Passend zur aktuell in der ARD laufenden 3. Staffel der Fernsehserie Charité ein Auszug aus dem Buch „Seziert: Das Leben von Otto Prokop“ von Dr. Mark Benecke:

Es gibt Todesfälle und Unglücke, die niemand vergisst. Ältere Menschen wissen, was sie bei Kennedys Tod gegessen haben, mittelalte kennen ihren genauen Aufenthaltsort bei Lady Dianas Unfall und jüngere erinnern sich schaudernd an den Tag, als sich »Nightwish« von Tarja Turunen trennte.

In der rechtsmedizinischen Fachwelt gibt es hingegen kaum Todesfälle, die tiefe, allgemein erinnerte Spuren hinterlassen. Selbst der Tod von Marilyn Monroe, der ein Suizid oder Mord durch Giftklistier gewesen sein mag, wird auf US-amerikanischen forensischen Tagungen bis heute von den Kollegen eher als akademisches Spiel vorgetragen. Wut und verletzte Gefühle spielen dabei keine Rolle. Oft hinterlassen selbst Katastrophen wie der bei großer Hitze und damit der Gefahr von Fäulnis erfolgte Flugzeugabsturz der IL-62 nur zeitlich und räumlich begrenzte Erinnerungen.

Anders liegt der Fall des gelernten Metzgers Hans Hetzel (1926–1988), der am 1. September 1953 eine »Anhalterin« – wohl ein Prostituierte – aufpickte. Dieser Fall ist bis heute zwei Generationen von Rechtsmedizinern so gut bekannt wie anderen der Einsturz des World Trade Centers in Manhattan.

Hetzel »frönte mit der Frau der Liebe, und weil es so schön war, tat er es gleich noch einmal« ( Gerichtsmediziner Prof. Dr. Otto Prokop). Beim zweiten sexuellen Durchgang starb die Frau. Am 3. September um halb acht abends fand ein Jagdaufseher die nackte Leiche an der Bundesstraße zwischen Appenweier und Sand »bei Kilometer 54,750« seitlich im Gebüsch der Straßenböschung. Die Polizei sah keine Blutspuren, keine Waffen, keine »Zeichen eines Kampfes« und kein einziges Kleidungsstück. Die Arme der erkalteten Leiche waren über der Brust gekreuzt.

„Dieser Fall ließ Otto Prokop bis zuletzt keine Ruhe: Auf seiner Schreibmaschine geschriebene und zusammengestellte Notizen aus dem neuen Jahrtausend.“

Bei der Leichenschau stellten je ein Amtsgerichtsrat, Oberstaatsanwalt, Amtsarzt, Pathologe »als Gerichtsarzt«, praktischer Arzt und Justizangestellter fest:
»Das Kopfhaar ist tizianrot gefärbt und ziemlich kurz. Die Augen sind geschlossen. Im linken Lidspalt befinden sich Mückeneier [»Mugge«: schwäbisch für »Schmeißfliegen«]. Das linke Oberlid ist dunkelbläulich rot verfärbt. In beiden Ohren werden durchgestoßene, kleine Glas-, mit Silber gefasste Knöpfe getragen. Das Gebiss ist schadhaft, es fehlen der zweite Schneidezahn rechts oben, beide Vormahlzähne rechts oben und der zweite Vormahlzahn rechts unten. Der Analring ist deutlich ausgeweitet und von blutigen Massen belegt. Man sieht Einrisse in der [analen] Schleimhaut am Übergang von der äußeren Hautepithelen in das innere Schleimhautepithel.«

Über den Rücken, unter der Brust, an den Schulterblättern, am Gesäß und am Hals verliefen Schürfspuren.

Wichtig wurde vor allem die unter Punkt 6 des Protokolls vom 4. September 1953 als »aufgegabelte, blutunterlaufene Schnürmarke« bezeichnete »Würgemarke«. Der Fall war damit klar: Es musste sich um einen Mord handeln. Dass am Herz »Narbenzustände nach abgelaufener Entzündung vorlagen«, kümmerte zunächst niemanden. Die Suche nach dem Täter lief an.

Am 7. September kam Hans Hetzel wegen eines Betruges in Haft. Als er in der Zeitung etwas über die fehlende Handtasche der Toten las, kam er ins Schwitzen: Jene lag bei ihm zu Hause, und seine Ehefrau wusste das. Hetzel hatte die nun tote Magdalena Gierth außerdem als Letzter gesehen und war mit ihr beim Essen in einem Restaurant beobachtet worden. Also gab Hetzel an, er habe beim Sex mit ihr plötzlich bemerkt, dass die Frau schlaff und tot sei. Als Wiederbelebungsversuche scheiterten, habe er die Leiche in Panik versteckt.

Diese eigentlich harmlose, wenngleich tragische Geschichte passte nicht zum Bild, das die Öffentlichkeit von Hans Hetzel gewann. Er war verheiratet, hatte aber trotzdem Sex mit einer Anhalterin. Zudem war er vorbestraft und laut Urteil ein »roher und brutaler Mensch, der zu sadistischen Handlungen neigt und schon früher Tiere misshandelt« hatte. Am 6. Mai 1954 äußerte Professor Ponsold, der Leiter des Institutes für Rechtsmedizin der Universität Münster, zudem die Vermutung, dass »möglicherweise im vorliegenden Fall der Afterverkehr erst durch Würgegriff erzwungen wurde.

Man war aus diesen Gründen, aber auch angesichts der als solche angesehenen Eindruck-Marke eines Seiles am Hals der Toten sowie Hetzels Reaktionen nach der Tat, »sicher, dass er sie bestialisch misshandelt, missbraucht und sich an ihrem Leiden sexuell erregt« hatte.

Verdächtig war zudem, dass Hetzel »die Leiche in die Nähe des Ortes der [im Jahr zuvor] ermordeten [Frau] Krüger brachte, die unter ähnlichen Umständen umgebracht« worden war. Wusste Hetzel von diesem Mord? Und warum beseitigte er die Leiche überhaupt? Was hatte er – abgesehen vom Ärger mit seiner Frau – bei einem natürlichen Tod seiner Sexualpartnerin zu fürchten?


Den ganzen Fall findet ihr im Buch:

Leben und Fälle des Rechtsmediziners OTTO PROKOP
Taschenbuch: 304 Seiten
Verlag: Buchvolk, 2017 (Taschenbuch)
ISBN: 978-3-944581-13-2