Die Flutkatastrophe wird in Wahlkampfzeiten von verschiedenen politischen Parteien und Gruppierungen instrumentalisiert, das heißt: sie wird von vornherein in ein bestehendes Deutungsmuster eingeordnet, um sich in der eigenen Agenda bestätigt zu fühlen und sie, quasi noch auf den Fluten reitend, weiter nach außen zu propagieren.
Schwächelnde Querdenker wollen im Misstrauen gegen staatliche oder Landes-Unterstützung, sei sie finanzieller, materieller oder menschlicher Art, eigene Hilfsstrukturen aufbauen, um so als Volkshelden aus der Situation hervorzugehen. Hierbei verbreiten sie Falschmeldungen hinsichtlich der Frage, inwiefern Staat/Land/Behörden Hilfen blockieren. Allen Menschen gebührt Anerkennung für ehrliche Hilfe, sofern sie diese leisten. Dass eine derartige Verzerrung verwerflich ist, versteht sich von selbst.
Ich will mich hier jedoch auf die Instrumentalisierung aus dem Klimaaktivismus konzentrieren, da diese zentrale Fallstricke der Klimadebatte selbst sichtbar macht.
Der aus dem anthropogenen Treibhauseffekt resultierende Klimawandel ist nur eines von vielen Umwelt- und sozialen Problemen. Dass ihm in den letzten Jahren die größte Aufmerksamkeit zukommt, wird darüber begründet, dass er das dringendste aller Probleme darstellt. Der Fokus auf den Klimawandel lebt dabei vom Reduktionismus: Als Ursache der Krise wird eine einzige mathematische Größe ins Feld geführt, und zwar die CO2-Bilanz als Ursache des Treibhauseffekts – „CO2-Äquivalente“ in Form anderer Treibhausgase eingeschlossen. Ohne diesen Reduktionismus gäbe es keinen Grund, andere ökologische Probleme gegenüber dem Klimawandel herabzustufen. Ohne diesen Reduktionismus würde der gesamte ökologische Diskurs seinen Anschein „absoluter Eindeutigkeit“ verlieren: Die ökologische Krise würde sich als weitaus vieldeutigere Angelegenheit zeigen, welche immer auch menschliche Interpretationen und Wertungen erfordert und niemals als rein „objektiv“ oder „wissenschaftlich“ ins Feld geführt werden kann. Klimaaktivisten müssten dann eigene Ideen entwickeln anstatt nur zu fordern, dass „die Politik“ auf „die Wissenschaft“ zu hören hat. Anstatt abstrakter Existenzangst und Apokalyptik bräuchte es dann positive Visionen, die Menschen auch in ihrer Lebenswelt abholen und motivieren können.
Spätestens seit dem Erscheinen von Greta Thunberg lebt der Klimaaktivimus davon, dass es ihm allein um den Treibhauseffekt und dessen Folgen geht. Es ist diese reduktionistische Autorität, auf welcher seine eigene Selbstgewissheit beruht. So, wie er sich heute versteht, steht und fällt der Aktivismus mit der Theorie vom anthropogenen Treibhauseffekt sowie dessen Bevorzugung gegenüber allen anderen sozial-ökologischen Problemen. Würde sich etwa zeigen, dass Probleme wie die Versauerung der Meere oder eine falsche Wasserwirtschaft ebenso dringlich wie der Treibhauseffekt sind, oder dass der Klimawandel nicht die Hauptursache für den zukünftigen Welthunger sein wird, so müsste der Aktivismus eigentlich wieder verschwinden. Denn es geht im Klimaaktivismus ja nicht fundamental um die Natur, Erde oder gar das bestehende Wirtschaftssystem – dies wären vieldeutigere Angelegenheiten –, sondern einzig und allein um den vollkommen eindeutigen Treibhauseffekt. Auch der Gedanke von „system change, not climate change“ und „climate justice“ beruht auf dem Treibhauseffekt, und ohne Treibhauseffekt gäbe es nach Aktivistenlogik keinen dringenden Anlass für einen „system change“ mehr, ohne Klimakrise keinen Anlass für „Klimagerechtigkeit“...
Die Folgen des Treibhauseffekts mögen nach heutiger Lehrmeinung durchaus komplex ausfallen. Längst ist anerkannt, dass „globale Erwärmung“ nicht bedeutet, dass es überall gleichmäßig 2, 3 oder auch 10 Grad wärmer wird, sondern dass etwa Wasserkreisläufe intensiver und schneller werden, dass trockene Regionen mithin trockener, feuchte feuchter werden, dass sich Extremwetterereignisse häufen, Meeresströmungen verändern etc.
Vor diesem Hintergrund mag es durchaus zutreffen, dass Emissionen am Amazonas, in China und andernorts einen wesentlichen Beitrag zu den im kleinen Deutschland aufgetretenen Fluten im Juli 2021 geleistet haben. Allein: Wir wissen es nicht. Aus naturwissenschaftlicher Sicht bleibt stets die Frage: Was für Ursachen könnte es noch geben?
Zunächst einmal sind da natürliche Schwankungen und Variationen. Heute wird gerne die Parole wiederholt, dass der Mensch die Natur zerstöre. Doch während die Natur der Quell des Lebens sein mag, den es als solchen zu schützen gilt, stellen Zufall, Chaos und Zerstörung ebenso wichtige Teile des Naturgeschehens dar.
