Für Kryptos gelten andere Massstäbe als für herkömmliche Währungen. Rechnungen ergeben $27’000 pro Bitcoin.
Dieser Artikel erschien auf dem Zürcher Finanzblog Inside Paradeplatz: https://insideparadeplatz.ch/2019/11/20/bitcoin-ist-unterbewertet/
Seit vor zehn Jahren Bitcoin als erste Kryptowährung das Licht der Welt erblickte, fragen sich viele Investoren, was der faire Wert von Bitcoin und all den anderen Altcoins sei.
Ethereum, Ripple, Litecoin und wie sie alle heissen haben zwar einen Marktpreis – wie immer basierend auf Angebot und Nachfrage –, aber die Frage bleibt: Was ist der angemessene Wert dieser Kryptos?
Franken, Euro und all die anderen Fiat-Währungen besitzen ebenfalls keinen sogenannt intrinsischen, in sich liegenden Wert, ausser dass Regierungen sie als legales Zahlungsmittel deklariert haben.
Der faire Wert der Fiat-Währungen kann anhand der Kaufkraftparität miteinander verglichen werden.
Der faire Wert von Aktien kann durch das Abdiskontieren der zukünftig erwarteten Gewinne berechnet werden.
Doch wie kann der faire Wert von etwas Abstraktem wie einer Kryptowährung ermittelt werden?
Zu Bitcoin gibt es logischerweise keine Makrodaten (Inflation, Wirtschaftswachstum, Geldpolitik), genauso wenig wie zu Gold, demzufolge auch keine Kaufkraftparität zu Fiat-Währungen.
Um den Unterschied von den üblichen Anlageklassen (Aktien, Obligation, Währungen, Immobilien) mit Kryptowährungen aufzuzeigen, kann der Vergleich mit Diamanten hilfreich sein.
Diamanten und Kryptowährungen haben drei gemeinsame Faktoren: Nutzen, Knappheit und wahrgenommener Wert.
Die Frage kann auf die simple Gleichung von Angebot und Nachfrage hinuntergebrochen werden. Der relevante Punkt auf der Angebotsseite von Diamanten wird durch die Schürfkosten bestimmt (genauso wie bei Kryptowährungen).
Auf der Nachfrageseite liegt der Nutzen hauptsächlich darin, dass ein Diamant als Schmuckstück getragen wird. Die effektive Nutzungsform ist also null, es ist nur ein Ring an einem Finger (was nichts mit dem wahrgenommenen „Wert“ zu tun hat).
Man kann den realistischen Nutzen von Kryptowährungen ebenfalls in Frage stellen, denn sie werden noch nicht im grossen Stil als Zahlungsmittel verwendet, aber von vielen Investoren als – etwas volatiles – Wertaufbewahrungsmittel.
Diamanten sind selten, aber nicht unlimitiert (durch das Schürfen von nur rund 28 Tonnen pro Jahr wird das Angebot von Firmen wie De Beers bewusst knappgehalten).
Einzelne Kryptowährungen weisen ein limitiertes Angebot auf, aber es werden stets neue kreiert. Es bleibt die Frage, ob diese „Kopien“ je das Standing von Bitcoin erreichen werden.
Der jüngste Skandal um „OneCoin“ lassen zumindest erhebliche Zweifel zu.
Diese Überlegungen können helfen, die Antwort nach dem fairen Wert einer Kryptowährung zu finden.
Stellvertretend für die Bewertung habe ich Bitcoin gewählt, repräsentiert das „Original“ doch gut zwei Drittel der Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen.
Ein erster, naheliegender Ansatz ist es, Bitcoin mit einem anderen Wert mit limitiertem Angebot zu vergleichen, der für lange Zeit als Zahlungsmittel verwendet worden ist und über den keine Regierung eine Preiskontrolle hat: Gold.
Zugegebenermassen ist dieser Vorschlag wenig überraschend, nachdem ich im letzten Artikel Bitcoin als „digitales Gold“ apostrophiert habe.
Gold weist eine limitierte Produktion pro Jahr auf, doch die noch vorhandenen Reserven im Boden sind unbekannt. Dennoch bietet sich Gold als Vergleich an, denn es ist die beste vorhandene Annäherung.
Gemäss verschiedenen Quellen (World Gold Council, U.S. Geological Survey) wurden in der Menschheitsgeschichte rund 190’000 Tonnen Gold geschürft, wovon immer noch etwa 170’000 Tonnen in Form von Barren, Münzen und Schmuck existieren.
Das bedeutet, dass der weltweite Goldvorrat zurzeit $7.8 Billionen wert ist. Interessanterweise entspricht all dieses Gold lediglich einem Würfel mit 21 Meter Kantenlänge.
Jährlich werden rund 3’000 Tonnen zu Grenzkosten von rund $1’100 pro Unze geschürft.
Im Vergleich dazu sind bis heute gut 18 Millionen Bitcoins geschürft worden. Allerdings – und dies ist der Unterschied zu Gold – wird bei 21 Millionen Bitcoins das Limit erreicht sein.
Zum aktuellen Kurs von rund $8’200 entspricht die potentielle Marktkapitalisierung von Bitcoin $172 Milliarden.
Es ist relativ schwierig, die Grenzkosten beim Schürfen von Kryptowährungen zu eruieren, aber Roger Wattenhofer, Professor an der ETH Zürich, schätzt, dass rund 5 Gigawatt Energie nötig sind, um Bitcoin am Laufen zu halten.
Dies entspricht ungefähr dem jährlichen Energiekonsum der Schweiz.
