14 Uhr: Ich bin noch halb im Traum, als ich meine Augen aufreiße und versuche im Hier und Jetzt klarzukommen. Mit einem Aspirin Complex direkt auf dem Schlafsofa eingenommen versuche ich sowohl den Alkoholgeschmack im Mund als auch die Übelkeit loszuwerden.
14.30: Die letzten Minuten hatte ich über den letzten Abend nachgedacht – sinnlos. Ich erinnere mich nur zur Hälfte. Kurzer Blick aufs Handy: 2 Termine heute. Einen kenn ich schon, einer ist neu. Neue Freier treffen bereitet Bauchweh.
15 Uhr: Unter der Dusche sehe ich dunkle Flecken und Schürfwunden auf der Haut – ein Erinnerungsblitz- der letzte Kunde war etwas „rauher“. Das heiße Wasser mildert den Muskelkater etwas ab und lässt mich Schmerzen vergessen. Manchmal ist es auch die Zeit, in der ich weine. Direkt unter der Dusche ist es so schön unauffällig und lässt sich mit all den anderen Körperflüssigkeiten von mir abwaschen – bis ich wieder ganz trocken bin, äußerlich als auch innerlich. Heute kann ich nicht weinen, die Augen bleiben trocken, der Kopf stumpf.
16:00: Ich trinke Saft und Kaffee (Essen kriege ich ohnehin jetzt noch nicht runter) und schaue mir das Chaos im Zimmer an: auf der einen Seite liegt Kleidung, Schuhe, Make Up – auf der anderen Seite – auf und unter dem Schreibtisch: Bücher, Zettel, ungeöffnete Briefe (Rechnungen). Beim Anblick der Bücher überkommt mich eine leichte Unruhe – wann war ich das letzte Mal an der Uni? Ich möchte die Unisachen aufräumen, bekomme aber Herzrasen, so dass ich schnell davon ablasse. Stattdessen gleitet mein Blick zu den Briefen. Wer will wieder Geld von mir? Mir wird klar: ich werde diesen Monat etwas mehr arbeiten müssen. Uni muss warten. Wie immer.
Seufzend räume die Klamotten in den Schrank und versuche ein wenig Ordnung zu machen.
17 Uhr: Ich mache mich zurecht und suche mir Wäsche aus. Sie wollen meist rot an mir, manchmal auch weiß („passt so toll zu deiner Hautfarbe“). Mache Haare und Make Up. Privat schminke ich mich nicht mehr, Make Up ist für mich praktisch Arbeitsuniform – es ist auch gleichzeitig Schutz. Schutz davor, dass die Freier den echten Menschen hinter der Hure sehen. Genauso ist es mit dem Parfum an mir: sie sollen so wenig wie möglich zum wahren Kern von mir: also bekommen sie von mir den falschen Duft, das falsche Gesicht, die Wäsche, die ich privat nie tragen würde, den falschen Namen.
17.30: Unterwegs mit U- und Straßenbahn. Taxis nehme ich höchstens für die Rückfahrt, und auch da nur wenn ich es mir leisten kann. Die wenigsten Freier zahlen Fahrtgeld, sie bestellen dann lieber eine Hure, die kein Fahrtgeld nimmt. Frankfurt ist zum Glück gut mit Nahverkehr ausgestattet. Typen, die mich auf der Straße / in der U-Bahn belästigen bemerk ich kaum: etwas später wird irgendwer für etwas Geld in mich eindringen – was interessiert mich da Catcalling?
18:00 Wir haben uns in der Nähe seiner Wohnung in einer Bar verabredet. Zu Unbekannten in die Wohnung trau ich mich nicht. Solange ich mit Escort Agenturen arbeitete, ging ich auch zu Unbekannten, es hieß die Agentur würde ja Schutz bieten. Eins der vielen Märchen, um naiven Mädchen das Gefühl von Sicherheit zu geben, während sie jedesmal ihr Leben riskieren. Die Agenturen können die Kunden nicht überprüfen und schicken uns Mädchen überall hin, wo das Geld ruft. Mit einem kurzen Kennenlernen in einer Bar fühle ich mich etwas sicherer. Dennoch weiß ich: Sobald wir bei ihm sind, kann mir niemand helfen. „Besondere Sicherheitsmaßnahmen“ - gibt es nicht. Der Freundin Bescheid geben und die kontaktiert die Polizei, falls man sich nach dem Date nicht mehr meldet – bis dahin kannst du schon längst verprügelt, vergewaltigt, ausgeraubt oder zerstückelt sein. Über Gewalt und Morde an Prostituierten kann man genug nachlesen.
Jedenfalls weiß ich über die Gefahr Bescheid als wir nach einem kurzen Kennenlerngespräch und 2 Glas Wein später zu ihm gehen. Nüchtern kann ich keine Termine mehr machen.
Es war anstrengend immer wieder zu sagen, dass ich nicht ohne Gummi möchte. Es war anstrengend, halbwegs so zu tun, wie wenn es mir gefallen würde. Meine Schenkel und mein Nacken schmerzten, als er endlich fertig war. Die Scheine in der Hand verlasse ich gegen 20 Uhr seine Wohnung. Ich fühle mich leer. Zum Glück keine Zeit zum Nachdenken. Der nächste Termin steht an.
20:30 Er ist Stammkunde und in der Regel macht er etwas zu Essen, bietet leckeren Wein an und lässt schöne Musik spielen. Er findet es großartig, dass ich studiere. Über Literatur, Politik und Reisen möchte er reden. Fernöstliche Philosophien findet er dabei genauso spannend, wie mir das Terroir beim Wein zu erklären. Eine wissbegierige, vielseitig interessierte Studentin mit exotischem Einschlag. Das möchte er. Und das bekommt er: eine traumatisierte Studentin mit Flucht-und Migrationshintergrund, aus armer Arbeiterfamilie, bereits verschuldet, mit der perfekten Gabe sich innerlich wegzubeamen, während sie äußerlich anwesend Gespräche über Film Noir führt. Er bezahlt für den schönen Schein. Für die „Exotik“. Nicht für die Trauer und Verzweiflung in mir. Kurz vor dem Akt stellt er die Musik auf Klassik um. Ich kenne den Ablauf schon. Er ist alt, er könnte mein Opa sein – was er auch stolz zwischendurch erwähnt. Sein Schweiß tropft von seinem grauen Brusthaar auf mein Gesicht. Ich versuche den Ekel zu verkneifen. Immerhin tut er mir nicht weh denk ich. Einer der wenigen, die mir nicht weh tun. Bei seinen letzten Stößen zähle ich zusammen, was ich heute verdient habe und wieviel ich noch diese Woche verdienen muss.
24 Uhr: Noch betrunken torkele ich in mein Bett. Ich sehe, dass ich Anrufe von Mama verpasst habe. Mama. Mir wird schwer ums Herz. Und dann passiert es endlich. Die Tränen fließen aus mir raus. Ich weine mich in den Schlaf.
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