Poste ein niedliches Foto deiner Katze online – und schon ein paar Minuten später meldet sich jemand, um dir zu sagen, dass du alles falsch machst. Egal, ob es sich um eine Katze mit seltsamem Gesichtsausdruck handelt, ein Video mit einem mäkeligen Esser, oder ein Bild, auf dem deine Katze mitten in der Bewegung seltsam aussieht – plötzlich ist da jemand, der dich lautstark belehrt, korrigiert oder sogar beschuldigt, dein Tier schlecht zu behandeln.

Dieses seltsame Phänomen, das ich „Backseat Cat Keeping“ (abgeleitet von Backseat Gaming) nenne – also „Katzenhaltung von der Rückbank aus“ –, betrifft praktisch jeden Tierhalter mit einer gewissen Online-Präsenz. Es ist, als würde jemand dein geparktes Auto sehen und rufen: „Du fährst das falsch!"

Und nein – es geht hier nicht um wohlmeinende Tipps. Es geht um Fremde, die sich aufspielen, als wären sie bessere Tierhalter, nur weil sie einen Drei-Sekunden-Ausschnitt aus dem Leben deiner Katze gesehen haben.

Hier ein paar Beispiele aus eigener Erfahrung und Beobachtung:

  • Eine Katze mit natürlichem „Grumpy Cat“-Gesicht? „Dieses Tier leidet ganz offensichtlich.“ (Klar, weil Katzen ja über ihre menschenähnliche Mimik kommunizieren, oder?)
  • Eine neugierige Katze, die in einen alten, ausrangierten Trockner klettert? „Wie kannst du so etwas Gefährliches zulassen?!“ (daraus entstand dann übrigens mein Humor-Video mit Maschinenwaschtipps für Katzen).
  • Ein wählerischer Stubentiger, der das Nassfutter ablehnt? „OH MEIN GOTT, DU FÜTTERST TROCKENFUTTER?!“ (Oh mein Gott, du weisst nicht, dass es auch gutes Trockenfutter gibt?!)
  • Eine schlanker Senior-Kater mit Schilddrüsenproblemen? „Die Katze muss dringend zum Tierarzt!!!“ (bin ja nur wöchentlich dort)

Solche Kommentare kommen selten neugierig oder höflich daher. Im Gegenteil: Die Autoren sind absolut überzeugt, dass sie mit ihren Annahmen und ihrer Empörung im Recht sind. Und sie schrecken nicht davor zurück, das in die Welt zu posaunen.

Doch was steckt eigentlich dahinter?

Warum tun Menschen das? Die Psychologie hinter performativer Besserwisserei

Im Kern von „Backseat Cat Keeping“ liegt eine explosive Mischung aus performativer Empathie (also das „Vorführen" von Empathie um des Zeigens willen), Selbstdarstellung, Kontrollbedürfnis und dem Wunsch, moralisch überlegen zu wirken – auch ohne echtes Wissen.

Empathie als Imagepflege

In sozialen Medien wird oft mehr Wert darauf gelegt, Fürsorge zu zeigen, als tatsächlich hilfreich zu sein. Öffentliche Empörung („Diese Katze sieht krank aus!“) dient nicht selten dazu, sich selbst ins rechte Licht zu rücken:

„Seht her, wie sehr ich mich kümmere! Ich bin moralisch überlegen!“

Ob die „Sorge“ angebracht ist, spielt da oft keine Rolle. Die Katze wird eher Mittel zum Zweck der eigenen Selbstdarstellung.

Selbstüberschätzung durch Halbwissen

Gefährliches Halbwissen schadet Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung.“

Ein Foto, selbst ein kurzes Video — bestenfalls noch geschnitten und bearbeitet — ist noch lange kein Kontext. Trotzdem glauben viele Menschen, aus einem einzigen Bild auf das ganze Leben oder zumindest die grobe Situation des Tieres schließen zu können. Ein paar YouTube-Videos oder Forenbeiträge reichen dann angeblich aus, um alles besser zu wissen.

Das ist allenfalls ein Paradebeispiel für den Dunning-Krüger-Effekt: Menschen mit wenig Fachwissen überschätzen ihre Kompetenz massiv – gerade in scheinbar einfachen Situationen.