Bei einem Preis von 8 Cents pro Kilowatt in China (in den USA und Europa eher 20 Cents) rechnet Wattenhofer damit, dass das Schürfen von Bitcoins unprofitabel werden könnte, falls die benötigte Energiekapazität auf 15 Gigawatt steigen würde.
Nun ist es unwahrscheinlich, dass Bitcoin als „digitales Gold“ den gesamten Marktanteil des gelben Metalls usurpieren wird. Ich schätze, dass über die Zeit alle Kryptowährungen 20 Prozent des Anteils von Gold für sich beanspruchen könnten.
In diesem Fall wären alle Kryptowährungen $1.6 Billionen Wert (ein Fünftel der $7.8 Billionen).
Gemäss der Webseite coinmarketcap.com existieren zurzeit rund 2’000 verschiedene Kryptowährungen mit einer Marktkapitalisierung von rund $226 Milliarden.
Bitcoin mit einer aktuellen Marktbewertung von $150 Milliarden entspricht zwei Drittel des Totals.
Mit einem festgelegten Limit von 21 Millionen Einheiten wäre der faire Wert von Bitcoin $50’800 (zwei Drittel von $1.6 Billionen, dividiert durch 21 Millionen).
Ein zweiter Ansatz zur Berechnung des fairen Wertes bietet sich durch die Quantitätstheorie an, die eine kausale Abhängigkeit des Preisniveaus von der Geldmenge postuliert.
Die Grundidee geht auf Nikolaus Kopernikus zurück (den legendären Astronomen, Arzt und Mathematiker aus der Zeit der Renaissance), die erste vollständige Formulierung stammt vom englischen Philosophen John Locke.
Der Ökonom Irving Fisher griff das Konzept auf und verbesserte es, und der bedeutendste Vertreter der Neo-Quantitätstheorie des Geldes war der Wirtschaftswissenschafter Milton Friedman.
Trotz unterschiedlichen Auffassungen von Keynesianern und Monetaristen sind sich heutzutage die meisten Ökonomen einig, dass diese Theorie auf die lange Frist zutrifft.
(Aufgrund der Veränderung der Geldmenge, der Umlaufgeschwindigkeit und den daraus resultierenden Preisveränderungen funktioniert die Theorie kurzfristig nicht.)
Das Verwenden von Gleichungen ist oft etwas problematisch, da es viele Leser abschreckt, aber an dieser Stelle macht es die Sache einfacher, die Theorie kurz zu erklären.
M mal V = P mal T, wobei M die Geldmenge darstellt, V die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, P das Preisniveau und T das Transaktionsvolumen.
Wie oben erwähnt, beträgt die aktuelle Marktbewertung von Bitcoin $150 Milliarden. Ich schätze, dass Bitcoin $1 Billion erreichen könnte.
Das wäre 1.25 Prozent des globalen BIP von gegenwärtig $80 Billionen, und die Annahme bleibt, dass Bitcoin zwei Drittel des Marktwertes aller Kryptowährungen ($1.6 Billionen) ausmachen wird.
Die Geldumlaufgeschwindigkeit M2 beträgt im Durchschnitt 1.5 (M2 ist sinnvoller, da M1 mir in der Berechnung zu eng erscheint).
Mit potentiell 21 Millionen Bitcoin im Umlauf entspricht der faire Wert $31’750 (T/(M mal V) = Bitcoin).
Ich denke, die Annahmen, die ich getroffen habe – eine potentielle Umlaufgeschwindigkeit von 1.5 sowie eine Geldmenge von $1 Billion – sind realistisch und ein guter Kompromiss möglicher Einschätzungen.
Ein dritter Ansatz existiert – und er ist der einfachste. Wie erwähnt, beträgt die Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen gegenwärtig $226 Milliarden.
Global betrachtet sind heute für rund $6 Billionen Währungen im Umlauf, das heisst, die virtuellen Währungen machen mittlerweile etwa 4 Prozent des traditionellen Bargeldes aus.
Dieser Tage sind die makroökonomischen Auswirkungen gering, da die meisten Käufer von Kryptowährungen diese als Wertaufbewahrungsmittel oder Spekulationsobjekt sehen und der Einsatz als Zahlungsmittel eher eine vernachlässigbare Grösse darstellt.
Mit der Zeit könnte die Bevölkerung das Bezahlen mit Kryptowährungen als legitimen Ersatz für Fiat-Währungen sehen. Was würde passieren, falls mehr und mehr Menschen ihre Transaktionen mit Kryptowährungen und nicht mehr mit Euro, Franken oder Dollar abwickeln würden?
Zurzeit ist die Inflation in den meisten Ländern tief, und die Zentralbanken haben noch keine grossen Einwände zu allem, was den Konsum antreibt.
Aber wenn die Inflation eines Tages ansteigen würde, werden sie die Geldpolitik straffen wollen und für ein Verbot von Kryptowährungen plädieren.
Das Verbot könnte zweifellos im Zusammenhang mit einem Umtausch von Fiat-Währungen durchgesetzt werden, kaum aber der Besitz von Kryptowährungen, ausser die Regierungen schalten das Internet ab.
Dennoch, der Wert von Bitcoin wäre in diesem Falle null.
Nun zur Schlussfolgerung, die auf einer Annahme von drei Annahmen beruht (eine bessere Alternative scheint mir nicht möglich).
Im Sinne einer objektiven Diskussion bleibe ich agnostisch und teile jedem Ansatz die gleiche Probabilität zu. Demzufolge schätze ich den fairen Wert von Bitcoin auf rund $27’500.