Zum Thema Sexarbeit gibt es viele Meinungen. Die einen wollen ein Nordisches Modell, bei dem die Sexworker vermeintlich geschützt und die Freier durch ein Sexkaufverbot bestraft werden. Die anderen befürworten Sexarbeit und akzeptieren sie als Job. Einige wollen sie sogar ganz abschaffen und dann gibt es die, die Sexarbeiter*innen als starke und selbstbestimmte Persönlichkeiten sehen, aber Vorurteile gegenüber den vor allem männlichen Kunden haben, die sexuelle Dienstleistungen bei Frauen buchen. Das liegt teilweise am Machogehabe in Männerrunden, wenn von der Inanspruchnahme dieser Dienstleistung erzählt wird und teilweise an den Freier-Foren, in denen es eher abstoßend und menschenverachtend zugeht.
“Freie/offene Foren haben mich extrem abgeschreckt in der Art und Weise, wie sich da ausgetauscht wurde, ich fand es einfach widerlich...” @EinerJener -Twitter
Auch Medienberichte beschäftigen sich viel mit dem Bild des “bösen Freiers” und der “Prostituierten, die gerettet werden muss”.
Aber was steckt wirklich dahinter? Warum buchen Männer sexuelle Dienstleistungen bei Frauen? Wie informieren sie sich über das Angebot? Sollten wir das als Gesellschaft verurteilen, weil diese Männer die Dienstleisterinnen respektlos behandeln? Oder fühlen sie sich genauso stigmatisiert, also auf negative Weise gekennzeichnet oder angeprangert, wie bekanntermaßen die Sexworker selbst?
Ich habe meinen Twitteraccount genutzt, auf dem ich regelmäßig über meine Erlebnisse als Independent Escort poste. Mit knapp unter 10K Followern gilt dieser zwar als klein, dessen Reichweite habe ich aber dennoch genutzt und konnte die Aussagen von sechsundzwanzig Männern sammeln. Ich darf sie teils anonym, teils mit dem Twitternamen veröffentlichen.
Ich vertrete die These, dass es sicher respektlose Kunden gibt, ein Großteil allerdings sehr wertschätzend mit den Frauen umgeht und sich aufgrund des Stigmas kaum traut, offen darüber zu sprechen.
Warum werden sexuelle Dienstleistungen gebucht?
Der Sexarbeit ist das Klischee angehaftet, vor allem verrucht zu sein und trotz legaler Rechtslage etwas verbotenes zu haben. Für manche Männer macht das einen Reiz aus. Das vermeintlich Anrüchige und auch die Anonymität machen neugierig und versprechen etwas anderes als Alltag.
Selbstverständlich werden sexuelle Dienstleistungen auch zum Ausleben von Sexualität in ihrer gesamten Bandbreite und das Erfüllen von Wünschen und besonderen Bedürfnissen genutzt. Hier geht es um Abenteuer und Unverbindlichkeit. Um Wellness für Körper und Seele, unkompliziert, in einem klaren Rahmen und mit einer hohen Vielfalt an Möglichkeiten.
“Ich wollte auf eine gute Techno-Party gehen und keiner meiner Freunde hatte Lust oder Zeit. Und eine Frau auf Dating-Plattformen anzuschreiben ist mit großem Aufwand verbunden. Und auf die Dating-Spielereien habe ich persönlich keine Lust.” @Kubischerraum - Twitter
Sexarbeit ist ehrlich. Man klärt den Rahmen, zahlt das Honorar und hat eine gute Zeit.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist eine körperliche oder geistige Behinderung. Es besteht so gut wie keine Möglichkeit Sexualität zu erleben und wenn, ist es immer verbunden mit großem Aufwand und vor allem mit der Hilfe von Außenstehenden. Körperliche Nähe, Berührung und Zärtlichkeit außerhalb von Pflege oder Physiotherapie zu erfahren und “sich mal wie ein Mensch zu fühlen und nicht immer nur wie ein Patient” (anonym – Twitter), wird mit großer Dankbarkeit wertgeschätzt.
