Zur Frage, was der reiche Westen beitragen kann in Bezug auf den Klimawandel im globalen Süden, gab es unter anderem in der TAZ gute Beiträge – aber auch einen übersehenen Elefanten im Raum – den intellektuellen Neo-Kolonialismus, der dem gegenwärtigen westlichen Klimadiskurs inhärent ist. Bei diesem Elefanten handelt es sich um die Tatsache, dass der politische Klimakatastrophendiskurs ein westliches Narrativ ist, das überwiegend entwickelt und kolportiert wird von alten weißen Männern. Das ändert nichts an der grundsätzlichen Dringlichkeit der Konfrontation des menschengemachten Klimawandels, es beinhaltet aber einen Widerspruch zwischen dem westlichen Augenmerk auf die Zukunft, und damit die Dominanz des „Klimaschutzes“ (= Minderung der Emissionen mit verzögerter Wirkung) und den gegenwärtigen Belastungen des globalen Südens und dessen dringenden und vielfältigen Bedarf nach aktueller Minderung der Verletzlichkeit gegenüber den Gefahren des Klimas (= Anpassung). Diesem Widerspruch begegnet der Westen in der Tradition des Kolonialismus – in der besserwisserischen Bevormundung. Aber die Entscheidung, ob etwa ein Kohlekraftwerk in Bangladesch gebaut werden soll, sollte man den Bangladeschis lassen. Zur Verbesserung des Küstenschutzes und anderen Anpassungsmaßnahmen kann der Westen jedoch technisch und finanziell wesentlich beitragen.
Imeh Ituen schrieb vor einiger Zeit in der TAZ unter der Überschrift „Nicht alle sitzen im selben Boot“ über ihre Eindrücke und Erfahrungen als nicht-weiße Klimaaktivistin. Das war ein deutlich anderer Standpunkt, als man ihn von Klimaaktivisten für gewöhnlich hört. Ein bemerkenswertes und überfälliges Unterfangen, die Frage des Klimawandels bzw. dem Umgang damit vom globalen Süden aus zu betrachten.
Hauptpunkt dieses Beitrages war, dass die Klimabewegung vor allem eine auf westlichen Ideen aufbauende Sache wäre, mit Akteuren aus dem Westen. Bemerkenswert war ihr Hinweis, dass das „for Future“ in „Fridays for Future“ Ausdruck für das Übersehen der wirklichen Probleme des globalen Südens sei – einfach, weil die Probleme dort eben schon seit Langem die Menschen belaste und es sich nicht zuallererst um ein Problem der Zukunft handele. Für mich interessant war auch, dass das Thema „Klima“ als Oberbegriff für jede Art von Ungerechtigkeit und Ungleichheit zwischen dem reichen Westen und dem globalen Süden verwendet wird: „In der Klimakrise spiegeln sich aber nun mal alle Ungerechtigkeiten, die es sonst auch gibt: Rassismus, aber zum Beispiel auch Sexismus.“
Für einen Klimaforscher wie mich, zudem alt und männlich, war das überraschend und irritierend, aber auch irgendwie angemessen. Diese breite Verwendung des Klimathemas, jenseits von Fragen der Veränderung geophysikalischer Bedingungen und der Folgen dieses Wandels, stellt einen wesentlichen Perspektivwechsel dar. Er mag auch erklären, warum behauptet wird, der globale Süden habe seit Jahrzehnten mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Hier werden die Gefahren des „normalen“ Klimas mit den zusätzlichen oder verschärften Gefahren des durch menschliche Eingriffe veränderten Klimas verwechselt. Tatsächlich hat es gerade in den Zeiten ohne Video und TV immer wieder schrecklichste Wetterkatastrophen gegeben, die die westliche Öffentlichkeit kaum berührt haben. Ein bedrückendes Beispiel ist der Landfall eines Taifuns in Bangladesch in 1970, der mit dem Tod von bis zu einer halben Million Menschen einherging.
Aber der Elefant im Raum bleibt unerwähnt: Der lange Schatten des Kolonialismus, den schon Frantz Fanon beschrieb. Der intellektuelle Imperialismus, der behauptet, dass die Kolonialisten es besser wissen als die Indigenen. Es wird unkritisch übernommen, was im Westen behauptet wird. Ein Beispiel ist das Narrativ, wonach jedes Wetter-Extremereignis eine Folge des Klimawandels sei. Aber bei dem besagten 1970er Taifun konnte keine Rede vom menschengemachten Klimawandel sein, und auch jetzt sind die Belege dafür, dass tropische Stürme schon jetzt schlimmer oder häufiger sind, dürftig.
