Berlin / Kabul 17.08.2021 #Afghanistan #USA #Taliban #Bundeswehr
Ein Text über Rettung, Bundeswehr und die verzweifelte Hoffnung.
Sieben
Nach dem viel zu späten Rettungsstart konnte die Bundeswehr bei dem ersten Flug gerade einmal sieben Leute retten und das mit einer Maschine, welche für 114 Menschen einen Platz bieten würde. Deutschland hat verschlafen und dies an so vielen Ecken und Kanten. Es scheint kaum möglich alle Fehler aufzuzählen und je tiefer man in der Materie gräbt, umso mehr zeigt sich ein Bild - ein Bild von einer unfähigen Sicherheitsstruktur. Die Bundeswehr kann diesmal selbst am wenigsten für diesen Fehler, so zumindest die Kontakte. Man hat der Bundeswehr schlicht keinen Auftrag erstellt und dieser ist zwingend. Die Luftwaffe, das Heer oder die Marine können nicht einfach selbständig agieren und vor allem nicht außerhalb des Landes. Für solche Aufträge bedarf es einer Zustimmung unseres Parlamentes, normalerweise vorher. In gewissen Situationen darf die Regierung entscheiden und das Parlament dann anfragen. Am Ende bleibt aber genau hier ein Versagen. Spätestens am Freitag hätte man starten müssen. Die USA und die Briten sendeten Truppen nach Kabul, am Ende mehr als vorher veranschlagt. In Deutschland war man zu diesem Zeitpunkt noch ruhig und man tat einfach nichts. Keine Vorbereitungen, kein Go und vor jedem anderen Punkt: Keine Rettung.
Jetzt scheint es zu spät. Die Taliban sind dazu übergegangen nur noch Personen mit ausländischem Pass in die Nähe des Flughafens zulassen, zumindest erzählt man dies und auch einige Medien berichten so. Wie und ob man noch Ortskräfte zum Flughafen bringen kann, ist so eher ungewiss. So kam es auch, dass die Bundeswehr nur sieben Menschen außerhalb des Landes brachte. Laut eine Quelle waren darunter keine »deutschen Ortskräfte«.
Die USA haben sogar ein Flugzeug überladen. Mit der Maschine von Typ c-17 wurden etwa 640 afghanische Zivilisten ausgeflogen. Eigentlich ist dieses Flugzeug für maximal 134 Passagiere ausgelegt, doch die Mannschaft wollte die Menschen nicht hinausschicken. Einsatz für Leib und Leben. Laut Defense One hätten sich die Menschen in das Flugzeug gedrängt und seien über eine halboffene Rampe ins Innere gelangt.
Botschaft: Versagen des Auswärtigen Amtes
Nicht nur die Bevölkerung und die ehemaligen Ortskräfte spüren die Probleme, auch das Auswärtige Amt hat versagt und das Botschaftspersonal unnötigen Risiken ausgesetzt. Das zeigt eine ARD-Recherche, nach dieser wartete man bereits am Freitag auf ein GO. Während die britische Botschaft, welche fast direkt nebenan ist, schon in hektische Betriebsamkeit ausbrach, musste man in der deutschen Botschaft noch warten. Die ARD beruft sich auf Regierungskreise.
Fakt ist, die Amerikaner und Briten waren fleißig am Packen und begannen mit den Evakuierungsmaßnahmen, doch die deutsche Botschaft musste sogar den Samstag verstreichen lassen. Die Lage veränderte sich in der Zeit immer wieder und spitze sich zu. Am Sonntagmorgen, so die ARD, entschied man sich, mit einem Konvoi zur US-Botschaft zufahren, gesichert von Bundespolizisten. Von dort aus übernahmen die USA. Die Diplomaten und das Personal wurden mithilfe des Hubschraubers Boeing CH-47, besser bekannt als Chinook, zum Flughafen verbracht.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) erklärte am Sonntag dazu, dass man sich entschieden habe, "unser Botschaftspersonal in einen militärisch gesicherten Bereich im Flughafen von Kabul zu verlagern". Warum dies nötig war oder über die Hilfe der USA schwieg der Minister sich hingegen aus. Noch gestern Abend lobte Maas die "gute internationale Vorbereitung [sic!]" und dies ermögliche nach seinen eigenen Worten "auch sehr kurzfristig auf die sich in den letzten Tagen dramatisch verschlechternde Situation vor Ort zu reagieren".
Nur konnte Deutschland zu diesem Zeitpunkt nichts beitragen. Nachdem die USA nun schon das Personal zum Flughafen geflogen hatte. Übernahmen sie auch den Abtransport aus dem Land. Am Sonntag wurde die Mehrheit des Personals nach Doha verbracht.
Der Botschafter drückte auch in einem aktuellen Lagebericht seine Frustration zum Ausdruck. So heißt es in diesem Text "dass den dringenden Appellen der Botschaft über längere Zeit erst in dieser Woche Abhilfe geschaffen."
