»So dunkel, wie tief im Arsch einer Kuh!«
Das hatte sein Großvater immer zu solchen Nächten gesagt, wenn sie gemeinsam vor dem Haus auf der Veranda saßen. Als er noch ein Kind war, hatte das seinem Großvater immer einen strengen Blick von seiner Großmutter eingebracht. Viele Jahre später, als Tommy bereits fast erwachsen war und seine Großmutter schon einige Jahre tot, lachten sie immer noch gemeinsam über diesen Spruch, aber ihr strenger Blick fehlte ihnen beiden.
Tommy zündete sich mit zitternden Händen eine weitere Zigarette an. Diese Nacht war allerdings noch dunkler. Gerade zu unnatürlich dunkel. Es musste Vollmond sein, aber die Wolken am Nachthimmel waren so schwarz und dicht, daß nicht ein einziger Lichtstrahl hindurch drang. Er wusste nicht wie lange er hier schon stand, aber es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Tommy musste über die abgenutzte Formulierung lächeln. Er nahm einen weiteren Zug von seiner Zigarette. Er wusste ja nicht einmal, ob Er überhaupt kommen würde.
Den Ort zu finden war nicht allzu schwer gewesen. Das Land war zwar groß, aber es gab im Umkreis nicht gerade viele Kreuzungen, die so weit von allem entfernt waren, dass Tommy selbst in dieser schwarzen Nacht in keine Richtung irgendein Licht eines Hauses erblicken konnte. Trotzdem bedeutete das nicht, dass Er auch hier sein würde. Schließlich hatte ihm niemand etwas Genaues sagen können. Gerüchte, ja, Gerüchte gab es viele. Aber niemand wollte wirklich etwas wissen. Tommy musste mit vielen Leuten reden, sich lange durchfragen, bis er genug Informationen zusammen hatte, um heute hier zu sein.
Er versuchte auf seiner Armbanduhr zu erkennen, wie spät es war. Doch die “Kuh-Arsch-Nacht” war so dunkel, dass er nicht mal die Zeiger seiner Uhr erkennen konnte. Was wenn er zu spät war? Wenn er ihn verpasst hatte?
Tommy zwang sich, sich zu beruhigen und nahm noch ein Zug von der Zigarette. Dann trat er sie aus.
In diesem Augenblick schob sich ein Loch in den Wolken auf, genau da, wo der riesige Vollmond am Himmel hing. Schlagartig war es nahezu taghell. Tommy liebte das Licht des Vollmondes. Es war hell genug, um alles zu sehen, aber doch ergoss es sich in einer unwirklichen Stille über alles.
Er nutzte die Gelegenheit, um noch einmal auf seine Uhr zu schauen. Er atmete erschrocken aus. Es war wenige Sekunden vor zwölf. Natürlich musste das nicht bedeuten, dass überhaupt etwas passieren würde, aber ..
»Hallo, Junge.«
Tommy fuhr erschrocken herum.
Er starrte den Mann an, der im Schutze der Dunkelheit völlig lautlos an ihn herangetreten war. Es war verstörend. Wie sehr er sich auch bemühte, er hätte ihn nicht beschreiben können. Als würden die Stellen, auf die er seinen Blick richtete, in seinem Verstand verschwimmen oder unscharf werden. Tommy versuchte ihn als Ganzes zu erfassen, dann im Detail. Aber jedes Attribut, dass er hätte verwenden wollen, entwand sich sofort seinem Griff. Er wusste nur, dass alles an seinem Gegenüber ihm eine Heidenangst einjagte.
»Guten Abend, Sir.« brachte Tommy trocken heraus.
Sein Gegenüber lachte. »Meine Güte, ein junger Mann mit Umgangsformen. So was trifft man heutzutage selten.«
Tommy wusste zunächst nicht, was er darauf erwidern sollte.