Uns interessieren hier aber anthropogene Ursachen. Eine ganz kurze Recherche zeigt mir einen nur fünf Jahre alten ntv-Artikel, welcher neben den reinen Regenmengen auch „Vernichtung der Abflussgebiete/Auen“, „Boden- und Flächenversiegelung“ und „Flussbegradigung“ als mögliche Ursachen anführt. Alle drei Ursachen führen wiederum zur Beschleunigung des Wasserkreislaufs und könnten damit auch Extremwetterereignisse fördern.
Doch nach Aktivistenlogik sind derartige Faktoren uninteressant, denn es geht ja allein um die CO2-Bilanz. Aus Flussbegradigungen resultierende Katastrophen interessieren nicht; interessant sind nur solche Katastrophen, für welche der Treibhauseffekt verantwortlich gemacht werden kann. Wenn etwa vorgeschlagen wird, Flüsse zu renaturieren, ist dies allenfalls als Anpassungsmaßnahme an den Treibhauseffekt oder zur Bindung von Kohlenstoff interessant, aber niemals unabhängig davon, da derartige Vorschläge sonst die absolute Eindeutigkeit der Debatte gefährden würden. Für Luisa Neubauer scheint es jedenfalls nicht in Frage zu kommen, dass die Fluten durch irgendetwas anderes verursacht sein könnten, was sich getrost als pseudowissenschaftliche Haltung bezeichnen lässt:
Nicht anders bei Fridays for Future:
Sie wollen mich vielleicht fragen: Aber bleibt der Treibhauseffekt nicht trotz allem das dringendste Problem? Ist ein derartiger Reduktionismus nicht notwendig, um Probleme außerhalb des Elfenbeinturms politisch angehen zu können?
Nun, eine gewisse Reduktion des unendlichen komplexen Naturgeschehens ist in der Tat erforderlich, um überhaupt handlungsfähig zu werden. Durch ihren extrem abstrakten Charakter schießt die Klimadebatte hier aber weit über das Ziel hinaus: Die CO2-Bilanz wird als reiner globaler Mittelwert ins Feld geführt und erzeugt so die Tragödie des Gemeinguts auf internationaler Ebene. Die ganze Welt muss mitmachen, sonst ist am Ende alles umsonst. Jede individuelle oder kommunale Erfahrung von Selbstwirksamkeit bleibt von vornherein ausgeschlossen. Jegliche Individualität und Eigenverantwortung bleibt überhaupt ausgeschlossen. Wenn Deutschland auf dem Papier klimaneutral ist, kann Deutschland den anderen Nationen eine entsprechende Bescheinigung vorhalten wie eine Schülerin ihren Eltern die 1 in Mathe. Dass dies auch irgendwelche lebensweltlichen Veränderungen mit sich brächte, dass Deutschland davon noch etwas anderes hätte als abstraktes Lob, das ist aber nicht abzusehen.
Sollten sich Extremwetterereignisse häufen, mag zwar die ökologische Krise deutlicher und konkreter hervortreten, aber der Treibhauseffekt – als deren mutmaßlich-eindeutig-absolute Hauptursache – bliebe abstrakt wie eh und je. Für den Durchschnittsbürger wird der globale Treibhauseffekt auf ewig eine theoretische Angelegenheit bleiben – selbst dann, wenn die Arktis verschwindet und die Welt untergeht. Und so wird der Treibhauseffekt auf ewig dem Elfenbeinturm angehören.
Das größte Aufforstungsprojekt der Welt führt seit Jahrzehnten China durch. Hierbei geht es aber nicht um den globalen Treibhauseffekt, sondern darum, die Ausbreitung der Wüste Gobi zu beschränken. Eine ambitionierte Agrarwende mit Millionen beteiligten Bauern hat die indische Region Andhra Pradesh für die nächsten Jahre geplant und begonnen. Hierbei geht es aber nicht um den globalen Treibhauseffekt, sondern um die Verringerung von Armut und um die ökologischen Folgen industrieller Landwirtschaft, wie sie vor der eigenen Haustür zu sehen sind. Kubas Hauptstadt Havanna hat es in den letzten Jahrzehnten geschafft, als Zwei-Millionen-Metropole die Hälfte der Nahrungsmittelversorgung aus dem Stadtgebiet selbst zu beziehen. Auch dieser Erfolg hatte aber herzlich wenig mit Warnungen vor dem Weltuntergang qua CO2 zu tun.
Aus technischer Sicht mag der Reduktionismus sinnvoll erscheinen. Gerade die technischen Lösungen sind es aber, die, wie uns immer wieder erklärt wird, niemals ausreichen werden: Der Klimawandel wird insofern als ein technisches Problem präsentiert, die Atmosphäre wird wie eine große Klimaanlage betrachtet, aber erwartet wird eine moralische Lösung. Wenn wir schon die Energiewende nicht auf die Reihe kriegen, dann entpuppt sich Geo-Engineering eigentlich als die passende, weil vollkommen reduktionistische Antwort auf das reduktionistische Problem: Wir haben die falsche CO2-Bilanz, also bauen wir Großtechnologien, die die CO2-Bilanz wieder richtig machen. Klimakrise = gelöst. Kollateralschäden = darum kümmern wir uns dann.
Die Klimadebatte führt insofern eine grundlegende Doppeldeutigkeit mit sich: Sie will eine holistische Antwort auf ein reduktionistisch geframtes Problem. Wer wirtschaftliche Strukturen verändern will, der sollte sich aber davor hüten, sich auf eine einzige mathematische Größe zu beschränken. Wo früher das BIP war, da ist heute, so scheint es fast, die CO2-Bilanz. Wer holistische Veränderung will, der muss sich von der bequemen Illusion mathematischer Eindeutigkeit befreien – und mit Ideen die Bühne des Diskurses betreten statt nur mit Angst.
Titelbild: USGS, Public domain
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