Medien werden gemeinhin und gerne als sogenannte „vierte Gewalt“ bezeichnet. Dass sie dabei nicht hoheitshörig ist, sondern auch die Rolle einer kritischen Instanz gegenüber dem deutschen Staat einnimmt, scheint auch im bürgerlichen Verständnis der BRD verankert zu sein. Immerhin wird in Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes der Pressefreiheit betont, die als das „Recht“ definiert wird, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“. Weiterhin wird die „Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung … gewährleistet“: Eine Zensur werde ausgeschlossen. Dieser (liberale) Freiheitsbegriff scheint für den deutschen Staat eine wichtige Rolle zu spielen, wenn es sich besonders um die Einschränkung eben jener Freiheit in anderen Staaten handelt. Dabei darf jedoch nicht unterschlagen werden, dass der Freiheitsbegriff kein ubiquitär-moralischer ist, sondern sich den jeweiligen nationalen Interessen der herrschenden Klasse unterwirft. Die Anwendung der Zensur im Namen der Abwesenheit der Zensur, sozusagen als Bestätigung der Regel, erfolgt genau dann, wenn jene Interessen verletzt scheinen. Oder anders gesprochen: Die Erlassung der Freiheit untersteht der Interpretation der Erlassung selbst.

Dass der deutsche Staat die Pressefreiheit als Machtinstrument versteht, erleben wir sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene. Die Verknastung des australischen Journalisten Julian Assange, welcher im vergangenen Monat nach 14 Jahren Freiheitsentzug in seine Heimat zurückkehrte, zeigte eindrucksvoll das Verständnis eben jener Freiheit, auch im Namen der deutschen Regierung. Doch auch auf eigenem Staatsgebiet geht die BRD gegen Stimmen und Medien vor, die sich der juristisch nicht-bindenden Staatsraison widersetzen beziehungsweise für die herrschende Klasse eine wie auch immer definierte Gefahr darstellt. Das aktuellste Beispiel ist das Verbot der ultrarechten Monatszeitschrift Compact, das vom sozialdemokratisch geführten Bundesinnenministerium am 16. Juli 2024 für verboten erklärt wurde. Die Begründung: „Dieses Magazin hetzt auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationshintergrund und gegen unsere parlamentarische Demokratie.“ Dass dieses Blatt eine patriotische und rassistische Ideologie verfolgt, ist freilich nicht von der Hand zu weisen. Es geht auch nicht darum, solidarisch mit Compact zu sein oder Rechtsradikalen nachzutrauern. Die herrschende Klasse hat hier jedoch nicht einfach nur eine ultrarechte Zeitschrift verboten, sondern einen weiteren Grundstein gelegt, wie die Pressefreiheit verstanden wird.

Verboten wurde Compact als Verein. Da er sich gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“ stelle, wird eine weitere Tätigkeit untersagt. Bezeichnend ist vielmehr, dass als (formaljuristische?) Begründung auch eine Kritik am politischen System der BRD selbst herangezogen wird. Die Kritik am Parlamentarismus beziehungsweise der „parlamentarischen Demokratie“ wird zwar nicht primär erwähnt, jedoch auflistend. Letztlich wird hierbei eine grundsätzliche Systemkritik auf den „verfassungsmäßigen“ Prüfstand gesetzt. Ironischerweise ist gerade die Systemkritik der radikalen Rechten keine immanente, das heißt eine politisch-ökonomische „Umwälzung“ würde die kapitalistische Ordnung in den Grundzügen nicht eliminieren. Tatsächlich antikapitalistische Organe, die eine weitreichende Systemkritik formulieren, können durch diese Entwicklung der deutschen Regierung vermehrt unter Beobachtung gestellt werden. Dass der deutsche Staat linke Medien am liebsten sofort verboten wollen würde, zeigt ihr endloser, unter Zuhilfenahme der Methoden des Inlandsgeheimdiensts, Kampf gegen die linke Tageszeitung junge Welt.

