Über die Rolle der Technik und das Verstehen von Wissenschaft für das Ziel einer nachhaltigen Welt.
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Die hymnischen
Worte von Friedrich Hölderlin kann ein Wissenschaftshistoriker
nüchtern umkehren. Denn da, wo im Laufe der Geschichte dank
Forschung das Rettende erreicht worden und den Menschen der
erwünschte Handlungsspielraum zugewachsen ist, droht auch die
Gefahr, die zugleich mit den Möglichkeiten aufkommt, die
Wissenschaft und Technik den Menschen bieten. In seinem Buch über
„Zeiten der Erkenntnis“ erwähnt der britische Historiker Ian Mortimer
dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Mortimer möchte in seiner
Erzählung für jedes Jahrhundert „Den wichtigsten Akteur des
Wandels“ ausfindig machen, der seine eigene und die nachfolgende
Zeit geprägt hat, und nachdem er sich im 19. Jahrhundert für Karl
Marx und seine visionäre Gesellschaftsanalyse entschieden hat, denkt
der Historiker als möglichen Kandidaten für das 20. Jahrhundert über
den Chemiker Fritz Haber nach, und zwar aus den folgenden
Gründen:
„Die Erfindung, die dieser deutsche jüdische Wissenschaftler
zusammen mit seinem Schwager Carl Bosch machte, der Haber-
Bosch-Prozess zur Herstellung von Stickstoffdünger, kam der ganzen
Welt zugute. Die Schätzung zur Zahl der Menschen, die heute
aufgrund seiner Erfindung leben, gehen in die Hunderte Millionen,
sogar in die Milliarden. Was für ein Segen für die Menschheit,
möchte man sagen, was für ein Lebensretter! Doch derselbe Mann
war auch für die Erfindung der chemischen Kriegsführung
verantwortlich. […] Und es sollte noch schlimmer kommen. Nach
dem Ersten Weltkrieg leitete Haber die Arbeitsgruppe, die das auf
Blausäure basierende Insektizid Zyklon B entwickelte. Diese
Chemikalie verwendeten die Nazis während des Zweiten Weltkriegs,
um unzählige Juden in den Todeslagern zu ermorden. … Der Mann,
der mehr Leben rettete als jeder andere, war auch für Millionen Tote
verantwortlich.“
Die Nähe der Wissenschaft und ihre Ferne
In den Tat und ganz konkret: Wo sich das Rettende zeigt, wächst auch
die Gefahr durch die gewonnenen Einsichten in die Natur. Und diese
Feststellung trifft noch zu, wenn längst nicht mehr gilt, was Hölderlin
schreibt, nämlich „Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott“, sondern
wenn sich in einer rationalen und säkularisierten Welt etwas anderes zeigt, und zwar „Nah ist / Und schwer zu fassen die Wissenschaft.“
Mit dieser banal scheinenden Wendung soll nicht ausgedrückt
werden, dass Menschen mit Hilfe von Forschung und Technik
göttergleich geworden sind, auch wenn Bücher mit Titeln wie „Homo
Deus“ so etwas proklamieren. Mit der trivialisierten Hölderlin Zeile
soll nicht etwas Großspuriges, sondern – im Gegenteil – etwas
Kleinmütiges angesprochen werden, nämlich die Tatsache, dass
heutige Gesellschaften zwar von der Wissenschaft leben und von
ihren Hervorbringungen berührt werden, aber diese Nähe kommt
zustande, ohne dass die Menschen etwas von dem Gott in ihren
Reihen wissen oder überhaupt verstehen wollen, wie er operiert.
Naturwissenschaftliche Bildung findet entweder nicht statt oder kein
öffentliches Interesse, und das ist die eigentliche Gefahr, vor der sich
die Menschen nur selbst in Rettung bringen können.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben zwar zuständige
Organisationen in Deutschland eine Initiative für ein „Public
Understanding of Science“ gestartet und sich vorgenommen,
„Wissenschaft im Dialog“ zu vermitteln, aber in den vergangenen
zwei Jahrzehnten ist weder ein Verstehen von noch ein Verständnis
für Wissenschaft zustande gekommen, wie man die englischen Worte
auf zwei Weisen übersetzen kann, um dabei zu merken, dass sie sich
offenbar unterscheiden. Und wenn die öffentliche Meinung
inzwischen auch die Gefahr erkannt hat, die der Menschheit unter
anderem durch den Klimawandel, das Artensterben, die
Umweltzerstörung, die Ressourcenknappheit und die
Bevölkerungsexplosion das Überleben erschwert, so zeigt sich trotz
Hölderlins Optimismus das Rettende in Form einer notwendig
nachhaltigen Lebensweise noch lange nicht in ausreichendem Maß.