Projektion und Kontrollbedürfnis

Oft spiegeln solche Angriffe eigene Unsicherheiten oder Schuldgefühle wider. Wer sich selbst hilflos fühlt oder im eigenen Leben wenig Kontrolle hat, nutzt die Gelegenheit, über andere zu urteilen – und sich kurzfristig besser zu fühlen.

Ich weiß es besser“ ist oft nur der Deckmantel für: „Ich fühle mich unsicher und brauche Bestätigung“ — ich muss klarstellen, dass ich hier besser bin als der Tierhalter.

Moralischer Alarmismus als Droge

Empörung ist im Netz eine Währung. Wer lautstark Missstände anprangert, bekommt Aufmerksamkeit, Zustimmung und Likes – besonders wenn es um „schutzbedürftige“ Wesen wie Tiere geht.

Aber wenn diese Empörung von Kontext, Fakten oder echtem Interesse losgelöst ist, dann wird sie zur reinen Pose. Die eigentliche Katze wird dabei zur Nebensache.


Ja, es gibt schlechte Tierhalter – doch sie sind selten misszuverstehen

Natürlich: Nicht alle Kritik ist übertrieben oder unangebracht. Es gibt tatsächlich Menschen, die ihren Tieren schaden – aus Ignoranz, Desinteresse oder Gleichgültigkeit und gerne auch aus Vermenschlichung des Haustiers. Und ja, manche davon posten das auch noch online.

Aber: Diese Fälle sind in der Regel leicht zu erkennen. Sie wiederholen sich, sind offensichtlich problematisch und zeigen sich auch im Verhalten oder den Rechtfertigungen der Halter:innen. Da wird nicht hinterfragt, nicht reflektiert, sondern stolz verteidigt, was eigentlich nicht zu verteidigen ist.

Gerade deshalb ist es so frustrierend, wenn Menschen, die sich informieren, kümmern und reflektieren, trotzdem an den Pranger gestellt werden – für Dinge, die sich mit einem Funken Kontext leicht erklären lassen würden oder die einfach eine grundlegende Missinterpretation eines Schnappschusses aus dem Tierleben sind.

Was können wir besser machen?

Vor dem Kommentar: kurz innehalten

Habe ich wirklich alle Informationen? Sehe ich nur einen Moment, einen Witz, einen Ausschnitt? Könnte ich etwas falsch verstehen?

Neugier statt Urteil

Statt: „Du solltest das nicht tun!“ lieber: „Hey, ich habe gehört, das könnte problematisch sein – wie sind deine Erfahrungen damit?“ Das eröffnet Dialog statt Abwehr.

Traue Menschen die Kenntnis ihrer Tiere zu

Viele Halter:innen kennen ihre Tiere besser als du es je könntest – vor allem, wenn sie Zeit, Mühe und Liebe investieren. Was du als ungewöhnlich oder seltsam ansehen magst, kann eine persönliche Eigenheit des Tieres sein, oder einfach eine unbedenkliche Situation.

Wahre Fürsorge braucht kein Publikum

Wer sich wirklich sorgt, hilft respektvoll und direkt – nicht für Likes oder Applaus, sondern weil es das Richtige ist. Das funktioniert über direkte Nachrichten, einen freundlichen Ton oder eine tatsächlich interessierte Nachfrage. Pöbler und Echauffierer überzeugen selten durch Selbstlosigkeit.

Schlussgedanken

Katzen sind eigen. Ihre Halter:innen auch. Wir teilen unser Leben mit wasserscheuen Wesen, die in Waschbecken schlafen, nachts plötzlich wild durchs Haus rennen und sich mit Blicken verständigen, die kein Mensch wirklich deuten kann. Es ist keine exakte Wissenschaft – es ist eine Beziehung.

Für die meisten von uns bedeutet das: Liebe, Verantwortung, Tierarztbesuche, Futterrecherche und jede Menge verrückter Momente - und das sind genau die Momente, über die am häufigsten berichtet wird, nicht über die gewöhnlichen und langweiligen Alltagsmomente.


An all die „Backseat Cat Keeper“ da draußen: Lasst das Steuer los. Wir haben das im Griff.

(Vielen Dank an @gondlir.bsky.social für das Lektorat.)


Quellen:

Kruger J, Dunning D. Unskilled and unaware of it: how difficulties in recognizing one's own incompetence lead to inflated self-assessments. J Pers Soc Psychol. 1999 Dec;77(6):1121-34. doi: 10.1037//0022-3514.77.6.1121. PMID: 10626367.

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