Dann sagte er »Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen, Sir. Mein Großvater hat mir immer gesagt, dass es wichtig ist, anderen stets höflich und respektvoll zu begegnen, so lange sie einem keinen Anlass für etwas anderes geben. Denn nur dann kann man das selbe auch für sich selbst erwarten.”«
Sein Gegenüber nickte. »Klingt, als wäre Dein Großvater ein kluger Mann gewesen.«
»Ja, Sir, das war er in der Tat.«
»Nun, Junge,« sagte der andere und trat einen Schritt auf Tommy zu. »Du weißt genauso gut, warum ich hier bin, wie ich weiß, warum Du hier bist. Also, reden wir nicht lange drum herum. Willst Du den Deal machen?«
Tommy zögerte. Dann dachte er an seinen Großvater. An die vielen Dinge, die er ihm über das Leben, den Tod, Richtig und Falsch erzählt hatte. Er nickte. »Ja, Sir, das will ich.«
»Dann, wie man es heute so schön ausdrückt,« sagte der andere und streckte ihm seine Hand hin »lass ein Stück Haut rüber wachsen, Bruder!«
Tommy blickte ihn irritiert an. Die Ausdrucksweise des Mannes passte so gar nicht zu seinem zwar undefinierbaren, aber trotzdem Furcht einflößenden Erscheinungsbild.
Tommy streckte ihm die Hand hin. Der andere ergriff sie. Und blickte ihm in die Augen. Eine unfassbar große Angst ergriff Tommys Herz, von der er nur abgelenkt wurde, weil ihn der Griff des Fremden so irritierte. Er war zu fest für jemanden, der so… dürr?..war. Aber er passte wiederum zu der beklemmenden Ausstrahlung des Mannes. Beklemmend fest. So war auch sein Händedruck.
»Also, Junge,« sagte der Fremde »ich frage Dich noch mal, bist Du bereit, den Deal einzugehen? Denn wenn Du es Dir später anders überlegst, werde ich..« er kicherte ».. den Teufel tun, ihn rückgängig zu machen.«
Tommys Nackenhaare stellten sich auf. Das Kichern des Mannes passte noch weniger zu ihm als seine Ausdrucksweise. Aber gerade deshalb war das Kichern besonders furchtbar. Es war zudem ein Geräusch, das sich mit den Ohren nicht wirklich erfassen ließ, obwohl Tommy es deutlich hörte. Viel zu deutlich für seinen Geschmack.
»Ja, Sir, das bin ich. Ich weiß, was ich tue.«
Jedenfalls hoffte Tommy das inständig.
»Gut. Dann soll es so sein.« sagte der andere, ließ Tommys Hand aber nicht los. Tommy spürte, wie sie unter dem Griff des Fremden begann warm zu werden. Die Wärme stieg wie eine Welle seinen Arm hoch, wanderte in seine Brust und breitete sich dort aus, bis sie schließlich zu einer unangenehmen Hitze wurde. Kurz bevor es nicht mehr auszuhalten war, gab sein Gegenüber seine Hand schließlich frei.
»So, das war's. Du hast, was Du wolltest, Junge. Zeit für Dich, die Hosen runter zu lassen, wie man so schön sagt. Ich hoffe, Du hast die Ware dabei.“ Er lachte.
»Du weißt, wie es läuft?«
Tommy schüttelte den Kopf. »Ich habe nur Gerüchte gehört.«
Der andere lachte wieder. »Gerüchte. Oh, ja. Die Gerüchte. Gerüchte sind wie schlechte Gerüche, sie sind überall. Es ist erstaunlich, wie viele Gerüchte es gibt, wenn man bedenkt, dass alle meine Kunden einer Schweigepflicht unterliegen. Aber früher oder später, von Alkohol, Drogen oder schlicht vom eigenen Genius berauscht, redet immer jemand etwas mehr als er eigentlich sollte.«
Der Mann wechselte seine Ausdrucksweise ganz nach Bedarf, dachte Tommy.
»Also,« setzte der andere wieder an »wie bei jedem guten Deal, machen wir es schriftlich. Du schreibst es auf ein Blatt und übergibst es mir. Und das war es dann auch schon.«
Tommy nickte. Das war genau das, was er gehört hatte.
»Du hast nicht zufällig was zum schreiben dabei?« sagte der andere und klopfte seine Taschen ab. kicherte wieder. »Entschuldige. Aber der Witz hat mir in all der Zeit schon zu viele dumme Gesichter eingebracht, als das ich darauf verzichten könnte.«
Tommy nickte. »Ja Sir, das kann ich mir gut vorstellen.“
Dann griff er in die Tasche und zog ein Notizbuch heraus.