Nachhaltigkeit kann nämlich nicht allein durch technisch-
wissenschaftliche Entwicklungen erreicht werden. Nachhaltigkeit
gelingt erst durch eine kulturelle Lebenseinstellung, zu der eine
Bildung gehört, die bislang ausbleibt. Natürlich kann sich eine
nachhaltige Lebensweise nur entwickeln, wenn die Laboratorien mit
ihren Forschern und die Werkstätten mit ihren Ingenieuren ihre
Beiträge liefern. Sie müssen dann aber von den Zeitgenossen
verstanden und im Alltag akzeptiert werden, um „enkelgerecht“
wirksam zu werden, wie man inzwischen sagt, nachdem aus der
Nachhaltigkeit in jüngster Zeit ein modisches Gummiwort geworden
ist, mit dem manche einfach ausdrücken möchten, das etwas eine
längere Zeit andauert oder anhält, ein nachhaltiges Gedächtnis zum
Beispiel.
Ziele der Menschheit
Wenn mit Nachhaltigkeit das seit den 1980er Jahren formulierte Ziel
der Menschheit gemeint ist, die Erde und ihre Ressourcen so zu
nutzen, dass späteren Generationen – zuerst einmal den eigenen Enkelkindern – dieselben Chancen auf ein Leben in Würde mit
ausreichenden Erträgen ermöglicht wird, wie sie bislang verfügbar
waren, dann lassen sich eine Fülle von Techniken nennen, deren
Einsatz zu dem genannten Ziel beitragen, wobei in letzter Zeit der
Plural benutzt wird, um einzelne Ziele eines nachhaltigen
Wirtschaftens und Lebens anzugeben. Die UN hat 17 ausgewählt, die
unter der Abkürzung SDG – Sustainability Development Goals – im
Internet zu finden sind. Sie handeln von Armut, Hunger, Gesundheit,
Bildung, Wasser, Energie und manchem anderen wichtigen Aspekt,
der einem Leben Würde gibt. Viele Menschen werden dies wissen,
was die Frage mit sich bringt, die weniger technisch und mehr
philosophisch klingt und auf ein Rätsel verweist. Es besteht darin,
dass am Ende des 20. Jahrhunderts nach der Zukunftseuphorie der
1960er Jahre, als eine Reihe optimistischer Futurologen dem
staunenden Publikum vorführten, wie „Der Weg ins Jahr 2000“ zu
finden sein würde und welche paradiesischen Zustände an seinem
Ende auf die Menschen warteten, es zu einer Depression kam. Denn
als man dem versprochenen Land näher kam, zeigte sich vor allem ein
Überdruss an der Wissenschaft, wie der Philosoph Hans Blumenberg
1987 in seinem Buch „Die Sorge geht über den Fluss“ notiert hat.
Damals konnte sich Blumenberg noch wundern, warum „unausgesetzt
Anstrengungen zu meiner Rettung unternommen werden, wenn ich
nichts davon weiß, in Gefahr zu sein“. Doch diese Lage hat sich
inzwischen spürbar geändert. Die Gefährdung der Welt ist
unübersehbar geworden, und so bieten sich im 21. Jahrhundert viele
Technologien an, um gangbare Wege in eine nachhaltige Zukunft zu
öffnen. Hier sollen ein paar angesprochen werden.
Bekanntlich wird das Erdklima durch das Treibhausgas CO 2 bedroht,
das nicht nur in Verbrennungsmotoren, sondern auch in Kraftwerken
und anderen Industrieanlagen entsteht und in die Luft gelangt. Dies
hat zu der Idee geführt, die Emissionen, die etwa bei der
Stromproduktion entstehen, bereits bei der Freisetzung abzufangen
und anschließend unterirdisch zu lagern, wobei die geeigneten
geologischen Formationen noch zu finden wären. CCS heißt das
Konzept, „Carbon Capture and Storage“, das auch als CO 2 -
Verpressung bezeichnet und seit Ende des 20. Jahrhunderts diskutiert
und erkundet wird, ohne seine Kritiker überzeugen zu können. Die
Einwände reichen von zu hohen Investitionskosten über
Akzeptanzprobleme bis hin zu Unkenntnissen über den Aufbau des
Erdinnern mit dazugehörigen Risiken auf der Oberfläche, und die
Debatte zu diesem Thema wird weitergehen.
