Schon sehr früh in der Pandemie, gab es immer wieder Berichte von einzelnen angeblichen Re-Infektionen [1, 2, 3, 4]. In diesen Fällen wurden Patienten erneut positiv auf das SARS-CoV-2-Virus getestet, nachdem sie zuvor schon einmal für geheilt erklärt wurden. Obwohl diese Fallberichte in manchen Kreisen stark alarmierend aufgegriffen wurden, haben sich weite Teile der Virologen auf die Wahrscheinlichkeit einer transienten Infektion berufen. Damals war das Zeitfenster zwischen letzter negativer Testung und erneut positiver nur wenige Wochen lang, was den Schluss nahelegte, dass es sich wahrscheinlicher um eine latente Infektion handelte, von der man damals bereits wusste, dass es sie durchaus geben kann. Es war nämlich schon sehr früh bekannt, dass manche Infektionen sehr lange Verläufe über mehrere Wochen haben können und dabei auch mal latente Strecken durchlaufen können [5]. Woran das liegt ist noch weitgehend unverstanden, aber es ist unumstritten, dass es sich dabei um multifaktorielle Einflüsse des gesamten Organismus handelt, unter denen die Eigenschaften des Immunsystems sicher eine zentrale Rolle spielen.
Vor wenigen Wochen wurden jedoch weitere Zweitinfektionen gemeldet und diesmal war die Situation anders. Einer der gemeldeten Fälle, aus Hongkong [6], unterliegt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer neuen Infektion. Das Ende der ersten Infektion liegt bereits mehr als 4 Monate zurück. Der Mann soll dann Urlaub in Spanien gemacht haben und sich dort erneut angesteckt haben. Das Virus der ersten Infektion wurde glücklicherweise sequenziert. Das ist der entscheidende Punkt, denn nur so kann man jetzt das vermeintlich neue Virus ebenfalls sequenzieren und dann die Sequenzen vergleichen. Das Ergebnis: es handelte sich tatsächlich um eine andere Quasispezies [7]. Das bedeutet die Sequenz, war den in Spanien vorherrschenden Mutation ähnlich und eine so starke Abweichung der Sequenz aus dem Frühjahr ist bei der Mutationsrate des Virus höchst unwahrscheinlich.
Auf die Veröffentlichung dieses Falls folgten gleich noch einige mehr, unter anderem aus Belgien [8] und den Niederlanden [9]. Aber was bedeutet das jetzt für uns alle? Bedeutet das, dass wir niemals eine Herdenimmunität erreichen werden oder gar eine Impfung immer unwirksam sein wird.
Was bedeutet das jetzt für uns?
Nun, ganz so einfach ist es dann doch nicht. Die Zweitinfektionen sind zwar auf jeden Fall sehr schlechte Nachrichten, aber wir wissen zwar schon seit Beginn der Pandemie, dass die Antikörper-Titer sehr schnell wieder stark abfallen. Wir konnten daraus jedoch nicht schließen, wie das Gedächtnis des Immunsystems auf eine neue Challenge reagieren würde. Aber mit diesen Fällen haben wir auf jeden Fall das Proof-of-Principle, dass es möglich ist, dass das immunologische Gedächtnis durch eine Erstinfektion nicht gut genug stimuliert wurde und man sich daher nochmal infizieren kann. Das ist aber durchaus keine große Überraschung. Es ist bekannt, dass endemische Coronaviren keine starke Immunantwort hervorrufen und das Immungedächtnis nicht sonderlich stark stimulieren. Gerade asymptomatische Fälle fallen damit in die Gruppe jener, bei denen eine Zweitinfektion wahrscheinlich ist, da dem Immunsystem nicht genug Anlass gegeben wurde, eine starke Immunantwort zu entwickeln. Das hat wiederum zur Folge, dass wir uns vom Gedanken einer Herdenimmunität wahrscheinlich verabschieden können. Zumindest liegt dieses Ziel jetzt noch weiter in der Zukunft oder kann sogar auf natürlichem Weg gar nicht erreicht werden, weil es bei zu vielen Menschen niemals zu einer richtigen Stimulation des Immunsystems kommt und Neuinfektionen immer möglich bleiben. Das ist eine ganz besonders schlechte Nachricht für alle Länder, die sich dazu entschieden haben den schnellsten Weg Richtung Herdenimmunität gehen. Solche Länder sollten spätestens jetzt über eine Änderung der Strategie nachdenken.
