...und wie er zu vermeiden ist
Ein Leitfaden für Landes-Eltern und solche die es werden wollen
(oder: Dein Landeskind, das unbekannte Wesen)
Erinnern Sie sich?
Sie wollten unbedingt auf diese Sprossenwand klettern, unter der eine dicke Matte lag. Sie wussten noch nicht, ob Sie’s schaffen würden, aber Sie waren wildentschlossen, es mit all Ihren Kräften zu versuchen - Kräften, auf die Sie vertrauten, dass sie ausreichen würden. Hingefallen waren Sie schon oft genug, das tat ein Momentchen weh, aber dann rappelte man sich auf und machte weiter. Was sollte also schiefgehen?
Gerade als Sie mit glühender Motivation und unter Aufbietung all Ihrer Konzentration die dritte Sprosse erreicht hatten, riss Sie ein spitzer Schrei aus Ihrem Abenteuer - Sie erkannten die Stimme eines Elternteils und gleichzeitig das Entsetzen in derselben. Augenblicklich übertrug sich das Gefühl elterlicher Panik auf Sie, ja es durchdrang Sie ganz, so dass zusammen mit der Konzentration auch die Motivation ausfiel - Sie konnten Ihre Kräfte nicht mehr bündeln und stürzten ab. PLAF.
Der Elternteil kam angerannt, sammelte Sie auf, bevor Sie auch nur ein einziges Tränchen des Erschreckens vergossen hatten, und begann, Sie hektisch mit einem Gemisch aus Vorwurf und Trost zu überhäufen.
„Das ist doch gefährlich!
Viiiiel zu hoch für dich…
Was, wenn ich nicht aufgepasst hätte-!
Also mich SO zu erschrecken.
Zeig mal, ist was passiert?
Nochmal Glück gehabt, diesmal.
Mach sowas bloss NIE NIE NIE wieder…“
Wie ging’s Ihnen dabei?
Was als Expedition ins Abenteuer, als Entdeckung, Erlangung neuer Kräfte (oder sogar als Bewährung bereits vorhandener) begonnen hatte, hatte sich jäh in eine Niederlage, mehr noch, in eine durch Sie verschuldete Beziehungskatastrophe verwandelt. Einen Fast-Weltuntergang.
Mama/Papa war traurig, schockiert, vielleicht sogar wütend. Und mit allem, was die Eltern jetzt sagten, hatten sie blamablerweise auch noch recht:
Denn Sie hatten versagt.
Sie waren von der dritten Sprosse aus heruntergefallen, genau wie die Eltern befürchtet hatten.
Sie waren einfach zu schwach.
Sie waren Opfer Ihrer eigenen Unfolgsamkeit geworden, und es geschah Ihnen recht.
Ein prägendes Kindheitserlebnis?
Durchaus. Sie haben in Zukunft darauf geachtet, Ihre Expeditionen nur weit, weit ausserhalb des Gesichtskreises Ihrer Eltern zu unternehmen, und Sie taten Ihr Möglichstes, die Ärmsten nicht wieder dermassen aus dem Gleichgewicht zu bringen, dass das Ihr eigenes Gleichgewicht hätte beeinträchtigen können.
Die Eltern hatten sich als Hindernis auf Ihrem Lebensweg identifiziert, und das würden sie in Ihren Augen bleiben, bis sie Ihnen anders als nur mit überfürsorglichen Verboten oder mit Entsetzensschreien und Strafen zu begegnen lernten. Kein noch so strenger Hausarrest würde Sie je davon abbringen können, dass Eltern einfach nur BLÖD waren. FIES waren. LÄSTIG waren.
Wie gut hingegen hatte es da das Nachbarskind - Ihr bester Freund...
Dessen Knie waren immer voller Schrammen, und er flitzte einfach durchs Dornengestrüpp als ob es gar nichts wäre. Seine Eltern pflegten nur ironisch grinsend die Medizinschachtel zu holen, wenn er’s wieder mal übertrieben hatte. Im letzten Jahr hatte er sich sogar den Arm gebrochen und lief eine Zeitlang mit einem coolen Gips herum, der in einer Schlinge mit der Aufschrift „Kamikaze“ steckte.