Den erwähnten Abbau der CO 2 -Konzentration in der Atmosphäre
möchte man auch mit großräumigen Eingriffen in die Lufthülle der
Erde erreichen, die unter dem Stichwort Geoengineering erörtert
werden. Ein Vorschlag sieht dabei vor, die einfallende Sonnenstrahlung zu reduzieren – man spricht vom Solar Radiation
Management –, was aber weder im globalen Maßstab angeboten wird
noch von der Kostenseite her kalkulierbar ist.
Zu den drängendsten Themen gehört die Frage, „Kann unsere Erde
die Menschen noch ernähren?“, die der Biochemiker und
Züchtungsforscher Klaus Hahlbrock in einem 2007 erschienenen
Buch mit diesem Titel erörtert hat. Die Aufgabe ist gigantisch, wie
man sich leicht klarmachen kann, wenn man zur Kenntnis nimmt,
dass die Landwirtschaft mit weniger Energie und knapper werdenden
Böden und Nutzflächen eine zunehmende Zahl von Menschen
ernähren muss, nämlich zehn Milliarden im Jahre 2050, wie
allgemein geschätzt wird. Wie muss eine nachhaltige Landwirtschaft
aussehen, um ausreichend Nahrungsmittel zu liefern und mit ihnen
möglichst zur Gesundheit der Konsumenten beitragen? Die
Antworten, die hier zu hören sind, greifen oftmals auf die grüne
Gentechnik zurück, mit deren Hilfe Nutzpflanzen gegen Schädlinge
oder Trockenheit resistent gemacht und so eingestellt werden können,
dass sie effizienter mit dem Stickstoff aus der Luft umgehen. Mit
dieser Form der Gentechnik können sich selbst ihre einstmaligen
Gegner aus den Reihen der Grünen anfreunden – nach dem Motto:
Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.
Mut zur Nachhaltigkeit
Was alles zu dem für eine global lebenswerte Zukunft
aufzubringenden „Mut zur Nachhaltigkeit“ gehört, hat der ehemalige
Wirtschaftsmanager und heutige Stifter Klaus Wiegandt in einem
2016 erschienenen Band mit diesem Titel zusammengestellt, der im
Untertitel „12 Wege in die Zukunft“ ankündigt. Auf ihnen geht es
unter anderem um die Bedrohung der Ozeane, die Gefährdung der
Ressource Wasser allgemein, die zunehmende Migration der
Weltbevölkerung und die Möglichkeit künftiger Seuchen und
Pandemien, die in diesen Tagen (Februar 2021) durch das Corona
Virus ausgelöst worden ist und die Welt in Atem hält. Bereits viele
Jahre vor dem Auftreten von Covid-19 hat der Infektionsbiologe
Stefan H.E. Kaufmann die „Mindestanforderungen zur
Seucheneindämmung“ aufgezählt:
„Ausstattung mit gut geführten Kliniken und Implementierung
ausreichender Hygienestandards. Sicherstellung einer
funktionierenden medizinischen Grundversorgung. Schaffung
globaler Organisationen für den Kampf gegen Erreger ohne Grenzen.
Einrichtung globaler Überwachungsstrukturen, die rasch neue
Gefahrenherde ausmachen. Möglichst bevor sich aus einem lokalen
Ausbruch eine Epidemie entwickelt. Einrichtung eines internationalen
Zentrums für globale Notfallmaßnahmen, das wirksam Eingriffe bei
Gefahrensituationen gewährleistet. Stärkung von Forschung und Entwicklung für neue Medikamente, Impfstoffe, Diagnostika,
medizinische Geräte sowie Ausrüstung für den Infektionsschutz.“
Zur aktuellen Bekämpfung der Corona Pandemie trägt die
Weltgesundheitsorganisation WHO (Word Health Organisation) bei,
die 2009 zusammen mit dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF und der
Weltbank in einem gemeinsam erstellten Bericht festgestellt hat, „mit
Ausnahme von sauberem Wasser hat keine Maßnahme die Zahl der
Todesfälle erfolgreicher zurückgedrängt als Impfstoffe – auch nicht
Antibiotika.“ Impfstoffe sollen (und werden) den Menschen bei der
derzeit grassierenden Corona Seuche helfen, doch dies hindert viele
Querdenker trotz übereinstimmender Sicht der Virologen und
Infektionsbiologen nicht daran, sich skeptisch und abschätzig
gegenüber den gegen Covid-19 entwickelten Impfstoffen zu äußern.
