Aktuell scheint die Öffentlichkeit kaum ein Interesse an der sich gerade neu konstituierenden Partei der türkischen Gesellschaft in Deutschland zu haben. Abgesehen von einigen Presseausführungen in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und einigen Printmedien hat man den Eindruck, dass man bereits zur Tagesordnung übergegangen ist. Das Anheizen der Öffentlichkeit gegen angebliche rechtsradikale Entwicklungen und die Organisation entsprechender Demonstrationsveranstaltungen, die von Wanderdemonstranten – im Mittelalter gab es die Wanderhuren - bestückt werden, damit der Eindruck entsteht, als wenn ganz Deutschland im Aufruhr sei, scheinen gegenwärtig für viele Politprofis wichtiger zu sein, als die sich anbahnende fundamentale Veränderung der Parteienlandschaft in Deutschland. Dabei wird die sich jetzt gründende Partei „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ eine wesentlich entscheidendere Rolle spielen, als der sogenannte Aufbruch einer Frau Wagenknecht, die zwar vom Aufbruch redet, in Wahrheit aber die alte SED-Ideologie jetzt nur mit schöneren Worten fortsetzt.
Besonders auffällig ist, dass bei den bisher vorliegenden Pressemitteilungen keine ausführliche Darlegung über die Inhalte des bereits vorliegenden Parteiprogramms der Partei DAVA erfolgte. Eine Anfrage bei dem Vorsitzenden der DAVA in Deutschland, M.Teyfik Özcan, durch das wir um eine Ausfertigung des Parteiprogramms baten, wurde sehr schnell beantwortet. Uns wurde das vollständige Parteiprogramm übersandt.
Nun kann man geteilter Meinung sein, ob es sinnvoll sei, wenn eine gesellschaftliche Gruppe mit einem eindeutig starken türkischen Bezugspunkt, die aufgrund der doppelten Staatsangehörigkeit auch Teil der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ist, eine eigene Partei gründet, die natürlich das Ziel hat, auch im Bundestag vertreten zu sein und damit direkten Einfluß nicht nur auf die Meinungsbildung, sondern auch auf die Gesetzgebung in Deutschland haben wird. Aber wie auch immer diese Frage beantwortet wird, stellt sich vorher die Frage, warum es überhaupt zu der der Absicht der Gründung einer solchen Partei gekommen ist. Soweit man aus Verlautbarungen der türkischen Gesellschaft in Deutschland hören konnte, fühlte man sich von den bisherigen Parteien in Deutschland, die viel von Integration und Vielfältigkeit reden, nicht ausreichend vertreten. Dabei ist besonders bemerkenswert, dass die türkische Gesellschaft in Deutschland immer eine besondere Affinität zur SPD hatte und hier offensichtlich ein Bruch entstanden ist.
Die jetzt geplante Partei kann auch nicht einfach mit der Minderheitspartei der Dänen in Schleswig-Holstein gleichgesetzt werden. Im Gegensatz zur dänischen Minderheit in Deutschland, die auch aufgrund von Grenzverschiebungen zwischen Deutschland und Dänemark entstanden ist, liegen die Verhältnisse bei den türkischen Mitbürgern völlig anders. Aus unserer Sicht dürfte es spannend werden, wie sich die Partei der Türken in Deutschland verhalten wird, wenn sich deren Mitglieder zwischen ihrem türkischen Heimatland und dem neu gewählten Heimatland Deutschland entscheiden müssen. Eine solche Entscheidung wird immer dann relevant, wenn aufgrund einer besonderen Krisensituation ein Bekenntnis für die eine oder andere Seite zwingend geboten ist.
Aber diese Fragen werden mit Sicherheit noch einen großen Rahmen in der öffentlichen Diskussion einnehmen, wobei wir gar nicht sicher sind, ob diese Fragen von den derzeitigen deutschen Politikern auch nur ansatzweise bedacht worden sind. Wahrscheinlich werden sie sogar nicht als ein besonderes Problem angesehen.
Ein erster Blick auf das Programm zeigt jedoch, dass es sich noch um einen vorläufigen Entwurf zu handeln scheint. Es werden alle relevanten gesellschaftspolitischen Fragen angesprochen, die auch in Deutschland keine Überraschung sein können. Es wird auch erkennbar, dass sich das Programm auf die spezifischen Belange von türkischen Staatsbürgern, die Deutschland zu ihrer neuen Heimat gewählt haben, bezieht und die für die gesellschaftliche Integration türkischer Mitbürger in Deutschland von großer Bedeutung sind. Allerdings werden auch viele Fragen offengelassen, so dass nicht erkennbar ist, welche politische Richtung die neue Partei wirklich einschlagen wird. Dies bezieht sich besonders auf die Außenpolitik. Es wird die Zweistaatlichkeit der Israelis und der Palästinenser gefordert, allerdings ist nicht klar, ob und zu welchem Bündnissystem die Orientierung erfolgen soll. Es wird von einer starken Einbeziehung der EU gesprochen, es bleibt aber offen, ob damit die EU als eigenständiger Staat oder als Zusammenschluss von souveränen Staaten gemeint sein könnte.
Die Kapitel „Schutz der Familie“ und „Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften“ sind im Gegensatz zu den übrigen 15 Kapitel ausgesprochen präzise formuliert. Das Familienbild orientiert sich an dem Familienbild der CDU, als diese noch eine CDU gewesen ist. Die Familie im Programm der DAVA orientiert sich an dem traditionellen Familienbild und nicht an Pseudofamiliengebilde, bei denen nicht mehr von Mann und Frau gesprochen wird. Auch die Forderung nach einer staatlichen Anerkennung der muslimischen Religion ist Grundlage im vorliegenden Parteiprogramm.
Völlig offen, weil nicht angesprochen, ist die Beziehung zwischen der türkischen Gesellschaft in Deutschland und zur Regierung ihres Ursprungslandes. Diese Frage dürfte für türkische Bürger mit der deutschen und türkischen Staatsangehörigkeit von einer besonderen Bedeutung sein. Unbeschadet der Doppelstaatlichkeit bei türkischen Bürgern, sollte beachtet werden, dass der türkische Staat seine Bürger auch dann nicht aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlässt, wenn eine zweite Staatsbürgerschaft angenommen wurde.
Bornemann-Aktuell wird sich mit der Analyse des Programm eingehend befassen und zu gegebener Zeit dazu Stellung nehmen. Bereits jetzt kann aber festgestellt werden, dass es bei allen Parteien, mit Ausnahme der gegenwärtigen demokratischen Oppositionspartei der AfD ein Umdenken geben muß, wenn nicht der nächste große gesellschaftspolitische Konflikt im Bundestag entstehen soll.
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