Kiel – Die Affäre um die gekündigte RBB-Intendantin Patricia Schlesinger weitet sich auf andere ARD-Anstalten aus: Redakteure des Norddeutschen Rundfunks NDR in Kiel werfen ihren Sendechefs politische Zensur vor. Sie fürchten um die Unabhängigkeit ihrer Berichterstattung. Laut vertraulichem Bericht eines internen Redaktionsuntersuchungsausschusses, über das der Nachrichtendienst Business Insider am Donnerstag zuerst berichtete, sollen Sendeleiter mehrfach in die politische Berichterstattung eingegriffen haben. Darin heißt es, „Berichterstattung werde teilweise verhindert und kritische Informationen heruntergespielt“ und „Autoren würden abgezogen und Beiträge in den Abnahmen massiv verändert“.
Die Redakteure, die sich in den letzten zwei Jahren unter Vorbehalt ihrer Anonymität an den Redaktionsausschuss des NDR wandten, werfen dem NDR weiterhin einen „politischen Filter“ vor; NDR-Führungskräfte würden gar wie „Pressesprecher der Ministerien“ agieren, die eine kritische Berichterstattung verhinderten.
Hintergrund: Der NDR-Journalist Stefan Z. (Name geändert) begann im April 2020 eine Recherche zum Rücktritt von Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU). Er soll ein Hintergrundgespräch geführt und persönliche Statements eingeholt haben. Die Sendeleiterin für Politik, Julia Stein, hat laut Untersuchungsbericht einige wesentliche Texttafeln entfernt. So seien am Ende direkte Vorwürfe durch Grote an den Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) aus dem Fernsehbeitrag verschwunden. Ein folgendes Interview von Z. mit Grote lehnten die Vorgesetzten Julia Stein und Norbert Lorentzen ab – es habe keine Belege für einen Verdacht gegen den Ministerpräsidenten Günther gegeben, argumentierten sie.
Z. wandte sich schließlich an den Untersuchungsausschuss – nach Prüfung teilt das Gremium die Vorwürfe von Z.: „Das Interview mit Grote hätte durchgeführt werden müssen.“ Den Verdacht einer politischen Motivation dahinter wollte der Redaktionsausschuss allerdings nicht übernehmen. Und auch eine Sendesprecherin bewertete den Vorfall als „unterschiedliche journalistische Bewertung einer tagesaktuellen redaktionellen Entscheidung“.
Laut Untersuchungsbericht haben sich auch acht weitere Mitarbeiter an das Gremium gewandt und die Schilderungen von Z. bestätigt. Demnach werde „Berichterstattung teilweise verhindert und kritische Informationen heruntergespielt“. Da gezielt versucht werde herauszufinden, wer sich an den Untersuchungsausschuss gewandt habe, herrsche ein „Klima der Angst“. Der Redaktionsausschuss hält die Aussagen der Redakteure im Fazit für „glaubwürdig“.
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