Aktuell in den letzten Wochen wird immer mehr die Frage gestellt, ob unsere Demokratie wirklich noch funktionsfähig sei. In einer neuen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird zum Ausdruck gebracht, dass jeder zweite deutsche Bürger mit dem gegenwärtigen Zustand der Demokratie nicht mehr einverstanden ist. In den sogenannten „neuen“ Bundesländer ist diese Zahl noch erschreckend höher. Aber bereits beim Bezeichnen der Bundesländer im Osten Deutschlands wird dem Verfasser dieser Zeilen bereits ein Punkt erkennbar, woran es liegen könnte, dass die Unzufriedenheit der Bürger in Deutschland immer größer wird. Was heißt denn „neue Bundesländer?“ Wird nicht damit ein Teil der Deutschen regelrecht ausgegrenzt, weil man ihnen unterstellt, erst seit der sogenannten Wiedervereinigung zur Bundesrepublik Deutschlands zu gehören? Dabei wurde den Bürgern vor dieser sogenannten Wiedervereinigung immer erzählt – und dies ist übrigens auch Grundlage des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland – dass die Länder, die seinerzeit als DDR bezeichnet wurden, Teil des gesamten deutschen Volkes gewesen sein sollen. Wenn man dies ernst nehmen würde, dann verbietet es sich, von neuen Bundesländern überhaupt zu reden.

Aber an diesem Beispiel wird auch erkennbar, wie sehr das Gerede der Politiker von den Rechtsgrundsätzen abweicht und immer mehr zu hohlen Phrasen verkommt. Dieser Prozess ist keinesfalls erst über Nacht auf uns hereingebrochen, sondern ist eine lange Entwicklung, an der insbesondere die Parteien beigetragen haben. Wenn im Artikel 21 GG im Absatz 1 formuliert wird: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit, dann hatten die Verfasser des Grundgesetzes mit Sicherheit nicht gewollt, dass die Parteien die Willensbildung des Volkes bestimmen, sondern eben nur mitwirken. Inzwischen scheinen die Parteien zu meinen, sie haben zu bestimmen. Denn nichts anderes bedeutet auch ihr schöner Spruch: „Man muss die Bürger mitnehmen.“ Nein, nicht die Parteien haben die Bürger „mitzunehmen“, sondern die Bürger sind der Souverän und nicht die Parteien.

Das Grundgesetz schreibt in Art. 21 auch vor, dass die Parteien die freiheitlich demokratische Grundordnung einzuhalten haben. Wenn sie dies nicht tun, sind sie von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen. Im gleichen Artikel des Grundgesetzes steht aber auch, dass darüber nicht nachgeordnete Verfassungsschutzbehörden zu entscheiden haben. Über die Frage einer möglichen Verfassungsfeindlichkeit entscheidet ausschließlich das Bundesverfassungsgericht.

Wenn die Bürger wahrnehmen müssen, dass sich die Parteien immer mehr von den gesetzlichen Grundlagen abwenden und sich ihr eigenes Recht schaffen, dann ist es auch nicht überraschend, dass dies bei den Bürgern nicht zur Förderung des Demokratiebewusstseins beiträgt.
Noch gravierendender für die Bürger ist es, wenn sie feststellen müssen, dass ihre gewählten Abgeordneten gar nicht mehr frei im Bundestag entscheiden können. Artikel 38 GG schreibt vor: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Faktisch haben sich die Abgeordneten einem Fraktionszwang ihrer Parteien zu unterwerfen, die an der politischen Willensbildung mitbestimmen, aber nicht allein entscheiden sollen. Auch wenn die Parteifunktionäre meinen, sie müssen dafür sorgen, dass mehr Männer oder Frauen im Bundestag vertreten sein sollten, ist das eine Anmaßung und Bevormundung des Wählers, der einzig und allein zu entscheiden hat, wen er als Abgeordneter im Bundestag sehen möchte.
Bevor man meint, die Demokratie dadurch „verbessern“ zu können, wenn man neue Gremien, die nach dem Grundgesetz gar nicht vorgesehen sind, einrichtet, sollte man sich einmal darum bemühen, die bestehenden Bestimmungen des Grundgesetzes umzusetzen. Es muss wieder sichergestellt werden, dass der Wille des Volkes und nicht der Wille von Parteien im Bundestag zur Geltung kommt.

Unser Grundgesetz sieht im Bundestag ausschließlich vor, dass Fachausschüsse im Bundestag eingerichtet werden, in denen eine intensive und umfangreiche Vorbereitung von Gesetzesvorhaben erfolgen soll. § 70 GG sieht sogenannte Anhörungssitzzungen vor. Damit haben die Abgeordneten die Möglichkeit, sich umfassend Sachverstand von Bürgern vortragen zu lassen. Es ist keinesfalls notwendig, ja es würde den Parlamentarismus aushebeln, wenn man glaubt, durch zusätzliche „Bürgerräte“ mehr Sachverstand für die Erarbeitung von Gesetzen zu erhalten.

Die Bürger sind zunehmend verdrossen, wenn sie feststellen, dass es ein Parlament gibt, in dem nur noch das entschieden wird, was die jeweiligen Fraktionsführungen vorgeben. Die Politiker und ihre Parteien haben dazu beigetragen, dass diese Demokratie ausgehebelt wurde und man inzwischen den Eindruck haben muss, als ob die Parteien sich des Staates bemächtigt haben. Den Bürgern kann man allenfalls den Vorwurf machen, dass sie bisher lautlos zugesehen haben, wie die Parteien dafür gesorgt haben, dass nur noch willfährige Parteisoldaten als Kandidaten für den Bundestag aufgestellt werden. Zu einem großen Teil von Personen, die, sofern sie einen Berufs- oder Studienabschluss haben, nie produktiv gearbeitet, sondern sich nur als Parteimitarbeiter im Dunstkreis von Parteien bewegt haben. Von solchen Abgeordneten kann kein Bürger erwarten, dass sie ihre eigene Meinung vertreten und sich ausschließlich an den Interessen der Bürger orientieren. Diese Politiker sind auf Gedeih und Verderb von ihren Parteien abhängig und werden nur das Lied desjenigen singen, der für ihre Existenzgrundlage sorgt. Dieses System muss beendet werden, weil sonst die Demokratie endgültig in den Abgrund gleitet.
Nicht neue Räte sind erforderlich. Den besten Rat für eine lebende Demokratie kann aus unserem Grundgesetz abgeleitet werden. Allerdings muss man dann auch in der Lage sein, schwierige Texte zu lesen und vor allen Dingen auch zu verstehen. Und hier kann man bei einigen Abgeordneten Zweifel haben.

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