Für mich ist Diskretion sehr wichtig. Ich schreibe deshalb nie viel über meine Kunden. Kurze Begebenheiten, manchmal etwas mehr, aber nie mehr als nötig. Und wenn, dann lasse ich mir ein paar Tage Zeit, verändere kleine Details und vielleicht die Örtlichkeit.

Dann wird aus dem 50jährigen blonden Mann mit Bart im Hotel eben ein 40jähriger mit Glatze bei sich zuhause - Hauptsache die wesentlichen Punkte der Begebenheit kann ich erzählen ohne befürchten zu müssen, dass sich jemand wieder erkennt oder dass ich zu viele Infos über mich preisgebe. Das funktioniert gut und bleibt hoffentlich auch so.

In diesem Fall muss ich auf sowas nicht mehr achten, denn der Kunde, über den ich schreibe, kann es nicht mehr lesen. Und es gibt wohl auch keine Angehörigen, die auf diesen Text stoßen könnten. Erkennen wird ihn wohl auch keiner, denn Hartmut, bzw. Hardy wie er lieber genannt werden wollte, war einer von vielen mitten unter uns, die alleine vor sich hin lebten und kaum jemandem groß auffielen.

Er war über 70 und als er mich das erste Mal buchte, hatte ich gerade angefangen, als Sexworkerin zu arbeiten. Natürlich liegen da Gedanken nahe, warum sich ein Mann im Rentenalter jemanden bucht, der nicht mal 20 ist. Und ja, vielleicht war seine Motivation auch, mit einer Frau zusammen zu sein, die seine Enkelin sein könnte. Wie dem auch sei, es war einvernehmlich und das genügt mir.

Obige Gedanken vergingen nach ein paar Begegnungen. Er behandelte mich immer sehr höflich, ohne dass es aufgesetzt oder albern wirkte und wir hatten angenehme Treffen. Ein paar Vorbehalte hatte ich anfangs auch, schließlich war der Altersunterschied nicht einseitig. Alte Menschen sind schließlich unattraktiv, müffeln und was da so alles an Vorurteilen mitschwingt. War aber nicht so. Klar war sein Körper nicht mehr der eines Zwanzigjährigen, aber er war gepflegt und roch sogar ziemlich gut.

Waren wir zusammen, dann gab es stets zunächst ein Glas Marsala im Wohnzimmer und es wurde ein wenig geredet. Nichts Tiefschürfendes, aber auch kein belangloser Smalltalk. Er interessierte sich für meine Tiere, fragte wie es mit dem Laufen ist, denn damals hatte ich gerade damit begonnen oder ob ich einen Tipp für Netflix hätte.

Umgekehrt erzählte er mir von den Reisen, die er unternommen hatte, welches Buch er gerade las oder welche Nachrichten ihn beschäftigten. Sex gab es danach natürlich auch und dank gewisser blauer Hilfsmittel klappte das meistens auch recht gut.

Ich war immer wieder gerne bei ihm und wäre nicht die sexuelle Komponente gewesen, hätte es auch eine Beziehung wie zu einem Opa sein können. Wenn ich bei ihm war, war er stets gut drauf, hellwach und ächzte nicht einmal beim Aufstehen.

Aber zwischen den Terminen gab es immer wieder Pausen, die über die Zeit länger wurden. Er redete nicht gerne darüber, doch natürlich merkte ich, dass er mit einigen Krankheiten zu kämpfen hatte, die ihn immer mehr Kraft kosteten. Er war mehrmals für Wochen im Krankenhaus und ich begriff irgendwann, dass es nicht nur gelegentliche Abwechslung war, wenn er mich buchte, sondern dass es zumindest in der späteren Zeit Stunden gewesen sein mussten, in denen er aufblühte und für die er lange seine Kräfte sammelte, um sie genießen zu können. Stunden, für die er lebte.

Im Mai besuchte ich ihn wieder und es war das erste Mal, dass er sagte, er fühle sich nicht fit genug für Sex und möchte einfach nur ein wenig kuscheln. Nächstes Mal dann aber wieder so richtig.

Das nächste Mal gab es nicht mehr. Er starb vor einigen Tagen. Bis zum Ende war er hellwach im Kopf und hatte sogar daran gedacht, einer Pflegerin im Krankenhaus meine Nummer zu geben, damit sie mich informieren könne, wenn er einschläft.

Es ist nicht immer einfach nur Sex. Nicht einfach nur eine Geschäftsbeziehung. Wir alle sind Menschen, wir alle haben Gefühle.

Jetzt sitze ich hier, schreibe diese Zeilen und trinke ein Glas Marsala. Auf dich, Hardy. Danke für die vielen respektvollen und angenehmen Termine. Ich hoffe, du bist jetzt an einem schönen Ort und amüsierst dich prächtig über uns und unsere albernen Sorgen hier unten. Ich werde dich nicht vergessen.