Seit vielen Jahren geht sie nun schon, die Diskussion um die Homöopathie. Die Diskussion hat durch umfangreiche Aufklärungsarbeit sehr viele Menschen bereits erreicht und auch gewarnt. Die parallel mit den Zuckerkugeln transportierte Botschaft von „Natürlichkeit“ und „Sorglosigkeit“ verfängt nicht mehr, seitdem immer mehr von tragische Fehldiagnosen und verpassten Therapiechancen bei TumorpatientInnen mit oftmals tödlichem Ausgang berichtet wird. (Quelle)
Es ist erfreulich, dass sich Wissenschaftler aus vielen Bereichen an der Aufklärungsarbeit beteiligen. Es findet sich hier ein buntes Orchester von engagierten Menschen aus Biologie, Psychologie, Medizin, Physik, Mathematik, Philosophie, Soziologie und vielen anderen Disziplinen. Eine wichtige Stimme jedoch, ausgestattet mit hohem Maß fachlicher Expertise, ist wider Erwarten auffällig unterrepräsentiert. Erwartet man im Orchester der Aufklärung eine Beteiligung der Apothekerschaft in wahrnehmbarer Mannschaftsstärke, so wird man bitter enttäuscht. Es ist nur eine Stimme zu vernehmen. Zwar nur eine einzige Stimme, dafür ein glasklarer Sopran: Iris Hundertmark, die Apothekerin aus dem oberbayrischen Weilheim, steht mutterseelenallein auf der großen Bühne der Aufklärung. Ihre Performance als Solistin ist dabei brilliant und über alle Zweifel erhaben. (Quelle)
So überzeugend der Auftritt von Frau Hundertmark ist, die Reduktion der pharmakologischen Aufklärung auf eine Einzelkämpferin wirft Fragen auf, die wir uns zuletzt in dieser Intensität beim Pferderennen von Loriot stellen mussten: Wo laufen sie denn? Ja, wo sind sie denn? Die anderen Apotheker und Apothekerinnen? Angesichts der Millionenumsätze, die mit dem magischen Milchzucker generiert werden, wundert sich mancheiner über das große Schweigen in den Reihen der ApothekerInnen. Meine eigenen bescheidenen Versuche, eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, führten mich bereits in einige Bremer Apotheken. Ich bin neugierig und wollte wissen, ob es nicht verlockend sei, die erste von „Homöopathie“ befreite Bremer Apotheke zu erklären. Die Antworten verwirrten mich indes. Eine kleine (nicht repräsentative) Auswahl:
„Dann lachen sich meine Kollegen tot und dann freuen die sich über das zusätzliche Geschäft!“ oder
„Das geht nicht – wo sollen sie dann alle hingehen, die jungen Mütter?“
aber auch ein ehrliches:
„Das kann ich mir nicht leisten. Dann würde ein Teil meines Umsatzes wegfallen und dann wäre der Verdienst noch geringer!“
Mit einem älteren und sehr erfahrenen Apotheker habe ich ein langes und von beidseitigem Respekt und Vertrauen begleitetes Gespräch geführt, in dem er sich über eine Ärztin aufregte, die bei schweren Infekten von Kindern regelmäßig Zuckerkugeln rezeptiere. Nein, den Namen wolle er mir auf keinen Fall nennen, aber die Ärztin sei im
Stadtteil schon bekannt und durchaus berüchtigt. Auch aus seinen Augen sprach dabei eine große Enttäuschung und Ohnmacht.
„Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!“
Dieser Imperativ beschreibt die Aufgabe von Medizinern und Apothekern und ihre Pflicht, korrekt aufzuklären. Sie sollen ihr wertvolles Wissen weitergeben, notfalls intervenieren und nicht etwa aus dem „Glauben“ Kapital schlagen – das machen schon die religiösen Institutionen und Sekten. Der bewusste Einsatz einer nicht wirksamen Therapie ohne Aufklärung kann im Falle eines eintretenden Schadens als ,,sittenwidrig‘‘oder gar als,,strafrechtlich relevant‘‘ eingeordnet werden. Dieser von dem Juristen Prof. Maximilian Becker formulierte Einschätzung deute ich als eine Mitwirkungspflicht für ApothekerInnen. (Quelle)
Auch der Bundesgerichtshof ist hier auf Kurs: Werden Patienten mit Verfahren oder Methoden behandelt, die als ,,unmöglich‘‘ eingestuft werden, so tritt im juristischen Sinne eine ,,Leistungsstörung im Behandlungsvertrag‘‘ ein. Der BGH definiert eine Unmöglichkeit einer Leistung nach §275 Abs. 1 BGB, wenn diese ,,nach den Naturgesetzen oder auch nach dem Stand der Erkenntnis von Wissenschaft und Technik nicht erbracht werden kann‘‘. (Quelle)
Iris Hundertmark zeigt uns nicht nur, wie es gehen kann. Sie zeigt uns, wie es gehen muss, um Schäden abzuwenden. Kommt ein PatientIn und verlangt nach „homöopathischen“ Mitteln, so versucht Frau Hundertmark, das jeweilige Motiv zu ergründen und klärt über die Wirkung, die nicht über einen Placebo-Effekt hinaus geht, auf. In den allermeisten Fällen lässt sich so der zweifelhafte Einsatz von Scheinmedikamenten verhindern. Besteht nach dieser wichtigen Aufklärungsarbeit noch immer der Wunsch nach „homöopathischen“ Mitteln, so werden diese auf Wunsch bestellt. Ich bin überzeugt: Es ist höchste Zeit für eine Apothekenkultur, die nach „Hundertmark-Standard“ arbeitet, weil auf diese Weise die Patientensicherheit auf einfache Weise wirksam erhöht werden kann. Prof. Becker erinnert an die Sorgfaltspflicht der verschreibenden Ärzte: Eine Schadensersatzpflicht kann entstehen bei anfänglicher oder nachträglicher Unmöglichkeit der Methode. Auch der Verweis auf einen gewünschten Placebo-Effekt entbindet den Arzt nicht von seiner Sorgfaltspflicht: ,,Die Grenzen der Sorgfaltspflicht bei der Methodenwahl sind überschritten, d.h. ein ,,Therapieauswahlverschulden‘‘ liegt vor, ,,wenn die ausgewählte diagnostische oder therapeutische Behandlungsmethode von vornherein ungeeignet war‘‘. Die Verschreibung von Scheinmedikamenten ist nicht nur für PatientInnen gefährlich. Nach Meinung des Bundesgerichtshofes besteht eine Regresspflicht auch dann, wenn ÄrztInnen PatientInnen über die zu erwartende medizinische Nutzlosigkeit einer Therapie aufklären, diese Therapie aber dennoch – wider besseren Wissens – durchführen. (Quelle)