Es gibt aber trotzdem gute Nachrichten in diesem scheinbar ausweglosen Debakel. Tatsache ist, dass nicht keine (Achtung doppelte Verneinung) Immunantwort generiert wurde. Das bedeutet, es gab eine sekundäre Immunantwort, die höchst wahrscheinlich einen erheblichen Anteil daran genommen hat, dass die Zweitinfektionen wesentlich schwächer verliefen. Dieses Thema überschneidet sich so gesehen mit dem Feld der kreuzreaktiven Antikörper. Man vermutet, dass Menschen, die bereits eine gewisse Immunität gegen andere Coronaviren (wie HKU1, OC43, NL63 oder 229E) haben, kreuzreaktive Antikörper besitzen könnten, die zwar nicht vor einer SARS-CoV-2 Infektion schützen, aber einen milderen oder gar asymptomatischen Verlauf begünstigen könnten. Aber nicht nur Antikörper können kreuzreaktiv sein. Auch wichtige Immunzellen, sogenannte CD4+ T Zellen sind in der Lage ähnliche Viren zu erkennen und so zu handeln, obwohl sie eigentlich auf ein anderes Coronavirus geprimed (=auf ein spezielles Antigen ausgerichtet) wurden [10]. Insofern ist zwar der Gedanke einer endgültigen Immunität nach einer Infektion auf ein Minimum geschrumpft, ehe er vermutlich völlig verpufft, aber der Gedanke an eine Hintergrund-, oder Teilimmunität ist dadurch erheblich gestärkt worden.
Und zuletzt muss einem noch eines bewusst sein. Diese Fälle sind nicht die Regel. Es gibt nur eine Handvoll dieser Fallberichte. In manchen Studien ist der Anteil recht hoch, jedoch kann auch die Validität dieser Studien in Frage gestellt werden und, ob sie wirklich repräsentativ sind. Die kommenden kalten Monate und die zweite Welle wird uns vermutlich mehr darüber verraten, wie häufig solche Zweitinfektionen sind. Dennoch darf man an der Situation auch nichts beschönigen. Spätestens nach diesen Berichten ist klar: Es wird schwerer als wir es uns erhofft haben. Aber nun zur wichtigsten Frage:
Was bedeutet das für die Impfstoffentwicklung?
Für die Entwicklung der Impfstoffe ändert sich im Grunde gar nichts. Impfstoffe werden so entwickelt, dass das Immunsystem wesentlich stärker stimuliert wird, als das bei einer natürlichen Infektion der Fall ist, ohne eine Krankheit auszulösen, um eine möglichst lange Immunität und ein möglichst potentes immunologisches Gedächtnis zu erzeugen. Viele Impfstoffe werden genau daran scheitern. Es wird vermutlich sehr viele Impfstoffe geben, die keine ausreichend lange und/oder potente Immunität vermitteln können. Aber bei mittlerweile über 190 [11] Impfstoffen, die auf so vielen unterschiedlichen Technologien beruhen [12], bin ich sehr zuversichtlich, dass es einen geeigneten Kandidaten geben wird - früher oder später. Doch genau da liegt der Hund begraben.
