eine wie immer hypernervöse Frau.

Anton:

Ich hab zuhause noch Hausaufgaben.

Auftritt Ursula mit einem völlig überdimensionierten Glitzerstein auf dem Arm.

Ursula:

Wir haben Orgonit!

Vorhang.