Viel ist geschrieben worden über die Unzulänglichkeiten der deutschen Kanzlerkandidaten, die in Summe so überzeugend waren, dass den Deutschen keiner der genannten noch am liebsten gewesen wäre. Doch warum schnitt Olaf Scholz am Ende besser ab als Annalena Baerbock und Armin Laschet?

Ich glaube, weil Baerbock und Laschet die negativen Klischees ihrer Parteien bedient haben. Das hat dann unentschlossene und sogar Stammwähler abgeschreckt.

DIE UNION

Beginnen wir mit der Union, vor allem der CDU und dem inzwischen halb zurückgetretenen Armin Laschet. Was ist das Klischee der Partei? Woran denken Sie? Vielleicht an alte, weiße Männer, die in Hinterzimmern Posten und politische Entscheidungen ausklüngeln. Vielleicht auch an den Erhalt des Status Quo, Verlässlichkeit genannt, und ein Einsetzen gegen Veränderung und Reform, wiederum tituliert als stabile Verhältnisse. Im Zweifel wird auch mal erklärt, man solle das Land nicht schlechter machen, als es ist - und früher war doch vieles gut.

Armin Laschet repräsentiert dieses Klischee seiner Partei. Sehen Sie sich nur Bilder von ihm an: Bequem, alternd, weiches Gesicht. Sie treffen diesen Menschen fünfmal in jedem Supermarkt. Er war der Kandidat des Establishments, der Parteiführung, der Gremien - kurzum, der Hinterzimmer. Spätestens Söders Gegenwehr machte das offensichtlich. Doch schon zuvor, bei der Wahl des Parteivorsitzes, kursierte der Vorwurf.

Laschet bestätigte diese Karikatur seiner selbst und seiner Partei mit jedem Fettnäpfchen. Als die Corona-Infektionszahlen im Frühjahr noch einmal anstiegen und die Politik nach einer Antwort suchte, wollte er nachdenken und kam nach dder Osterruhe auf den Brückenlockdown. Im Rückblick wird diese Farce vielleicht der definitive Moment des Vertrauensverlustes sein. Was haben die Leute nicht gelacht!

Es war typischer Ausdruck der Unionspolitik, des wahr gewordenen Klischees: Ein Minimalkompromiss, als Heiliger Gral verkauft. Die einen standen für Härte, die anderen wollten Lockerungen (für die Wirtschaft). Die Mitte war ein Durchgewurschtel: ein kurzer, harter Lockdown. Laschet drückte es aus. Und anstelle seines Brückenlockdowns kamen über zwei Monate Bundesnotbremse. Die Union titelte im Wahlkampf trotzdem: "Entschlossen für Deutschland" mit Laschets Gesicht.

Damit des Unglücks nicht genug. Im Juli brach eine Naturkatastrophe über das Land herein und betraf ausgerechnet auch NRW. Dabei war Laschets Wahlkampfstrategie doch gewesen, nicht negativ aufzufallen und stillschweigend Merkels Erbe antreten zu können. Plötzlich gab es eine Flutkatastrophe, wie sie zuletzt Gerhard Schröder zurück ins Amt gespült hatte. Doch Laschet ist kein Mann der Tat, sondern einer der Hinterzimmer und öffentlichen Fettnäpfchen. Was blieb, waren die Bilder seines Lachens in den Trümmern der Existenz anderer Menschen. Was haben wir gelacht!

Ist Laschet wirklich so unqualifiziert? Ich denke schon, aber es spielt keine Rolle. Das Bild stand im Raum und das Wahlergebnis zeigt, wie sehr es verfing. Laschet wirkte alt und träge, belanglos und schwach. Ein Mann der Vergangenheit, ohne Tatenkraft. Gewählt in den Gremien, in den Hinterzimmern, abseits des Volkes. Abseits der Wirklichkeit. Er repräsentierte die Union, wie ihre Gegner sie immer schon gesehen haben.

Hätten Sie diesen Mann gewählt?

DIE GRÜNEN

Ähnlich verhält es sich mit den Grünen, die in Annalena Baerbock nicht nur die Karikatur ihrer Partei, sondern auch noch ihrer Politik nominierten.

Annalena Baerbock war, wie Armin Laschet, nie die populäre Kandidatin. In den Umfragen führte Robert Habeck wie drüben Markus Söder. Doch in der Partei konnte das aus (partei-)politischen Gründen keinen Widerhall finden. Denn die Grünen stehen für den Feminismus - und Baerbock war eine Frau. Hier beginnt die negative Karikatur. Fragen sie die Gegner der Frauenquote nach ihren Gründen, lautet die Antwort: Es soll doch die kompetenteste Person auf den Posten kommen. Nicht das richtige Geschlecht.