„Allerdings habe ich tatsächlich etwas zum schreiben dabei.“
Der Mann starrte ihn an. „Ach. Na, das hatte ich noch nie. Gut mein Junge, dann los.“
Tommy nickte wieder. „Was soll ich schreiben?“
»Ist mir egal, Junge. Völlig egal. Auf das was kommt es nicht an, sondern auf das wie. Du kannst mir einen Schuldschein ausstellen, den ich dann sofort einlöse, oder von mir aus ein paar Abschiedszeilen schreiben. Du kannst „Dosenwurst” drauf schreiben, wenn Dir danach ist. Du musst nur mit dem Herzen dabei sein. Du musst es meinen. Du musst es wirklich wollen. Viele schreiben ein paar Zeilen, die ihnen gerade in den Sinn kommen. »Ich habe mit dem Teufel getanzt« ist sehr beliebt, oder »Du hast meine Seele, aber mein Herz gehört mir«.«Er kicherte.
“Es gab da mal einen Bluesmusiker, der schrieb »You got my soul, but I got the Blues.« Fand ich recht originell. Hatte ich dann später aber noch ziemlich oft, weil er die Zeile in einem sehr beliebten Song verwendet hat. Viele versuchen etwas möglichst originelles zu schreiben. Aber glaub mir, Junge, ich habe schon alles tausend Mal gelesen. Die meisten, schreiben einfach »Meine Seele«. Ist eigentlich das Beliebteste. Vielleicht auch, weil es ihnen in so einem großen Moment an den richtigen Worten fehlt. Mir, Junge, kommt es auf die Worte nicht an. Nur auf Dein Gefühl dabei. Du musst es wollen, das ist entscheidend. Dann überträgt sich Deine Seele auf das Papier. Ansonsten, schreib was Du willst. Ist schließlich Deine Seele. Noch.“ Er kicherte wieder.
“Wenn es beim ersten Mal nicht so recht klappen will, weil Dich vielleicht doch die Angst packt und Dein Herz zuschnürt, hast Du noch zwei weitere Versuche. Danach allerdings ist der Deal hinfällig. Wenn es drei Mal nicht klappt, ist nichts zu holen. Und dann ist der Zug für immer abgefahren und wir sehen uns nie wieder. Niemand macht zweimal Geschäfte mit dem Teufel.“ Er grinste und zuckte mit den Schultern.
Tommy setzte an zu schreiben.
“Aber,“ sagte der andere und das Grinsen verschwand „solltest Du versuchen, mich irgendwie zu bescheißen,“ er senkte die Stimme und sein Blick verfinsterte sich „merke ich das auf jeden Fall. Und dann, Junge, greife ich Dir durch den Hals in die Brust und reiße Dir die Gabe mitsamt Deinen Eingeweiden zum Arschloch wieder raus. Danach lasse ich Dich hier verrecken und wir sehen uns bei mir zu Hause, wo ich Dich auf einen Bratspieß stecke, zusammen mit all den anderen Idioten, die auch versucht haben, mich zu bescheißen. Alles klar?“
Tommy nickte. Er hatte zwar Schwierigkeiten, sich den beschriebenen Gewaltakt bildlich vorzustellen, aber es gab keinen Zweifel, dass sein Gegenüber es genau so meinte. Dann ging er auf ein Knie und begann in sein Notizbuch zu schreiben.
„Friss Scheiße, Wichser!“ rief der Teufel plötzlich.
Tommy fuhr zusammen. „Was? Wieso? Ich…“
Der Teufel lachte. „Das hat mir auch mal einer geschrieben, war eigentlich das originellste bisher. Nicht sehr höflich formuliert, zugegeben, kam aber von Herzen. War auch eine ziemlich dunkle Seele, einer von diesen harten Rockmusikern, die heute so angesagt sind. Kennst Du sicher, ist ´ne ziemlich große Nummer geworden. Aber,“ er zwinkerte Tommy verschwörerisch zu „das sind alle, die den Deal mit mir gemacht haben. Entschuldige, ich wollte nicht stören. Schreib Du nur.“
Tommy nickte und setzte wieder an zu schreiben.
