Eine neue Studie deckt gravierende Defizite auf und stellt Vereine in die Pflicht
Die Atmosphäre eines vollen Fußballstadions ist für viele Fans das Nonplusultra: Sprechchöre, Gesänge, die Spannung auf dem Spielfeld und die Euphorie nach einem Tor. Doch was für viele selbstverständlich ist, bleibt für Menschen mit Behinderungen oft eine Herausforderung. Eine aktuelle Studie hat die Barrierefreiheit in deutschen Fußballstadien untersucht und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Viele Arenen hinken gesetzlichen Anforderungen und gesellschaftlichen Erwartungen hinterher.
Die Untersuchung, die von der Plattform LiveFootballTickets veröffentlicht wurde, nimmt die Stadien der 1. und 2. Bundesliga unter die Lupe. Dabei standen verschiedene Kriterien im Fokus, darunter die Anzahl der Rollstuhlplätze, barrierefreie Toiletten, Angebote für seh- und hörgeschädigte Fans sowie die allgemeine Zugänglichkeit.
Das ernüchternde Fazit: In vielen Stadien sind Menschen mit Behinderungen nach wie vor mit erheblichen Hindernissen konfrontiert. Laut den gesetzlichen Vorgaben der Versammlungsstättenverordnung (VStättVO) müssten rund 7.400 Rollstuhlfahrerplätze in den Arenen der beiden höchsten deutschen Ligen existieren – tatsächlich sind es jedoch nur etwa 4.000. Zudem mangelt es vielerorts an ausreichenden behindertengerechten Toiletten, ebenerdigen Zugängen und Orientierungshilfen für seh- und hörgeschädigte Besucher.
Positive Ausnahmen: Vorbilder in der Bundesliga
Es gibt allerdings auch Vereine, die in Sachen Barrierefreiheit Maßstäbe setzen. Die MEWA Arena des 1. FSV Mainz 05 führt das Ranking mit 32 Punkten an. Von den rund 14.000 Sitzplätzen sind 134 für Rollstuhlfahrer vorgesehen, dazu kommen 60 Plätze für seh- und hörgeschädigte Fans.
Auch Holstein Kiel und der 1. FC Union Berlin schneiden überdurchschnittlich gut ab. Beide Stadien setzen verstärkt auf Inklusion und bieten unter anderem induktive Höranlagen, zusätzliche Betreuung für Menschen mit besonderen Bedürfnissen sowie einen vereinfachten Zugang zu Tickets für Fans mit Einschränkungen.
Negativbeispiele: Wo es noch hakt
Das andere Ende des Spektrums markiert der Signal Iduna Park von Borussia Dortmund. Trotz einer Kapazität von rund 66.100 Sitzplätzen gibt es lediglich 70 Plätze für Menschen mit Behinderungen. Noch besorgniserregender ist die Tatsache, dass in diesem riesigen Stadion nur zwei barrierefreie Toiletten zur Verfügung stehen. Zusätzliche inklusive Angebote wie Audiodeskription für sehbehinderte Fans oder spezielle Begleitservices fehlen fast vollständig.
Auch andere große Vereine schneiden nicht gut ab: Der FC Bayern München beispielsweise bietet im riesigen Stadion an der Säbener Straße verhältnismäßig wenig behindertengerechte Sitzplätze. In einigen Stadien gibt es keine rollstuhlgerechten Eingänge oder diese befinden sich an entlegenen Stellen, sodass Betroffene lange Umwege in Kauf nehmen müssen.
Stimmen aus der Fanszene: „Es fühlt sich an, als seien wir nicht willkommen“
Die Ergebnisse der Studie haben viele Fans mit Behinderungen nicht überrascht. Daniel Krüger, der regelmäßig mit seinem Rollstuhl Spiele seines Vereins besucht, berichtet:
„Oft scheitert es schon am Einlass. Während andere Fans problemlos durch die Drehkreuze gehen, müssen wir auf einen separaten Eingang warten, der manchmal gar nicht geöffnet wird. Im Stadion selbst fehlt es an ausreichend Rollstuhlplätzen, und wenn es regnet, gibt es für uns kaum Schutz. Es fühlt sich an, als seien wir nicht willkommen.“
Auch Daniela Wurbs von der Initiative KickIn!, die sich für Inklusion im Fußball einsetzt, sieht dringenden Handlungsbedarf:
„Viele Stadien erfüllen nicht einmal die gesetzlichen Mindestanforderungen. Es gibt viele strukturelle Barrieren, die mit relativ einfachen Maßnahmen beseitigt werden könnten. Dass hier nicht gehandelt wird, zeigt, dass Inklusion oft noch als Randthema betrachtet wird.“
Vereine und DFL in der Verantwortung
Die Verantwortung liegt jedoch nicht nur bei den Stadienbetreibern, sondern auch bei der Deutschen Fußball Liga (DFL). Diese hat sich in ihrem Lizenzierungsverfahren bereits zu mehr Barrierefreiheit bekannt, jedoch sind die Maßnahmen vielerorts noch nicht konsequent umgesetzt worden.
Stadionbetreiber argumentieren oft mit hohen Kosten für Umbaumaßnahmen. Tatsächlich lassen sich viele Verbesserungen jedoch mit vergleichsweise geringem Aufwand realisieren. Ein barrierefreier Zugang, mehr Rollstuhlplätze oder eine bessere Beschilderung sind keine finanziellen Mammutprojekte – und doch machen sie für Betroffene einen riesigen Unterschied.
Was muss sich ändern? Ein Blick nach England
Ein Blick auf die englische Premier League zeigt, dass es auch anders geht. Dort gibt es nicht nur strenge Vorschriften für die Barrierefreiheit, sondern auch deutlich mehr Angebote für Fans mit Einschränkungen. Vereine wie Manchester City oder der FC Arsenal haben spezielle „Accessibility Officers“, die sich ausschließlich um die Belange behinderter Fans kümmern. Zudem sind fast alle Stadien mit modernsten Audio-Systemen für Sehbehinderte ausgestattet.
Deutsche Vereine könnten sich hiervon einiges abschauen. Die Einführung eines verpflichtenden Inklusionsbeauftragten für alle Stadien, regelmäßige Kontrollen durch unabhängige Organisationen sowie eine finanzielle Förderung von Modernisierungsmaßnahmen könnten helfen, die Situation nachhaltig zu verbessern.
Barrierefreiheit? Mehr als nur ein Randthema
Die Studie macht deutlich: Inklusion im Fußball ist längst überfällig. Während einige Vereine zeigen, dass Barrierefreiheit kein Hexenwerk ist, hinken andere hinterher und verhindern damit, dass alle Fans die gleiche Stadionerfahrung machen können.
Es braucht nun konkretes Handeln: von den Vereinen, der DFL und auch den Fans, die gemeinsam für mehr Gleichberechtigung im Fußball kämpfen sollten. Denn am Ende geht es um eine einfache, aber fundamentale Frage: Gehört Fußball wirklich allen – oder nur denen, die problemlos auf der Tribüne Platz nehmen können?