Nach meiner eigenen Erfahrung und durch positive Präsenz in den Medien wird die sogenannte Sexualassistenz/Sexualbegleitung – also die sexuelle Dienstleistung für Menschen mit Beeinträchtigung – gesellschaftlich deutlich eher akzeptiert, als jede andere Form von Sexarbeit. Hier kommen wir jedoch dem nahe, was Sexarbeit auch ist. Das Erfüllen des sozialen Wunsches nach Nähe, Zärtlichkeit und Gespräch.
Beispielsweise gibt es Männer, die schon in jungen Jahren sehr schüchtern waren, bei denen bis heute große Unsicherheit vorhanden ist.
“Ich bin ein sehr schüchterner, unsicherer Mensch und selbst wenn eine Frau Interesse an mir hätte, würde es mir vermutlich nicht auffallen. Eine Beziehung habe ich nie gehabt, es kam nicht einmal zu einem Date mit den Frauen, bei denen ich mich getraut habe, sie nach einem zu fragen.” anonym - Twitter
Einige machen mit Sexarbeiterinnen ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Die Unerfahrenheit verursacht oft Druck und kann unter Umständen sogar Depressionen auslösen. Aber auch die Erziehung, Missbrauchserfahrungen und Schwierigkeiten mit Sexualität in der Beziehung können für Depressionen verantwortlich sein.
Es spielen vor allem der Wunsch nach Nähe und nach dem Erleben des eigenen Körpers eine wichtige Rolle. Ohne Druck und Hemmungen durch Unsicherheit und Schüchternheit. Dabei ist die Wertschätzung der Dienstleistung sehr groß, sie wird als Bereicherung für das eigene Leben empfunden.
Die Gründe für die Buchung einer sexuellen Dienstleistung lassen sich also in folgende Gruppen zusammenfassen:
- der soziale Wunsch nach Nähe, Zärtlichkeit und Gespräch (ggf. nach oder während einer Depression).
- fehlende Möglichkeiten (z.B. körperliche/geistige Behinderung)
- das unverbindliche Ausleben von Sexualität, Abwechslung inkl. besonderer Bedürfnisse (z.B. BDSM).
- der Reiz des Verruchten und Verbotenen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Studie des Sozialwissenschaftlers Udo Gerheim, der in einem Interview mit der Zeit (Prostitution: "Manche Freier stilisieren sich zur sexuellen Avantgarde" | ZEIT ONLINE) ebenfalls diese Punkte nennt.
In der Studie von Gerheim kommen auch das Ausleben von Gewaltphantasien und frauenverachtendem Verhalten vor, die er in die sozial motivierte Gruppe einordnet. Diese Praktiken werden vor allem durch das bewusste Aufsuchen von Sexarbeiter*innen auf dem Drogenstrich ausgelebt, wo größtenteils ungeschützt und unter elenden Bedingungen gearbeitet wird.
Wie informieren sich also Kunden von sexuellen Dienstleistungen, wenn sie die Freiwilligkeit und gute Arbeitsbedingungen sicherstellen wollen?
Interessant ist, dass man den einschlägigen Foren gegenüber recht kritisch und skeptisch ist. Der ein oder andere Erfahrungsbericht wird gelesen, grundsätzlich verlassen sich die befragten Kunden aber eher auf ihr Bauchgefühl bei der Kontaktaufnahme und Möglichkeiten wie Twitter oder die Texte auf den Webseiten der Sexarbeiterinnen.
“Bewertungen lese ich schon mal, stehe diesen jedoch sehr skeptisch gegenüber, da ist mir allzu oft vieles zu übertrieben, im Guten wie im Schlechten. Falsche Informationen führen zu falschen Erwartungen und wenn die enttäuscht werden, kann nichts Sinnvolles bei rauskommen.” @Marquis_von_W - Twitter
Vorab mit den Sexarbeiterinnen in Kontakt zu treten, das menschliche Miteinander bei Escort-Agenturen und in Bordellen und das eigene Bauchgefühl, wenn man sich gegenübersteht, sollten viel Aufschluss geben. Im Zweifelsfall kann man immer abbrechen. Und sollte eine Frau tatsächlich um Hilfe bitten, gibt es Beratungsstellen, bei denen man nicht alleine gelassen wird. https://roterstoeckelschuh.de/
Aber wie fühlt man sich, wenn man sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmt und wie gehen wir als Gesellschaft damit um?