Es verstrichen einige Minuten, in denen keiner der Beiden etwas sagte. Schließlich räusperte sich der Teufel.
„Sag mal, Junge, dauert das noch länger?“
Tommy blickte auf.
„Ja, ich denke, einige Minuten wird es noch in Anspruch nehmen. Ich hoffe, das ist in Ordnung?“
Der Teufel hob abwehrend die Hände.
„Nimm Dir die Zeit die Du brauchst. Ich habe mich nur gewundert. Meistens brauchen meine Kunden einfach nur weit weniger lange.“
Tommy nickte kurz und schrieb weiter.
Schließlich erhob er sich. Er riss das Blatt ohne einen weiteren Blick darauf zu werfen aus seinem Notizbuch und reichte es dem dunklen Fremden.
Der nahm es, warf einen Blick darauf und ließ es wieder sinken.
„Sag mal, Junge, willst Du mich hier verarschen? Was ist das?“
Er hielt Tommy das Blatt hin. Es war beidseitig eng beschrieben. Ohne jede Streichung oder Korrektur, in gestochen scharfen Druckbuchstaben.
„Das,“ sagte Tommy und nickte in Richtung des Blattes „ist die Ware. Gibt es damit ein Problem?“
„Noch nicht.“ knurrte der Teufel. „Aber vielleicht ja gleich.“
Er nahm das Blatt wieder hoch und begann zu lesen.
__
Der alte Pick-Up kam am Rand der staubigen Landstraße neben dem Anhalter zum Stehen.
“Guten Morgen, Sir!”
“Steig ein, mein Sohn!” sagte der Alte, als der junge Mann die Beifahrertür seines Trucks öffnete.
“Vielen Dank, Sir!” sagte er und kletterte auf den Sitz.
“Darf ich fragen, mit wem ich das Vergnügen der Reise teile?” fragte der alte Mann und grinste.
“Thomas ist der Name, Sir. Thomas Scott. Aber meine Freunde nennen mich Tommy.”
“Sehr erfreut, Tommy. Ich bin Abraham Brown. Meine Freunde nennen mich Abe.”
“Vielen Dank, dass Sie mich mitnehmen, Abe. Mein Großvater hieß übrigens auch Abraham.”
“Tatsächlich?” Der Alte lachte. “Nun, Dein Großvater war sicher ein gut aussehender und sehr kluger Mann, nicht wahr?!” Er lachte erneut.
“Oh, das war er tatsächlich,Sir. Nochmals, vielen Dank. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass hier so schnell jemand vorbeikommen würde.”
Der Alte nickte. “Ja, da kannst Du tatsächlich von Glück sagen, hier draußen ist nämlich nicht viel Verkehr. Aber, sag mal Tommy, was hattest Du denn da draußen verloren, mitten im Nirgendwo. Hat Dich jemand an der Kreuzung rausgesetzt? Wenn Du die Frage gestattest.”
Der junge Mann schwieg einige Sekunden.
Schließlich sagte er “Natürlich, Sir. Nein, mich hat niemand dort rausgeworfen. Ich musste gestern um Mitternacht an dieser Kreuzung sein, um dem Teufel meine Seele zu verkaufen.“
Der Alte sah Tommy überrascht an, dann blickte er wieder nach vorn. Eine Weile herrschte wieder Schweigen. Tommy sah aus dem Fenster. Links und rechts der staubigen Landstraße erstreckte sich kilometerweit nichts anderes, als die Weite bereits abgeernteter Maisfelder. Weit und breit war sonst nichts zu sehen. Kein Baum, kein Strauch und kein Haus. Nur Weite und vor ihnen die schnurgerade Straße.
Dann räusperte sich der Alte. “Tatsächlich. Das ist ja interessant. Vielleicht kannst Du mir dann eine Frage beantworten, Tommy, die ich mir schon immer gestellt habe. Wie sieht der Teufel eigentlich aus?”
Der junge Mann sprach, ohne seinen Blick von den Feldern zu nehmen, die an ihnen vorüber zogen.