Statt über die extrem kurze Entwicklungszeit der therapeutischen
Angebote zu staunen, jammert man über Profitgier der
Pharmabranche und verbreitet Verschwörungstheorien abstrusester
Art, was zu der These zurückführt, dass Nachhaltigkeit ein Thema der
Kultur ist und das mit diesem Wort bezeichnete Ziel nur erreicht wird,
wenn die Menschen dies verstehen und nicht nur auf technische
Hilfen warten, sondern sich gezielt vornehmen, ihr Verhalten zu
ändern.
Die Waldoption
Der Menschheit droht Gefahr, weil ihre Mitglieder aus Profitgier
Regenwälder abholzen und verbrennen, weil sie gewaltsam natürliche
Räume usurpieren und so die Artenvielfalt vernichten, weil sie mit
ihren Schiffen und Abfällen die Ozeane kontaminieren und
vermüllen, weil Menschen allgemein nach kurzfristiger
Gewinnmaximierung streben und sich an verschwenderische Lebens-
und Konsumstile gewöhnt haben. Es lässt sich ausrechnen, dass zum
Erreichen des bekannten Ziels, die Erderwärmung auf höchstens zwei
Grad zu begrenzen, bis zum Jahre 2050 der derzeitige Energiebedarf
um die Hälfte reduziert und der größte Teil der fossilen Brennstoffe
durch erneuerbare Träger ersetzt werden muss. Dabei soll es weiter
gelingen, das Wachstum der Wirtschaft durch technologische
Innovationen zu erhalten, was zusammen höchst unwahrscheinlich
klingt – jedenfalls solange sich die Politik weigert, dafür zu sorgen,
dass für natürliche Ressourcen ökologisch angemessene Preise
gezahlt werden. Wie aber zu beobachten ist, machen die durch den
aufgestauten Bedarf in Schwellen- und Entwicklungsländern zustande
kommenden Reboundeffekte viele Effizienzgewinne zunichte, die
technischen Entwicklungen zu verdanken sind. Und allgemein gilt,
dass radikale Umstellungen von Lebens- und Konsumstilen und
Änderungen in der industriellen Produktionsweise deshalb weder
durchführbar noch zu verantworten sind, weil dies in vielen Ländern Massenarbeitslosigkeit zur Folge hätte, die wiederum
Fluchtbewegungen auslösen würde.
Angesichts dieser Lage schlägt Klaus Wiegandt (www.mut-zur-
nachhaltigkeit.de) das vor, was er die Waldoption nennt. Sie besteht
aus den beiden Schritten „Regenwälder erhalten“ und „ein weltweites
Aufforstungsprogramm“ beginnen. Ein Stopp der Vernichtung der
Regenwälder würde die CO 2 -Emissionen um Milliarden von Tonnen
senken, wobei die damit verbundenen Ertragsausfälle in den
Schwellen- und Entwicklungsländern jährlich mit 50 Milliarden US-
Dollar bezahlt sein würden, was eine stemmbare Summe für die
Weltgemeinschaft ausmacht. Und in den Tropen könnten nach
wissenschaftlichen Studien auf 200 Millionen Hektar
Aufforstungsprogramme ohne Nachteil etwa für die
Sonnenabstrahlung (Albedo Effekt) durchgeführt werden. Die hier
angedeutete Waldoption scheint der Initiative „Mut zur
Nachhaltigkeit“ ein praktikables Mittel zu sein, um die Emissionen
ausreichend zu reduzieren, ohne dabei ein soziales Elend zu
verursachen.
