Museumsbesuche erfreuen sich nach wie vor grosser Beliebtheit. Die Möglichkeit, Gemälde und Skulpturen digital zu geniessen, wird hingegen noch selten genutzt. Dabei bietet die Digitalisierung viele Vorteile für Museen sowie Besucherinnen und Besucher.
Viele Leute sind tief beeindruckt von den wundervollen Kunstwerken in den grandiosen Räumen des Louvre. Da Vincis Gemälde der Mona Lisa zu sehen, ist dabei ein Höhepunkt.
Dazu braucht man nicht nach Paris zu reisen, sondern der Louvre lässt sich digital besuchen. Eine riesige Zahl von Bildern und anderen Kunstwerken wird präsentiert; oft auch mit einer ausführlichen Beschreibung und Würdigung. Die einzelnen Werke lassen sich gut erkennen und in Nahaufnahmen würdigen. Ein digitaler Besuch ist weit weniger ermüdend als ein tatsächlicher Besuch des Louvre, bei dem man sich durch eine gewaltige Schar anderer Besucherinnen durchkämpfen muss. Die hohen Kosten der Reise und des Aufenthaltes in Paris entfallen. Was die Mona Lisa betrifft, hätte man bei einem tatsächlichen Besuch vermutlich bestenfalls in der zwanzigsten Reihe gestanden. Man hätte vor allem Leute gesehen, die das Bild mit dem Handy über ihrem Kopf aufnehmen oder noch lieber ein Selfie vornehmen. Von dem recht kleinen Bild hinter dickem Glas hingegen würde man hingegen kaum etwas sehen.
Diese Vorteile eines digitalen Besuchs sind nichts Neues, sondern bereits seit Jahrzehnten in Form von erstklassigen Fotografien vorhanden. Allerdings ist bei einer digitalen Betrachtung der monetäre Aufwand erheblich geringer und das Angebot wesentlich grösser als bei einem Bildband.
Die entscheidende Frage ist jedoch: Warum besuchen so viele Menschen noch immer Museen? Der Louvre wird pro Jahr von über 9 Millionen Personen besucht, und ähnlich hohe Besucherfrequenzen finden sich in London beim British Museum, der National Gallery und der Modern Tate, in Madrid beim Prado, im New York im Metropolitan Museum und dem Museum of Modern Art MOMA und bei vielen anderen berühmten Museen. Dazu gehört auch, dass immer wieder spektakuläre Museen gegründet werden, zuletzt der Louvre in Abu Dhabi. An den oft damit einhergehenden prächtigen Bauten – etwa das Bauwerk von Jean Nouvel in Abu Dhabi – kann es kaum liegen, denn sie können ja sehr wohl digital bewundert werden; und erst noch aus den verschiedensten Blickwinkeln.
Warum Museen eine so grosse Anziehungskraft entwickeln, könnte auf drei Faktoren zurückgeführt werden. Zum einen weist man sich durch einen Besuch eines der führenden Museen der Welt als Kunstkenner aus und gewinnt damit unter Freundinnen und Bekannten an Prestige.
Wichtiger ist wohl die Bedeutung, die derartige Museumsbesuche heutzutage im Tourismus einnehmen. Für die Millionen von chinesischen, indischen, japanischen, aber auch amerikanischen und europäischen Reisenden gehört ein solcher Besuch zum absoluten „Must“. Paris zu besuchen, ohne im Louvre gewesen zu sein, ist für die meisten Touristinnen und Touristen beinahe undenkbar. Dass viele unter ihnen wenig Befriedigung daraus ziehen, ist demgegenüber weniger wichtig. Aus diesem Grunde ist der bereits am Eingang des Louvre angebrachte Hinweis auf „Where’s the Mona Lisa?“ für einen „effizienten“ Besuch entscheidend wichtig.
Eine Frage bleibt jedoch selbst für Kunstliebhaberinnen und Kunstkenner offen. Warum besuchen auch sie diese Museen, obwohl eine digitale Betrachtung weit besser geeignet, einfacher und billiger wäre? Als Antwort wird meist auf die einzigartige „Atmosphäre“ verwiesen, die dem Kunstwerk seinen Glanz und künstlerischen Wert gibt. Atmosphäre ist jedoch nur ein Wort, mit dem nicht erklärt werden kann, warum Kunstwerke in berühmten Museen so viele Besucher anziehen. Vermutlich ist der Grund nicht eindeutig zu bestimmen.
Selbst wenn es sich herausstellen sollte, dass für die meisten Zwecke ein digitaler Besuch völlig genügend ist, bedeutet dies keineswegs, dass auf Museen verzichtet werden sollte. Sie haben nach wie vor die Aufgabe, wichtige von unwichtiger Kunst zu trennen: alles, was von Künstlern und Künstlerinnen geschaffen wird, zu sammeln, ist schlicht unmöglich. Ob die Museen ihre Sammlungen auch aufbewahren müssen, ist hingegen fraglich. Wenn ein Kunstwerk digital aufbereitet ist, lassen sich in der Zukunft mit Hilfe von 3-D-Druckern Kopien nach Bedarf herstellen, die sich vom Original nicht mehr unterscheiden (zumindest nicht für die Betrachterin, bestenfalls noch durch rein naturwissenschaftliche Methoden).
Die Digitalisierung sollte von den Museumsleitungen nicht als unerwünschter Wettbewerb, sondern vielmehr als ein Vorteil angesehen werden. Die Originale können besser geschützt und damit erhalten werden, denn sie werden durch die riesigen Besucherströme in Mitleidenschaft gezogen. Aus diesem Grund sind die grossartigen steinzeitlichen Höhlenmalereien in Altamira und Lascaux für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. Dafür können Besucher – sogar unter besseren Bedingungen – in künstlich erstellten Höhlen Kopien dieser Werke bewundern. Das gleiche gilt für manche Objekte auf der UNESCO-Liste des „Weltkulturerbes“. Der Machu Picchu und Angkor Wat sind durch die Heerscharen von Besucherinnen und Besuchern bereits beschädigt worden, was auch für Städte wie Venedig, Florenz oder Siena gilt. Auch hier ist zu überlegen, ob die Kulturgüter den in Zukunft anstürmenden Abermillionen von Touristinnen und Touristen mittels Kopien und digitalen Darstellungen vermittelt werden können.
Bei diesen Überlegungen muss allerdings zwischen den berühmten Museen – in der Schweiz etwa dem Nationalmuseum, der Fondation Beyeler oder dem Zentrum Paul Klee – und den vielen weniger bedeutenden Museen unterschieden werden. In der Schweiz gibt es gemäss offizieller Statistik 1100 Museen, wobei jedoch fast drei Viertel unter 5000 Besuche pro Jahr aufweisen. Bei einer Öffnungsdauer von 300 Tagen pro Jahr verirren sich bestenfalls im Durchschnitt etwa 15 Besucher pro Tag in diese Museen. Das gleiche gilt auch für andere Länder.
Die kleinen, wenig besuchten Museen haben es überall schwer. Sie können längerfristig nur relevant bleiben, wenn sie sich neu erfinden und die Digitalisierung vermehrt zu ihrem Vorteil einsetzen. Die in solchen Museen Tätigen sind dadurch stark gefordert und müssen sich mit der Welt des Internets auseinandersetzen. Eine solche Ausrichtung ist besonders wichtig, soll auch die junge Generation angesprochen werden. Die staatliche Förderung sollte die Digitalisierung unterstützen, damit sich kleine Museen in der Zukunft behaupten können.