“Er ist groß und hager. Er trägt einen schwarzen Anzug, mit schwarzem Hemd und schwarzer Krawatte. Trotz seiner hageren Erscheinung strahlt er eine ungeheuer brutale Kraft aus. Er hat feingliedrige, sehr gepflegte Hände, mit langen Fingern, die aber aussehen, als könnten sie einen erwachsenen Mann mühelos in zwei Hälften reißen. Seine Haare sind schlohweiß. Und in seinem blassen, scharf geschnittenem Gesicht war zu lesen, das er in allen Nächten, aller Zeitalter, an allen Kreuzungen dieser Welt gestanden hatte, um armen Schweinen ihre Seele abzukaufen. Wenn er kichert, klingt es, als würden tausende gequälter Seelen übereinander gelegt in einem schalltoten Raum erklingen. Sein Kichern fährt einem durch alle Knochen und nach dem ersten Mal glaubt man, es kein zweites Mal ertragen zu können, ohne den Verstand zu verlieren. Seine Augen sind weiß, ohne Iris, und haben nur eine winzige schwarze Pupille. In diesen Augen habe ich in nur einer einzigen Sekunde alles erblicken können, wovor ich mich jemals in meinem Leben gefürchtet habe.”
Der Alte schluckte hörbar. Dann schwiegen sie wieder.
Schließlich setzte der Alte wieder an. “Das,.. das klingt ziemlich beängstigend, mein Sohn.”
“Oh, das war es, Sir. Ich habe nie zuvor in meinem ganzen Leben so große Angst gespürt. Oder könnte es jemals wieder.”
“Aber sag mal, wofür hast Du denn eine solche Begegnung auf Dich genommen? Was hat Dir der Teufel für Deine Seele gegeben?”
Tommy sah wieder aus dem Fenster.
“Er gab mir die Fähigkeit, richtig gut schreiben zu können.”
Der Alte sah ihn erstaunt an. “Aber, mein Sohn, dafür hast Du dem Teufel Deine unsterbliche Seele verkauft?”
Der junge Mann schwieg einige Sekunden und sah weiterhin aus dem Fenster. Dann antwortete er.
“Wissen Sie, Sir, mein Großvater pflegte immer zu sagen »Eine gut geschriebene Geschichte kann mehr Seele besitzen, als die meisten Menschen.«“
Er schwieg einen Moment.
“Also,” sagte er dann und blickte den alten Mann direkt an “sagen Sie mir, Abraham, wenn nicht dafür, wofür denn dann?”
__
Der Teufel ließ das Blatt Papier sinken. Dann sah er Tommy lange an
„Kompliment, Junge. So was,“ er hielt das Blatt hoch „hat mir wirklich noch keiner geschrieben. Außerdem hat mich auch noch nie jemand auch nur vage beschreiben können. Deine Beschreibung aber.. “ er schüttelte langsam den Kopf „.. könnte von meiner liebenden Mutter höchstpersönlich stammen. Wenn ich eine hätte. Ich fühle mich direkt ein bisschen geschmeichelt. Na ja, eigentlich sollte ich nicht überrascht sein. Schließlich bist Du mein erster Schriftsteller überhaupt. Und die, wie man so hört, ticken ja bekanntlich etwas anders.“
Er grinste. „Na, dann wollen wir uns die Ware mal genauer ansehen. Obwohl, und das darfst Du als erste überschwängliche Kritik von vielen in Deiner künftigen Karriere ansehen, ich hieran keine großen Zweifel hege.”
Er hielt das Blatt hoch gegen das Licht des Mondes und warf einen prüfenden Blick darauf. Nach einigen Sekunden wurden die Buchstaben rötlich, dann glühten sie auf dem Papier, das kurz darauf begann an den Rändern braun zu werden. Schließlich ging das Blatt in Flammen auf und ließ große Ascheflocken durch die Nachtluft schweben.
Der Teufel leckte sich den Ruß von den Fingern und schnalzte anerkennend mit der Zunge. Dann nickte er.
“Das war’s. Alles bestens. Vollgepackt mit Deiner Seele, bis auf den letzten Rest. Starke Ware. Astreiner Stoff.”