Bei der Recherche auf Twitter haben viele Männer anonym, dafür jedoch recht ausführlich geantwortet. Es wird schnell klar, wie unsicher viele sind, sich öffentlich oder auch in ihrem Umfeld zu äußern. Sie befürchten, als beziehungsunfähig gesehen zu werden oder als Männer, die keine Frau abbekommen. Oft ist Sexualität im Bekannten- und/oder Verwandtenkreis ein Tabuthema, da dieser konservativ oder religiös geprägt ist.
Die größte Angst aber besteht vor der Verurteilung als “widerliches Monster” (anonym - Twitter) oder davor, mit den wirklich gewalttätigen Kunden in einen Topf geworfen zu werden. Auch das Stigma, bezahlter Sex sei automatisch Vergewaltigung, belastet.
“Da wir, Kunden von Sexworkern, oft beinahe als Vergewaltiger dargestellt werden, habe ich immer Schuldgefühle. Ich bin ein sehr sensibler Mensch und wähle sorgfältig, zu wem ich gehe.” anonym - Twitter
Sollten wir nun als Gesellschaft das Grundbedürfnis nach Nähe und Sexualität vernachlässigen? Können wir uns als offene, freie Gesellschaft wenigstens davon frei machen, anderen unsere Vorstellung von Moral aufzudrücken?
Meine persönlichen Erfahrungen decken sich mit den Aussagen der Männer, die mir geschrieben haben und so auch mit der oben genannten Studie. Den Kunden als “widerliches Monster” kann ich nicht bestätigen. Seit Beginn meiner Escort Erfahrung vor fünf Jahren habe ich bisher zweimal negative Erfahrung machen müssen. Einmal wurde in einer gemeinsamen Nacht nicht lockergelassen und immer weiter auf Geschlechtsverkehr gedrängt, einmal wurde zum einen vorsätzlich das Kondom abgezogen, zum anderen Analverkehr erzwungen. Privat habe ich das allerdings wesentlich häufiger erlebt, als während der Ausübung meines Jobs.
Ich verurteile Männer, die ein solches Verhalten an den Tag legen, egal in welchem Kontext. Meine eigene Erfahrung und die Aussagen der Befragten zeigen, dass respektlose und übergriffige Handlungen durch Männer kein Problem sind, das auch nur ansatzweise durch die Existenz oder Legalität von Paysex zu erklären wäre.
Aus meiner Sicht sind ein offener Umgang, das Unterbinden von Übergriffigkeiten und das Ansprechen von unangebrachtem Verhalten unabdingbar. Das betrifft auch Männer untereinander. Macho-Sprüche und Verachtung gegenüber Frauen gibt es oft in Gruppen von Männern, in denen das großspurige Verhalten toleriert oder gar gefeiert wird. Warum sich nicht auch als Teil einer solchen Gruppe Gehör verschaffen und im Zweifelsfall den Kumpel zur Rede stellen und das Thema diskutieren? Letztendlich sollte die überwiegende Mehrheit der Männer selbst keinerlei Interesse daran haben, derart wahrgenommen zu werden, nämlich als sexistisches „Monster“.
Sexarbeit sollte immer legal ausgeübt werden können, mit der Möglichkeit jede Übergriffigkeit anzuzeigen. Das funktioniert nur, solange sie nicht im Verborgenen stattfindet und durch vernünftige Gesetze geregelt ist. Durch ein Sexkaufverbot, wie es das Nordische Modell vorsieht, werden Gewalt und Übergriffigkeit nicht verhindert. Ganz im Gegenteil. Kunden für die Inanspruchnahme einer sexuellen Dienstleistung zu bestrafen, heißt nicht, die Nachfrage zu verringern. Es verhindert einfach das legale Arbeiten. NEIN zum nordischen Modell: Warum Sexarbeitende gegen Freierbestrafung sind (nonordicmodel.com)
Es gibt selbstbestimmte, einvernehmliche Sexarbeit. Und es gibt sehr viele Männer, die sexuelle Dienstleistungen mit Respekt und einer ganz großen Wertschätzung in Anspruch nehmen. So viel steht fest. Daher macht es keinen Sinn und ist sogar ein Unrecht, alle männlichen Kunden über einen Kamm zu scheren und sie in eine Ecke zu stellen.