Und es klingt schon wie Hohn, wenn der Außenminister noch am selben Tag erklärte, dass man sich "seit Wochen auf diese Situation vorbereitet" habe. Nur war von dieser Vorbereitung nicht zusehen. Für die Evakuierung war man auf Hilfe der USA angewiesen. Man mag sich gar nicht vorstellen, was gewesen wären: Wenn die USA keine Zeit gehabt hätten. Trotz der transatlantischen Freundschaft muss man sich hier einige Fragen gefallen lassen. Man kann sich doch nicht immer nur auf die USA verlassen, auch wenn diese Evakuierungen am Wochenende durchführen können. Scheinbar muss man Deutschland nur am Wochenende bedrohen und schon hat man freie Hand. Dieses Versagen müsste nicht nur dem Außenminister schwer zu schaffen machen. Offenbart es doch ein größeres Versagen, ein strukturelles Problem in der deutschen Vorbereitung. Die Warnungen vor Ort wurden wochenlang ignoriert und nichts rührte sich.
Selbst einige Pressevertreter (darunter auch ich) zeigten in dem Artikel eine problematische Lage auf. Im Laufe der letzten Woche war klar geworden: Kabul wird in die Hände der Taliban fallen. Spätestens am Freitag hätte man reagieren müssen, denn die Taliban machen am Wochenende nicht frei, in Deutschland scheint das gar nicht denkbar zu sein. Das Wochenende ließ man verstreichen. Frau Merkel und die gesamte Regierung haben durch ihr Fehlverhalten eine unnötige Verschärfung der Lage verursacht. Während anderer Länder schon Menschen außerhalb des Landes brachten, war in Deutschland Wochenende. Man kann sich das gar nicht ausmalen und auch das macht die Bundesrepublik zu einem unzuverlässigen Partner. In Kabul musste eine "operatives Kernteam" vor Ort bleiben, dies entschied das Auswärtige Amt. Diese Botschaftsmitarbeiter sollen "die weiteren Evakuierungsmaßnahmen in den nächsten Tagen mit begleiten zu können", erklärte Maas. Die Lage wurde von der gesamten internationalen Gemeinschaft falsch eingeschätzt, doch Deutschland bekleckerte sich nicht gerade mit Ruhm. Viel zu spät reagierte man in der Hauptstadt. Als andere Staaten schon fleißig die Menschen in Sicherheit brachten, machte man es sich hierzulande gemütlich und ging einfach ins unverdiente Wochenende.
"Wir haben die Lage falsch eingeschätzt", musste auch der Außenminister am gestrigen Abend einsehen.
Derweil schwindet bei den Ortskräften die Hoffnung, ohnehin waren nicht alle berechtigt. Die Fallschirmjäger der Division Schnelle Kräfte sollen die restlichen Deutschen und Ortskräfte zum Flughafen bringen und diese somit in Sicherheit schaffen, ob dies jedoch noch möglich ist? Gerade was die Taliban-Checkpoints angeht, sind hier große Zweifel angebracht. Die deutschen Staatsbürger dürften eher weniger betroffen sein, außer wenn die Ehefrau oder Ehemann zum Beispiel nur einen afghanischen Pass hat, wie die Taliban hier reagieren bleibt schlicht abzuwarten.
Diese Einschätzung vertreten auch Experten der Bundeswehr: "Die Taliban haben angekündigt, dass Afghanen das Land nicht verlassen dürfen", sagte Carlo Masala (Politikwissenschaftler der Bundeswehr-Universität München) gegenüber tagesschau24. Auf die Problematik mit den Ortskräften sagte er weiter: "Ob wir die rausbekommen, dafür gibt es keine Garantie."
Die USA werden noch etwa 14 Tage im Land bleiben, so hat man sich geäußert und dies ist auch eine Absicherung für die Deutschen. In dieser Zeit bekommt man wenigstens die eigenen Staatsbürger außerhalb des Landes, jedoch bleibt die Lage angespannt und dynamisch. Ob die Taliban einen offenen Konflikt mit den Deutschen scheuen oder doch das Feuer eröffnen würden? Es bleibt fraglich und erst am Ende kann man den Einsatz voll bewerten, doch der Anfang steht schon unter keinem guten Zeichen. Die 600 bis 700 Soldaten wirken gegen den amerikanischen Einsatz von derzeit 7000 Kräften winzig und sollten die USA früher abziehen, dann wäre die Bundeswehr kaum in der Lage für eine sichere Evakuierung Sorge zutragen. In einem Himmelfahrtskommando sollte die Unfähigkeit der Regierung nicht münden, schon jetzt wäre ein offener Schlagabtausch gefährlich und riskant. Die Taliban haben neues Kriegsgerät erbeuten können, darunter Waffen und gepanzerte Fahrzeuge. Wie viele Flugzeuge, Hubschrauber und anders größeres Kampfgerät erbeutete werden konnte, ist ungewiss. Einige Soldaten der afghanischen Armee machten sich per Flugzeug auf nach Usbekistan. Jedenfalls verfügen die Islamisten über gut ausgebildete Piloten und sind in der Lage, zumindest kleinere Luftschläge durchzuführen. Noch mal sollte man die Taliban nicht unterschätzen.
Ob der Einsatz nun Rettung, Untergang oder irgendetwas dazwischen ist. Dies bleibt abzuwarten.
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