Die junge Welt wird seit 1998 mit kurzen Pausen vom Inlandsgeheimdienst überwacht. So wird sie auch im aktuellen Bericht von 2023 erwähnt. Dort wird geschrieben, dass die Zeitung „die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung“ anstrebt und „mehr als ein Informationsmedium“ sei. Zusätzlich wird ihr ein fehlendes Bekenntnis zur „Gewaltfreiheit“ attestiert sowie einigen Journalist:innen eine Verankerung im „Linksextremismus“ vorgeworfen. Dass die junge Welt die bestehenden Verhältnisse von einem linken Standpunkt aus kritisiert und Bewegungen und Entwicklungen eine Stimme gibt, die Hoffnung auf eine Welt fernab des Kapitalismus geben, ist freilich nicht von der Hand zu weisen. Ob sie dadurch allerdings, wie der Inlandsgeheimdienst kryptisch formuliert, eine parteipolitische Funktion übernimmt, scheint sehr absurd. Die Konstellation, aus der jungen Welt eine Vereinigung zu machen, hilft ihr, die Zensur im Namen der Pressefreiheit zu vollziehen. Denn anders als bei Compact handelt es sich bei der jungen Welt um eine tatsächliche systemkritische, mediale Opposition, die als letzte überregionale Tageszeitung noch einen marxistischen Anspruch vertritt, den Journalismus nicht als „neutrale Instanz“ zu verstehen, sondern als Korrektiv und Mittel, um die herrschende Ungleichheit anzuklagen.

Schlechterdings wurde auch der Marxismus selbst als „Verfassungsfeind“ interpretiert. Beziehungsweise sein klassenpolitischer Inhalt. So argumentierte die deutsche Regierung, dass die Annahme einer Klassengesellschaft gegen die Verfassung der BRD verstoße. Dabei handelt es sich bei Klassen nicht um eine idealistische Erfindung, sondern um ökonomische Tatsachen, die von Karl Marx entdeckt wurden. Selbst in er bürgerlichen Geisteswissenschaft, besonders der Soziologie, wird die Klassengesellschaft als evident vorausgesetzt, wenngleich sie teils mit anderen Begriffen arbeitet (etwa „Kasten“ oder „Schichten“). Doch dem deutschen Staat geht es nicht um eine soziologische Auseinandersetzung, sondern um einen, nun ja, Klassenkampf. Denn die junge Welt vertritt einen konsequenten klassenpolitischen Ansatz, der diametral zur Klassenherrschaft in Berlin steht. Und hier wird das bürgerliche Dilemma deutlich: der (liberale) Freiheitsbegriff erzwingt qua forma die Freiheit für alle, doch die kann sich keine Klassenherrschaft leisten. So wird die Freiheit immer die Freiheit der herrschenden Klasse, die dadurch die Spielregeln diktiert und im finalen Schritt auch durchzieht.

Die junge Welt führt gerade mit bürgerlichen Mitteln einen Rechtsstreit, die herrschende Klasse an das eigene bürgerliche Bekenntnis zu binden. Dieser Kampf ist nicht nur ein Kampf für die junge Welt, sondern ein grundsätzlicher gegen die autoritäre Entwicklung der BRD, den Rahmen der eigenen Verfassung enger zu schnallen. Wenngleich es letztlich nicht schade darum ist, dass die ultrarechte Monatszeitung ihre widerliche Propaganda mehr verbreiten kann, ist der Akt, denn das Bundesinnenministerium hiermit vollzieht, alarmierend. Denn er ist kein losgelöster Kampf gegen den „Rechtsextremismus“, wie die deutsche Regierung so gerne betont, sondern ein Kampf gegen jene Kräfte, die für eine bessere und gerechtere Welt einstehen – und diese Kräfte sind nicht rechten, sondern im linken Spektrum zu finden. Die Geschichte der BRD zeigt seit 1949, dass ihr Hauptfeind nicht die radikalen Rechten sind, sondern die Linken jeglicher Couleur. Daher: für die Solidarität mit der jungen Welt, für die Verteidigung der bürgerlichen Rechte gegen die autoritäre Umwälzung der herrschenden Klasse – die Freiheit der Presse, der Kritik, besonders der Systemkritik, darf nicht angetastet werden.