Ein prototypisches Ereignis war für mich das Aufeinandertreffen von Al Gore mit der Premierministerin Sheikh Hasina von Bangladesch in Davos auf dem World Economic Forum in 2017. Es ging um ein neues Kohlekraftwerk. Al Gore meinte das Recht zu haben, Frau Hasina belehren zu dürfen. Ein alter weißer Mann, der weiß, wo es lang geht, und eine Frau aus Bangladesch, von der er meinte, sie wisse es nicht. Bei dem Beispiel geht es mir nicht darum, ob das Kraftwerk nun gebaut werden sollte, ob es wesentlich für die Lebensqualität von vielen Menschen dort ist, sondern, dass dieser Mann aus dem Westen sich anmaßte, der Premierministerin aus dem Süden Vorschriften machen zu dürfen. (https://en.prothomalo.com/environment/Don%E2%80%99t-build-dirty-coal-fired-Rampal-plant-Al-Gore).
Auch die häufig gehörte Kritik, dass dieses oder jenes Land Umweltsünden zugunsten wirtschaftlicher Interessen begehen würde, hat – wenn im Westen formuliert – einen unangenehmen Beigeschmack, wenn man sich vergegenwärtigt, wie denn die Landschaften (oder besser Land-un-schaften) vor der „Kultivierung“ aussahen. Forderung nach einer Re-Naturierung der Kulturlandschaft namens Lüneburger Heide hört man selten.
Woher weiß der globale Süden, wie der menschengemachte Klimawandel sich dort, im globalen Süden, ausprägt, und wie man dagegen vorgehen kann oder gar muss? Er weiss es vor allem, weil der reiche Westen es ihm mitteilt. Es gibt zwar mehr und mehr Universitäten und Forschungsinstitute im globalen Süden, insbesondere in China (wenn man das Land dazu zählen will) und Indien, aber das sind meist Abbilder dessen, was im Westen läuft. Die Leistungsträger werden im Westen ausgebildet, aber werden selten genug ernst genommen (ganz im Sinne von Tonny Nowshins Gastbeitrag in der TAZ).
Wenn man sich die Liste der Leitautoren im IPCC ansieht, dann erkennt man, dass darauf geachtet wird, dass der globale Süden auf allen Ebenen vertreten ist, aber unter dem Strich sind es doch recht wenige. Wenn man einfach mal nach den Prozentzahlen sieht, dann ist es wieder der reiche und kluge Westen, der überrepräsentiert ist. Der globale Süden (mit wenigen Ausnahmen vor allem aus Indien und China) wird kaum gehört oder gar ernst genommen. Die Klimawissenschaft ist eine Wissenschaft des Westens. Sie ist zudem überwiegend männlich.
Dies zeigt sich insbesondere in der Frage des Umgangs mit dem Klimawandel – in Anbetracht der oft geringen Emissionen und der schon lange andauernden Verletzlichkeit gegenüber gegenwärtigem und zukünftig möglichem Wetter und Klima ist in vielen Teilen des globalen Südens eine deutlich größere Rolle der Anpassung angezeigt. Wiederum liefert Bangladesch ein Beispiel: Nach dem Taifun in 1970, begann man den Küstenschutz bzw. den Bevölkerungsschutz in Bangladesch massiv zu investieren, und nach einem weiteren schweren Sturm, in 1990 mit fast 100.000 Opfern, ist es jetzt gelungen durch geeignete Baumaßnahmen und Organisation die Fallzahlen massiv zu reduzieren.
Aber heute fragt der Westen kaum mehr, wie der Schutz vor dem Ereignis besser gemacht werden kann, sondern danach, wie man zukünftige Ereignisse durch Emissionsminderung und vielleicht Geoengineering vermeiden kann. Das Thema der Anpassung verblasst auf UN-Konferenzen regelmäßig vor dem Thema der Emissionsminderung. Aber selbst wenn das ambitiöse Parier Ziel erreicht wird, wird sich an den Klimagefahren und ihren zwischenzeitlich erfolgten Verschärfungen und damit dem Anpassungsdruck nichts ändern.
Unter dem Strich bleibt – „der Westen“ sollte sich zurückhalten und „dem Süden“ zutrauen, politisch wie wissenschaftlich eigene Positionen zu entwickeln, die sich an der Lage vor Ort orientieren und nicht an der Relotiusierung westlicher Medien. Dazu ist logistische, auch finanzielle Unterstützung konstruktiv, der Versuch der inhaltlichen Steuerung aber die Fortsetzung des Kolonialismus.
Eine kürzere Fassung erschien unter dem Titel "Langer Schatten des Kolonialismus" in der TAZ am 18. September 2020.
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