Mein bisheriges Internet-Leben lässt sich in zwei Teile unterteilen: vor und nach Twitter. Bei keinem anderen sozialen Medium habe ich je wieder das Gefühl gehabt, dass es mein Internet-Leben in ein „davor“ und „danach“ teilen könnte – bis ich mich vor etwas mehr als einer Woche bei Clubhouse angemeldet habe.
Kürzlich habe ich dort meinen „Partyhut“ im Profilbild verloren. Das bedeutet, dass ich offiziell nicht mehr neu dort bin – über eine Woche dabei. Zeit für eine Zwischenbilanz: Erstmals seit ich mich 2008 bei Twitter angemeldet habe, gibt es wieder einen Internet-Kanal, der bei mir überhaupt ein Gefühl entstehen lässt. Instagram, Facebook oder LinkedIn waren mir immer egal – Tiktok ist höchstens eine „guilty pleasure.“ Rund eine Woche nach meinem persönlichen Start traue ich dieser App zu, mein Internet-Leben ähnlich nachhaltig zu verändern wie Twitter.
Noch ist das Clubhouse-Phänomen in Deutschland neu genug, um diesen Satz im Artikel unterzubringen: Doch was ist Clubhouse überhaupt? Wenn uns die bisherige Geschichte sozialer Netzwerke etwas lehrt, dann wahrscheinlich nicht nur das, wie Clubhouse in den kommenden Monaten und Jahren in den Medien beschrieben wird. Twitter wurde zu Beginn überwiegend als „Microblogging“ in den USA und als „Kurznachrichtendienst“ in Deutschland beschrieben. Beides beschreibt den Charakter von Twitter nur unzureichend und enthält nicht die größte Veränderung, die Twitter ins Netz bis heute auf allen möglichen Kanälen etabliert hat: das Follower-Prinzip.
Für Clubhouse hat sich noch kein Synonym etabliert. Eine virtuelle Dauer-Konferenz? Ein Live-Podcast mit angeschlossenem sozialem Netzwerk oder ein soziales Netzwerk mit Live-Podcast-Funktion? Eine Telefonkonferenz mit Fremden und Freuden? Eine virtuelle Party? Das erste erfolgreiche Audio-Social-Netzwerk? Es gab bereits Stimmen, die behaupteten, Discord – eine App, die Text- und Voice-Chat in Gruppen verbindet – habe „zufällig die Zukunft des Internets“ erfunden. Obwohl ich Discord schon lange nutze, blieb diese These für mich noch wenig greifbar. Mit dem Durchbruch von Clubhouse hat sich das verändert. Discord hat sicher einen Weg hin zur Zukunft des Internets erfunden. Clubhouse könnte sie sein.
Was also ist es, was mich an Clubhouse so fasziniert? Es ist das erste Internet-Medium, das echte Gespräche mit einer klug gemachten Social-Network-Funktion verbindet. Das Ergebnis sind – zumindest bisher für die meisten Nutzer:innen – schlicht gute Gespräche. Und die Chance, jeden Tag neue Leute kennenzulernen. Ich hatte gute Gespräche in kleinen Runden, in großen Runden – mit Leuten, die ich gut kenne, kaum kenne, gar nicht kenne und sehr häufig habe ich auch einfach nur interessanten Gesprächen gelauscht. Als würde ich einem lockerem Gespräch in einer Kaffeeküche lauschen.
Menschen sind für soziale Interaktionen gemacht. Gespräche sind die natürliche Art der Konversation. Die Art, wie bisher über das Internet kommuniziert wurde, war überwiegend die klassische One-to-Many-Konversation wie ein Instagram- oder Tiktok-Video: Einer sendet, bis zu Millionen Menschen werden erreicht. Der Rückkanal war purer Text und damit sehr beschränkt. Gespräche fanden so nicht statt – es bleibt eine asynchrone Kommunikation, die wir von klassischen Massenmedien wie Radio und Fernsehen kennen.
Dialog-Medien wie Facebook und Twitter waren auf reinen Text beschränkt – mit allen sich daraus ergebenden Nachteilen: Schon im privaten und beruflichen Kontext ist die reine Text-Kommunikation anfällig für Missverständnisse und Eskalationen. Zwischen Fremden, insbesondere mit unterschiedlicherer Meinung, potenziert sich dieses explosive Potenzial.
Mit dem Nutzerwachsum wird Clubhouse höchstwahrscheinlich nicht die Plattform zwischen freundlich-lockerem WG-Party-Küchengespräch, ständiger virtueller Konferenz und re:publica-Hof-Gesprächen bleiben. Trotzdem gibt es eine Beobachtung, die breit geteilt wird zwischen allen, mit denen ich über Clubhouse gesprochen habe: Der gegenseitige Respekt und der freundliche Umgangston sind bemerkenswert – und für ein Internet-Medium herausstechend.
Wenn wir ehrlich sind, ist das ja auch der Normalfall im normalen Leben: Kein Mensch würde eine Party besuchen, auf der der Umgangston so ist wie bei den meisten politischen Diskussionen auf Twitter oder Facebook. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die von Social Media gewohnten Unfreundlichkeiten eher dem Medium Text geschuldet sind als der Frage, wer teilnimmt.
Einen letzten Aspekt will ich noch aufgreifen – immerhin habe ich ihn auch in die Überschrift genommen: der Promi-Faktor. Wer in den vergangenen Tagen bei Clubhouse unterwegs war, konnte live miterleben, wie Kevin Kühnert und Philipp Amthor vermutlich auch miteinander reden, wenn sie nicht in Talkshows sitzen – oder wie Bodo Ramelow in scheinbar vertrauter Runde über Jugendsünden berichtete, die mit Alkohol und einem Moped zu tun haben.
Natürlich gibt es auch Räume mit „Talkshow-Charakter“, bei denen die Spitzenpolitiker im Mittelpunkt stehen und darauf achten, ihre fertigen Botschaften in mundgerechte Botschaften zu verpacken. Aber es gibt immer wieder auch das, was in TV-Talkshows fast noch nie stattgefunden hat – zwischen Spitzenpolitiker:innen untereinander aber auch mit den anderen Nutzer:innen: echte Gespräche, echtes Zuhören, echtes aufeinander eingehen.
Zusammenfassend glaube ich, dass Clubhouse mit seiner Fokussierung auf das echte Gespräch zwischen Menschen, die erste Social-Media-App sein könnte, die wieder zu weniger Polarisierung beitragen könnte. Natürlich ist sie ein Zeitfresser und natürlich ist sie aktuell noch nicht inklusiv – allein, weil sie auf iOS beschränkt ist (die Entwickler:innen arbeiten daran). Aber das alles wird sich ändern. Die gute Gesprächskultur bleibt hoffentlich.