DAS war ein Kerl! Und seine Schwester war nicht anders.
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Es kam der Tag, da wurde in der Nachbarschaft vor einem üblen Subjekt gewarnt , das sich neuerdings im Wald herumtreibe und von dem, wie jeder wisse, alle möglichen undefinierten, aber sehr, sehr schlimmen Dinge zu erwarten seien.
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Sowohl Sie als auch Ihr Freund mussten jetzt jederzeit in Sichtweite der Elternhäuser bleiben, und die meisten Spiele waren dadurch nur noch halb so interessant. Öde, war das treffendere Wort.
Nach einiger Zeit hielten Sie’s nicht mehr aus, und Sie stellten Ihre Eltern zur Rede. Was war da los? Sie wollten's wissen.
Die Eltern, in dem Glauben Sie zu beschützen, ergingen sich in allerlei Gemeinplätzen ohne jeglichen Informationswert - man wisse doch, dass man sich gewissen Leuten nicht nähern dürfe… Warum, das erfuhren Sie nicht. Die Eltern wollten Ihr kindliches Weltbild eben nicht durch allzu brutale Wahrheiten aus den Fugen bringen und verschleierten, was sie nur verschleiern konnten.
Nach der Unterredung nur um ein par Vorurteile reicher, aber sonst ebenso klug wie zuvor, wurden Sie das mulmige Gefühl nicht los, es werde Ihnen das Wesentliche absichtlich vorenthalten.
In einer trüben Wolke aus unbestimmter Angst und Misstrauen gegen die eigenen Eltern hockten Sie im Vorgarten und trauten sich im Prinzip gar nichts mehr. Sackgasse. Heimlich schmiedeten Sie Pläne, wie Sie von zuhause wegrennen könnten, denn Sie spürten deutlich, Sie müssten in diesem Mief aus falscher Oberflächenharmonie unweigerlich ersticken.
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Anders Ihr Freund.
Als der zu seinen Eltern ging, hatten die ihn nicht nur erwartet - sie hatten sogar vorgearbeitet. Aufs Genaueste hatten sie sich überall dort, wo Information zu bekommen war, über die Angelegenheit erkundigt, und sie kannten daher nicht nur den Namen, sondern auch die Lebensgeschichte des Menschen, der sich allem Anschein nach so gar nicht darum zu kümmern schien, was andere von ihm hielten. Tatsächlich sei er nach allem was er durchgemacht habe mit den Jahren ein reichlich verschrobener Kauz geworden. Ihn deshalb gleich für gefährlich zu halten, sagten die Eltern des Freundes, führe wohl doch zu weit - er sei einfach gern allein und wolle nur seine Ruhe. Die solle ihm der Sohn denn auch bitte lassen.
Am nächsten Wochenende kamen der Freund und die Schwester ganz aufgeregt zu Ihnen herüber gerannt. Sie hätten sich im Wald, oben im besten Kletterbaum, heimlich mit dem Feldstecher auf die Lauer gelegt und wüssten jetzt, dass der Mann nur einfach der schrullige, einzelgängerische Alte war, als den ihn die Eltern beschrieben hatten.
Er sei wohl ziemlich mürrisch und spräche viel mit sich selbst; man täte gut daran, ihn nicht zu stören.
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Den Rest des Sommers verbrachten Sie und die Freunde damit, sich Geschichten und Spiele auszudenken, in denen der Alte als Zauberer vorkam, und das Jahr war gerettet.
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Preisfrage:
Welche Eltern genossen das Vertrauen ihres Nachwuchses, und welche nicht?
Welches Kind war weniger in Gefahr, tatsächlich von einem Kriminellen verschleppt zu werden: Das informierte oder das uninformierte?
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Machen Sie nicht den Fehler, Ihre Landeskinder mit Gemeinplätzen, Halbinformation und Strafandrohung abzuspeisen. (Das fällt Ihnen auf die Füsse.)
Die einzige Chance, sich das Vertrauen und die Wertschätzung Ihrer Landeskinder zu erhalten, liegt darin, Ihren Informationsstand mit ihnen zu teilen.
Vollständig, transparent, kontinuierlich, nach jedem Update neu.