Eine Frage der Bildung
Es ist gesagt worden und vielfach zu lesen, dass die
Herausforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit weniger
technischer Art und mehr kultureller Natur sind. „Es ist aus
moralischen Gründen unerlässlich, dass die Botschaften der
Wissenschaften so weit ins Bewusstsein der Entscheidungsträger
eindringen, dass diese eine klare Vorstellung davon haben, dass sie
eine Wahl unter bestimmten Optionen zu treffen haben“, wie der
Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber in seinem Buch
„Selbstverbrennung“ geschrieben hat, wobei nicht eigens hinzugefügt
werden muss, dass die erwähnten Botschaften auch in den Köpfen der
Menschen anzukommen haben, die man als breite Schicht der
Bevölkerung kennt. Doch kaum schlägt man diese Art der modernen
Aufklärung vor, melden sich Sozialwissenschaftler zu Wort, die auf
die Gefahren einer ungeschminkten Ausbreitung der Wahrheit
hinweisen, weil sie befürchten, Menschen fallen dann entweder in
eine Schockstarre, die sie handlungsunfähig macht, oder sie
entscheiden sich für das hedonistische Prinzip und unternehmen
alles, um die Welt und ihren Luxus noch einmal zu genießen.
Man kann natürlich darauf warten, dass die entscheidenden Impulse
zum Klimaschutz und zur Rettung vor den erkannten und drohenden
Gefahren von Entscheidungen der Politik ausgehen, die den Weg für
erhoffte technische Lösungen freimachen. Man kann auch der Ansicht
sein, dass schon alles zu spät ist und man nur noch warten kann, bis
der planetare Notstand eintritt und die Menschen auf der Erde wieder
das beginnen können, was sie im Laufe der Evolution groß gemacht hat und Überlebenskampf heißt. Als der Nobelpreisträger Dennis
Gabor in den 1960er Jahren über die „Menschheit morgen“
nachdachte und die Zukunft konkret erfinden wollte, meinte er im
Angesicht des grandiosen Wirtschaftswachstums und der
erstaunlichen Fortschritte der Wissenschaft in seinen Tagen, dass die
kommende Menschheit das Pech haben könne, sich im paradiesischen
Luxus zu Tode zu langweilen. Besser wäre es, sie könnte oder müsste
Notfallsituationen der katastrophalen Art erleben und durchhalten,
weil ihre biologische Geschichte sie darauf vorbereitet hat.
Damit ist das meiner Ansicht nach entscheidende Stichwort der
Geschichte gefallen, die in den hiesigen Breiten ohne die
Wissenschaften unterrichtet wird. Als 1999 ein Bestseller unter der
Überschrift „Bildung“ verkündete, hier finde man „alles was man
wissen muss“, wurden die Naturwissenschaften explizit davon
ausgenommen – und ein Technikverständnis hat noch nie dazu
gehört. Natürlich geht es bei der Nachhaltigkeit um die Zukunft, aber
„Zukunft braucht Herkunft“, wie es der Philosoph Odo Marquard in
Essays beschrieben hat. Die Gegenwart, die Menschen erleben, hängt
von der Wissenschaft ab, die sie in der Vergangenheit entwickelt und
eingesetzt haben. Die Fortschritte, die sie dabei erzielen konnte,
haben der abendländischen Kultur zu der Humanität verholfen, die
Menschen zu allen Zeiten als Ziel ihres Daseins betrachtet haben. Die
moderne Version dieser Humanität kennt die Gegenwart als Bemühen
um Nachhaltigkeit. Ihr kann und will Ausdruck verleihen, wer seine
Herkunft kennt. Das Werden eines Werks und seine Form nennt man
beide Bildung. Auf ihre allgemeine Form wird es ankommen. Sie
kann die Menschen retten, nicht das, was als Aus- oder Fortbildung
angeboten wird. Damit gerät man nur fort oder ins Aus, wie die Worte
es selbst ausdrücken. Wenn Hölderlin recht hat, sollte jetzt die
Bereitschaft der Menschen wachsen, sich die Bildung anzueignen, mit
der sie sich retten können. Wer klagt, dass dies teuer wird, sollte sich
daran erinnern, was John F. Kennedy in seiner Antrittsrede als
Präsident der USA gesagt hat. Das einzige, was teurer ist als Bildung,
ist keine Bildung. Sie würde diesmal das Überleben der Menschen
kosten.
Dir gefällt, was Ernst Peter Fischer schreibt?
Dann unterstütze Ernst Peter Fischer jetzt direkt: