Im Zentrum des Liberalismus steht die individuelle Freiheit. Wenn es eine liberale Maxime gibt, dann dass der Liberalismus die Freiheit des Einzelnen zu maximieren versucht. Im Angesicht der Herausforderungen der Moderne – soziale Ungleichheit, Migration, Klimawandel und Corona, um nur ein paar zu nennen – wird immer wieder eine Modernisierung des Liberalismus gefordert. Doch eine solche ist nicht notwendig.

Der Schuldige

Um den politischen Liberalismus steht es nicht sonderlich gut. In Deutschland schöpft die FDP als stärkste liberale Partei das Potential freiheitlicher Ideen nicht ansatzweise aus. Zusätzlich dazu wirkt die FDP thematisch  beliebig; der Fokus liegt allzu oft auf Nebenthemen wie der Bonpflicht.

Der Schuldige für die Krise des politischen Liberalismus ist hingegen schnell ausgemacht: Der kalte, herzlose Ökonomismus des Neoliberalismus der 80er und 90er Jahre. Dieser wäre auch der Grund für das Erstarken von Populisten wie Trump, Le Pen oder der AfD.

Die Lösung scheint für Timothy Garton Ash, Autor eines vielbeachteten Artikels zum Thema, auf der Hand zu liegen: Der Staat muss aktiver werden. Lebenschancen, Bildung, Gesundheit, soziale Ungleichheit – es gibt viel zu tun und viel anzugleichen. Die staatliche Macht wurde zu stark kritisiert, die Private zu wenig, so schreibt er.

Aber ich möchte mich nicht auf den Artikel von Ash beschränken, er ist nicht der Erste dieser Art. Tatsächlich drehen sich viele Artikel darum, dass sich der Liberalismus vom »Neoliberalismus« loslösen sollte und »sozialer« werden muss. Das ist in meinen Augen eine Kapitulation vor Kritikern des Liberalismus, während das eigentliche Problem des Liberalismus ein anderes ist.

Ist das noch Liberalismus?

Es ist eine Kapitulation, weil man die einseitigen Argumente der Gegner des Liberalismus akzeptiert. Es wäre fatal, durch diese Kritik von den Grundsätzen des Liberalismus abzuweichen. Nach allem sind es genau diese Grundwerte – die maximal mögliche Freiheit des Individuums– die den Liberalismus zeitlos machen. Sie lassen sich auf jede Zeit, auf jede neue Situation anwenden.

Es ist eine Sache, wenn Freiheitsfeinde und Staatsgläubige wie Thomas Fricke, im offensichtlichen Unwissen über den Unterschied zwischen Individualismus und Egoismus, zum Angriff auf die Grundsätze der liberalen Ordnung aufrufen. Dagegen können wir nichts anderes tun, als mit aller Vehemenz für die liberalen Grundwerte einzustehen und dagegenzuhalten. Es wird allerdings zum Problem, wenn Liberale selbst Teile dieser Kritiken wiedergeben und dadurch zum Angriff auf die liberalen Grundsätze beitragen.

Roland Baader, der »Marktschreier der Freiheit«, wie es die NZZ so treffend formulierte, hat dafür die passende Kritik parat: »Die schlimmsten Feinde der Freiheit sind nicht ihre erklärten Gegner, sondern die vielen Lauen und Laschen unter ihren angeblichen Freunden.«

Die wahren Feinde der Freiheit

Der politische Liberalismus hat in der Tat ein Problem; oder besser: Zwei. Extrem laute, sehr kleine Minderheiten, deren Positionen in etwa so liberal sind, wie ein Schlachthof vegetarisch ist. Die eine Seite vertritt vehement linksgrüne Positionen und rennt dem Zeitgeist weitestgehend unkritisch hinterher. Die andere Seite fällt durch immer größere Nähe zur politischen Rechten auf, sowohl inhaltlich als auch rhetorisch.

Beide Seiten haben gemeinsam, dass es eines starken kognitiven Spagats bedarf, diese Positionen als liberal zu bezeichnen. Beiden ist einerlei, dass sie fast unkritisch die antiliberale Kritik übernehmen und ihre krude Eigeninterpretation des Liberalismus laut in die Welt heraustragen.

Das eigentliche Problem des Liberalismus ist nicht das Erbe der »neoliberalen Ära«, sondern antiliberale Tendenzen in den eigenen Reihen. Gegen diese Tendenzen hilft auch die sozialste (Neu-)Ausrichtung des Liberalismus nichts, es hilft nur ein Rückbesinnen auf die Grundwerte des liberalen Verständnisses.

Was die Liberalen eint

Friedrich August von Hayek hat das grundlegende Prinzip der maximal-möglichen individuellen Freiheit in seinem Klassiker »Der Weg zur Knechtschaft« treffend ausformuliert: »Das Hauptprinzip, wonach wir uns in allen Stücken so weit wie möglich auf die spontanen Kräfte der Gesellschaft stützen und so wenig wie möglich zu Zwangsmaßnahmen greifen sollten, kann in der Anwendung unendlich variiert werden.«

Damit ist selbstverständlich kein dogmatisches Zurückfahren der politischen Tätigkeiten gemeint, sondern das Beschränken des staatlichen Handelns auf die wichtigsten Bereiche. Wie der Ökonom Arash Molavi Vasséi in einem vielbeachtet Beitrag in der FAZ darlegte, schließt das auch notwendige Freiheitseinschränkungen während einer Pandemie ein.

Es geht also nicht um die Erschaffung eines Minimalstaates oder gar um völlige Anarchie. Es geht darum, den staatlichen Apparat auf die Aufgaben zu konzentrieren, in denen die freien Kräfte der Gesellschaft nur unzureichende Ergebnisse hervorbringen. Abseits dieser, sollten die »spontanen Kräfte der Gesellschaft«, wie Hayek sie genannt hat, frei gewährt lassen werden.

Das Bekenntnis zu diesem grundlegenden Prinzip ist es, das die unterschiedlichen liberalen Strömungen, wie auch immer sie sich nennen wollen, vereint. Dieses Bekenntnis unterscheidet die Liberalen von allen anderen. Das Problem des Liberalismus ist kein Marktfetischismus, das Problem des Liberalismus ist eine Abkehr von diesem Prinzip.


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