Es stellt sich nämlich durchaus die Frage, wie man konkret testen kann, ob und wie lange der Schutz durch den neuen Impfstoff nun garantiert ist. Aktuell finden solche Studien statt, indem den Geimpften Antikörper aus dem Blut entnommen werden, die man dann darauf testet, ob sie dazu im Stande sind, das Virus zu neutralisieren, also daran zu hindern, Zellen zu infizieren. Das nennt man einen Virus-Neutralisationstest (kurz VnT). Das Immungedächtnis kann man so nicht untersuchen. Aktuell steht aber heiß zur Debatte, ob es Teil der Impfstoffentwicklung werden sollte, nicht nur die Antikörper, sondern ebenfalls T Zellen genauer unter die Lupe zu nehmen, um präzisere Prognosen über die Potenz der Impfstoffe machen zu können [13].
Da es jetzt aber umso wichtiger werden könnte den langfristigen Schutz auch nach Abfall der Antikörper-Titer zu ermitteln, könnte es sein, dass sogenannte "Challenge-Studies" in die Debatte kommen werden [14, 15, 16, 17]. In "Challenge-Studies" werden Probanden mit dem Virus infiziert, um zu sehen, ob sie davor geschützt sind. Solche Studien gibt es nur sehr, sehr selten. Sie kommen fast ausschließlich in Tierversuchen vor und so gut wie gar nicht mehr in klinischen Studien. Solche Studien wurden aber schon sehr früh angedacht und es gibt bereits erste Vorbereitungen mit Freiwilligen, falls es doch notwendig werden sollte, aber das Thema ist nach wie vor heiß umstritten [18].
Wie man jetzt damit in der Forschung umgehen wird, weiß vermutlich niemand, aber ich persönlich erwarte keinen radikalen Kurswechsel. Ich rechne nach wie vor damit, dass die ersten Impfstoffkandidaten Anfang nächsten Jahres ihre Zulassung erhalten, und dann sehr schnell unter der Bevölkerung verteilt werden. Es wird ein sehr kompetitives Verfahren zwischen sehr vielen, sehr vielversprechenden Produkten werden und genau das braucht die Welt jetzt. Denn nicht das Produkt, das am besten beworben wird, wird gewinnen, sondern der beste Impfstoff. Die Welt hat um Hilfe gerufen, und die Wissenschaft wird liefern [19]. Früher oder später.
Fußnoten
[1] Recurrence of positive SARS-CoV-2 RNA in COVID-19: A case report
[2] South Korea reports more recovered coronavirus patients testing positive again
[3] Dynamic profile of RT-PCR findings from 301 COVID-19 patients in Wuhan, China: A descriptive study
[4] Positive RT-PCR Test Results in Patients Recovered From COVID-19
[6] Covid-19: Hong Kong scientists report first confirmed case of reinfection
[9] Three more Covid reinfection cases discovered in Netherlands: RIVM
[10] Selective and cross-reactive SARS-CoV-2 T cell epitopes in unexposed humans
[11] Draft landscape of COVID-19 candidate vaccines
[12] A Snapshot of the Global Race for Vaccines Targeting SARS-CoV-2 and the COVID-19 Pandemic
[13] SARS-CoV-2-reactive T cells in healthy donors and patients with COVID-19
[14] Accelerating Development of SARS-CoV-2 Vaccines — The Role for Controlled Human Infection Models
[15] Approaches and Challenges in SARS-CoV-2 Vaccine Development
[17] Why Challenge Trials of SARS‐CoV‐2 Vaccines Could Be Ethical Despite Risk of Severe Adverse Events
[18] Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 Human Challenge Trials: Too Risky, Too Soon
[19] A Snapshot of the Global Race for Vaccines Targeting SARS-CoV-2 and the COVID-19 Pandemic
Der Artikel ist eine Ergänzung der Antwort auf die Frage auf Quora: Wenn Patienten erneut positiv auf das SARS-CoV-2-Virus getestet werden, nachdem sie für geheilt erklärt wurden, ist dies ein Fortbestehen des Virus im Körper, nachdem die Symptome verschwunden sind?