Er pfiff durch die Zähne. Dann lachte er. “Du entschuldigst, aber ich habe einen Faible für die Sprache der jungen Leute heutzutage. Die hat einfach Pfiff.“
Tommy nickte. „Ja, Sir, ist mir schon aufgefallen. Sprache ist auch etwas wunderbar Vielseitiges.“
„Na, Du musst es ja wissen. Aber, “ er sah Tommy durchdringend an „eines möchte ich Dich noch fragen. Aus reiner Neugier.“
„Ja, Sir?“
„Schriftsteller, mein Junge? Du hättest alles haben können, alles sein können. Dich als Rockstar vor Tausenden feiern lassen können, wilde Alkoholexzesse, Hotelzimmer verwüsten ohne Konsequenzen zu fürchten. Groupies ohne Ende. Du hättest so ein Schmonzetten-Sänger werden können, dem die Frauen zu Füßen liegen. Mehr Pussy, als Du in Deinem ganzen Leben hättest vögeln wollen. Reichtum, Bekanntheit, Freiheit. Weißt Du, wie viele wirklich begnadete Schriftsteller arm, allein und unbekannt gestorben sind? Überhaupt erst bekannt wurden, nur weil nach ihrem Tod jemand beim Ausmisten ihrer Bude über ihre Manuskripte gestolpert ist? Also, warum Schriftsteller?“
Tommy sah dem Teufel lange in die Augen.
Schließlich sagte er: „Nun, was die Frauen betrifft, Sir, ich habe bereits ein Mädchen. Sie ist die Einzige für mich.”
Der Teufel schnaubte verächtlich durch die Nase.
“Und was alles andere angeht, ” fuhr Tommy fort “seit ich ein Kind war, hat mein Großvater mir Geschichten erzählt. Anfangs selbst ausgedachte, später hat er mir vorgelesen. Als ich schon fast erwachsen war, haben wir abends gemeinsam im Wohnzimmer oder auf der Veranda gesessen und gelesen. Gute Passagen haben wir uns gegenseitig vorgelesen und später die Bücher getauscht. Und mein ganzes Leben lang habe ich mir nichts mehr gewünscht, als selbst solche Geschichten schreiben zu können. Und außerdem,“ Tommy zuckte mit den Schultern „lässt sich eine gute Geschichte auch verkaufen.“
Der Teufel sah ihn ein paar Sekunden wortlos an.Dann zuckte auch er mit den Schultern. „Ich habe mich einfach nur gewundert, Junge. Es war Deine Seele und es ist Dein Leben. Du kannst damit anstellen, was Du willst. Viel Spaß damit.“Tommy nickte. „Danke Sir. Es hat mich gefreut, mit Ihnen Geschäfte zu machen
„Mich auch, mein Junge, mich auch. Mach was draus. Du siehst mich und Deine Seele erst wieder, wenn Deine Zeit abgelaufen ist. Keine Sorge, mit der Gabe in Dir wirst Du Deine Seele nicht vermissen, bis der Rest von Dir ihr folgt. Dann kannst Du uns berichten, wie es Dir ergangen ist. Vielleicht, bei einem hübschen Barbecue.“ Er kicherte.
„Sieh nur, der gute alte Kumpel Mond gibt auch sein Okay für unseren Deal.“
Tommy sah nach oben. Der Vollmond hatte eine rötliche Färbung angenommen. Als Tommy seinen Blick wieder senkte, war er allein.
Er griff in die Tasche und holte seine Zigaretten heraus. Er steckte sich eine an. Diesmal zitterten seine Hände nicht.
In diesem Moment schoben sich die Wolken wieder vor den Mond und Tommy stand in der Dunkelheit.
Ein Schriftsteller ohne Seele, dachte Tommy und schüttelte traurig den Kopf. Hatte man so was schon gehört? Das mochte ja vielleicht für gewisse Musiker funktionieren, aber was sollte ein Schriftsteller mit der Gabe, wenn er keine Seele besaß? Nun, eines war jedenfalls sicher. Seinen Teil des Deals hatte der Teufel eingehalten. So wie es aussah, konnte Tommy jetzt wirklich alles schreiben.
»Eine gut geschriebene Geschichte kann mehr Seele besitzen, als die meisten Menschen.« Wie recht sein Großvater doch behalten hatte.
„Friss Scheiße, Wichser!“ sagte Tommy und er und seine Seele lachten gemeinsam in der Dunkelheit.
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