Es gibt in der Nachhaltigkeitsdebatte wohl kaum einen Begriff, der sich politisch und wirtschaftlich so viel Beliebtheit erfreut und gleichzeitig empirisch so schwach fundiert ist, wie „Grünes Wachstum“. Parteienübergreifend gilt die Symbiose von Wirtschaftswachstum und Klimaschutz als Königsweg in der Klimapolitik.

Aus Berlin ist ökonomischer Optimismus zu verhören: Olaf Scholz fordert eine „positive Agenda“ beim Klimaschutz und erwartet Wachstumsraten „wie in den 50er- und 60er-Jahren“, Robert Habeck hofft auf wirtschaftlichen Aufschwung durch mehr Investitionen in den Klimaschutz und Christian Lindner warnt sogar eindringlich vor „dem Schlechtreden des Wachstums“.

Das Zauberwort heißt Entkopplung: Durch technologischen Fortschritt und Investitionen in erneuerbare Energien sollen Wirtschaftswachstum und Umweltbelastungen voneinander getrennt, also entkoppelt werden. Die Argumentation klingt vielversprechend: Die Wirtschaft soll effizienter werden, sodass sie auch innerhalb planetarischer Grenzen weiterhin wachsen kann. Mit der richtigen Ordnungspolitik könnten Staaten diesen Transformationsprozess beschleunigen, wie beispielsweise durch Investitionen in energieeffiziente Gebäudesanierungen; den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel oder die Förderung erneuerbarer Energien. Dafür spricht außerdem, dass sich bereits seit vielen Jahren ein Trend der Entkopplung von Wachstum und CO2-Ausstoß beobachten lässt und auch in Deutschland die Kohlenstoffintensität je Einheit BIP sinkt. Wie günstig, dass sich Wirtschaftswachstum und Umweltschutz so einfach miteinander versöhnen lassen, mag sich der ein oder die andere denken. Dass die Ursache der größten Herausforderung der Menschheitsgeschichte auch gleichzeitig ihre Lösung zu sein vermag, ist allerdings Augenwischerei.

Die Empirie zeigt in eine eindeutige Richtung: Es gibt keine hinreichende Evidenz für die Art und Weise von Entkopplung, die für eine nachhaltige Entwicklung erforderlich ist. Die 2020 veröffentlichte und größte Metastudie zur Entkopplung, schließt mit den Worten „In the absence of robust evidence, the goal of decoupling rests partly on faith.“ – das ist ein Paukenschlag. Zwar gibt es zahlreiche Studien, in denen eine gewisse Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung nachgewiesen werden kann, allerdings erfüllt keine einzige (!) davon die Kriterien, die für die Einhaltung der Pariser Klimaziele erforderlich wäre: Die Entkopplung müsse absolut, global, sektorübergreifend und dauerhaft erfolgen, um wissenschaftlich Stand zu halten. Gleichzeitig müssen die verwendeten Umweltmetriken so beschaffen sein, dass sie als verlässlicher Indikator für den Zustand und die Nachhaltigkeit der Umwelt im Allgemeinen dienen können – CO2 als Umweltindikator tut dies beispielsweise nicht, da es nun mal nicht alle planetaren Belastbarkeitsgrenzen repräsentiert.

Insofern steht das Konzept des Grünen Wachstums auf empirisch wackligen Beinen und scheitert bislang am Ausmaß der erforderlichen Entkopplung. Deutschland reduzierte seine Emissionen zwischen 2013 und 2019 im Schnitt um etwa 14 Millionen Tonnen pro Jahr, das sind 1,2 Prozent. In dem Tempo bräuchte es über 250 Jahre, um bei Nullemissionen zu landen. Will man sich wirklich auf Grünes Wachstum verlassen, wenn es so schwach belegt ist? Auch die Autor:innen der Metastudie schließen: Das bloße Vertrauen in die Entkopplung und die Ignoranz gegenüber alternativen Entwicklungspfaden, die ohne Wachstum auskommen, stellt eine Hochrisikostrategie dar.

Wenn sich das Wachstumsparadigma also auch durch eine grüne Transformation nicht aufrechterhalten lässt, gibt es dann eine andere Möglichkeit, außer sich davon zu verabschieden? Eine Abkehr ist in absehbarer Zeit allerdings eher nicht zu erwarten: ein Bruch mit der Wachstumsdoktrin würde gleichzeitig einen Bruch mit der kapitalistischen Marktwirtschaft bedeuten – eine Maxime, noch heiliger als das grüne Wachstum.