Aber bei den Grünen hat das weibliche Geschlecht ein Vorrecht. Halten Sie das für richtig oder nicht? Spielt keine Rolle. Das Bild war gemalt, der Gedanke war verbreitet: Annalena Baerbock hat den Posten nur, weil sie eine Frau in der Partei der Frauenquote ist. Ihre arroganten Kommentare gegenüber dem früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins Robert Habeck halfen dabei nicht: "Was hast'n da? Schafe, Kühe, Hühner?"

Das Urteil war gefällt, die Beweise folgten schnell. Im Lebenslauf war gelogen worden. Zudem hat Annalena Baerbock außer Parteipositionen und ein paar aufgehübschten Nebenjobs/Praktika nichts vorzuweisen gehabt. Kurzum, sie war für den Posten nach keinem Maßstab qualifiziert. Auch hier sprach das Klischee wieder mit, das die Grünen in diesem Fall seit ihrer Gründung begleitet: Gescheiterte (Alt-)Studenten mit komischen Ansichten aus gutem Haus.

Die Verteidigung der Partei half nur den Gegnern. Als die Kritik kam, wurde sie als frauenfeindlich abgekanzelt. Doch für die Gegner von Feminismus und Frauenquote war das nur eine Bestätigung. So hatten sie den Feminismus immer schon gesehen: Frauen, die ihr Scheitern mit Chauvinismus der Männer erklärten, sich selbst zum Opfer und das andere Geschlecht zum bösen Feind. Es bestärkte die Abneigung nur. Beiderseits.

Dass Annalena Baerbock dann zum Schluss in ihrer Kampagne auf Kinder und ihre Erfahrung als Mutter setzte, kann man das als weiteres Eingeständnis werten. Die Grünen fordern schließlich die Erwerbstätigkeit von Müttern - als Recht, nicht Pflicht - und sehen die Vollzeitmutter als konservatives, rückwärtsgewandtes Gesellschaftsmodell. Nun warb ihre Kandidatin damit. (Fragen Sie mal vollzeitarbeitende Eltern, wie oft sie es mit ihren Kindern auf den Spielplatz schaffen, auf dem Frau Baerbock - wohnhaft in Potsdam - Kinderarmut beobachtet haben wollte.)

Kurzum, Annalena Baerbock war das Zerrbild der Grünen, das deren Gegner immer schon verbreitet haben. So wurde aus der möglichen Kanzlerschaft ein guter dritter Platz.

DIE SPD

Das Gegenbeispiel liefert die SPD.

In deren Karikatur sehen Sie vielleicht einen Haufen von Sozialromantikern und Traumtänzern, die große Reden schwingen und erstmal jeden Arbeitsplatz reden und jedem Bedürftigen helfen wollen. Sozialarbeiter, die von Opfer der Umstände statt Strafe sprechen. Vielleicht sehen sie alternativ breitbeinige Möchtegern-Arbeiterführer, die in ihrem Machismo ersaufen und sich an der Großartigkeit ihrer Visionen besaufen.

Die SPD aber nominierte Olaf Scholz, einen als uncharismatisch und langweilig verschrienen Berufsbürokraten aus dem nüchternen Hamburg. Der Mann ist nicht etwa Arbeits- oder sonstwie Sozialminister, sondern jedweder Romantik und Gefühlsregung fremd. Er ist Finanzminister, spricht und lebt in trockenen Zahlen. Seine Skandale drehen sich um Polizeieinsätze (G20-Gipfel in Hamburg), um Banken- und Finanzkorruption (Wirecard, CumEx, ...).

Sicherlich bleibt hier viel zu attackieren. Aber nichts davon entspricht den gängigen Klischees. Auch deshalb verfing es nicht. Und auch deshalb hat die SPD mit Olaf Scholz nun die größte Fraktion im Parlament.

FAZIT

Ist es gerecht. wie sehr die Klischees und die Persönlichkeiten der Spitzenkandidaten das Ergebnis formten? Eine schwierige Frage. Sicherlich sollte es in der Politik um die Substanz gehen, nicht um Vorurteile und Marketing. Sicherlich sollte Scholz' Scheindemenz in jedem Untersuchungsausschuss mehr als eine Randnotiz sein. Andererseits geht es auch bei den anderen beiden Kandidaten um die charakterliche Eignung. Wie gut kann ein Mensch als Kanzler sein, der schon beim eigenen Lebenslauf lügt? Wie gut kann ein Mensch als Kanzler sein, der keinerlei Souveränität an den Tag legt, bei Kritik patzig und trotzig reagiert oder schlicht die Haltung ändert?

Was sagt es über die Parteien aus, wenn sie bei der Kandidatenkür ihre schlimmsten Klischees bedienen?