Prekäre Arbeitsverhältnisse während der Promotion und ihr Preis für die öffentliche Wahrnehmung geisteswissenschaftlicher Arbeit

Wer in Deutschland als Geisteswissenschaftler_in in einem DFG-Projekt promoviert, tut das in der Regel auf einer 65%-Stelle. Mit dem zunehmenden Fokus auf Interdisziplinarität kann es passieren, dass innerhalb desselben Projekts etwa auch ein_e Informatiker_in promoviert – auf einer 100%-Stelle. Die Diskrepanzen in der Bezahlung gehen zunächst einmal auf ein Papier der DFG mit Vorgaben zur Bezahlung zurück (namentlich als „Hinweispapier“ gerahmt, was die normative Kraft der angegebenen Prozentzahlen allerdings nicht verdecken kann). Wer sich dafür interessiert, wie die im Papier festgehaltenen Empfehlungen zustande kommen, wird auf der DFG-Website fündig: „Die zuständigen Fachkollegien der DFG legen für die einzelnen Fächer den Stellenumfang fest, hierfür ist das maßgebliche Kriterium die nationale und internationale Wettbewerbssituation in den jeweiligen Fächern“ (s. „Was verdiene ich als Doktorandin oder Doktorand“ in den FAQ für Promotionsinteressierte und Promovierende; die Fachkollegien setzen sich aus von Wissenschaftler_innen gewählten Fachvertreter_innen zusammen, s. DFG-Informationen zu Fachkollegien).

Betrachten wir die beiden Promovierenden in unserem Beispiel, so lässt sich also zunächst einmal Folgendes festhalten: Die DFG geht nicht etwa davon aus, dass die Person, deren Promotion in den Geisteswissenschaften verortet ist, einfach weniger Arbeitszeit leistet als die Person, die in der Informatik promoviert. Dass beide unterschiedlich bezahlt werden, wird allein auf die sogenannte Wettbewerbssituation zurückgeführt – gemeint ist damit wohl das Folgende: Der promovierenden Person in der Informatik dürfte es nicht schwerfallen, in der freien Wirtschaft eine Stelle zu finden, die deutlich besser bezahlt ist als die volle EG13-Stelle an der Uni. Um qualifiziertes Personal an der Uni zu halten, braucht es also entsprechende finanzielle Anreize. Anders sieht die Sache für die Geisteswissenschaften aus: Wer sich nach dem Master zwischen einer Promotionsstelle an der Uni und dem Einstieg in die freie Wirtschaft entscheidet, findet mit den eigenen Qualifikationen in der freien Wirtschaft einen Arbeitsmarkt vor, der selbst eine 50%-Stelle an der Uni noch attraktiv erscheinen lassen mag.

Muss die Diskrepanz hinsichtlich der Bezahlung also einfach hingenommen werden – von den Promovierenden ebenso wie von denen, die für die Einwerbung und Leitung der Projekte verantwortlich zeichnen? Es gibt im Wesentlichen zwei Argumente, die dagegen sprechen, das zu tun. Gemäß dem ersten Argument ist es schlicht ungerecht, zwei Promovierende für dieselbe Arbeitsleistung unterschiedlich zu bezahlen. (Im Gastbeitrag 100 Prozent Bezahlung für 100 Prozent Leistung von Martin Grund, Marcel Knöchelmann, Martin Mann und Jule Specht auf dem Blog von Jan-Martin Wiarda wird dieses Argument ausführlich entfaltet.) Es ist allgemein bekannt, dass Promovierende ohnehin schon deutlich mehr arbeiten als vertraglich festgelegt – laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 machen Promovierende im Schnitt 13 unbezahlte Überstunden pro Woche. Eine Vollzeit-Arbeitsleistung auf Teilzeitstellen ist keine Seltenheit, sondern der Normalfall. In der freien Wirtschaft mögen die Arbeitsbedingungen für Geisteswissenschaftler_innen zwar teils noch schlechter sein als an der Uni – das dürfte einer der Gründe dafür sein, dass Geisteswissenschaftler_innen sich auch auf Teilzeitstellen unterhalb der 65% oder sogar auf schlecht oder gar nicht bezahlte Lehraufträge ganz ohne die Vorteile eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses einlassen.

Haben Geisteswissenschaftler_innen also einfach Pech gehabt und müssen mit den schlechten finanziellen Bedingungen leben, die Universitäten ihnen bieten? Nein, denn Universitäten sind nicht Amazon, sondern öffentliche Arbeitgeberinnen, und damit kommt ihnen eine andere Verantwortung zu als Arbeitgeber_innen in der freien Wirtschaft. Das ist nicht zuletzt deshalb der Fall, weil der Staat Chancen zur Teilhabe an Wissenschaft und Bildung auch denjenigen zuteil werden lassen muss, die innerhalb des Systems keine Startvorteile mitbringen: Wenn Diversität mehr als ein Lippenbekenntnis sein soll, dann braucht es Arbeitsbedingungen, die sich auch diejenigen leisten können, die für das Bestreiten einer akademischen Karriere nicht ohnehin schon eine Reihe von Privilegien im Rücken haben.

Das zweite Argument gegen ein Festhalten an der Teilzeitbezahlung betrifft die sogenannte Wettbewerbssituation, die in der Begründung für die fachspezifischen Unterschiede hinsichtlich des vorgeschriebenen Stellenumfangs beschworen wird. Wettbewerb ist keine Einbahnstraße: Es ist nicht so, dass der Wettbewerb, wie es die Formulierung auf der DFG-Website nahelegt, ein unveränderbares Faktum da draußen in der Welt darstellt, mit dem Förderinstitutionen und universitäre Arbeitgeberinnen sich wohl oder übel arrangieren müssen. Vielmehr wird die Wettbewerbssituation auch von der Wertschätzung geprägt, die der geisteswissenschaftlichen Forschung innerhalb der Universitäten und anderer Forschungsinstitutionen entgegengebracht wird. Schließlich sind dies die Orte, an denen geisteswissenschaftliche Arbeit zum Kerngeschäft zählt und hauptsächlich betrieben wird. Wenn selbst innerhalb dieser Institutionen geisteswissenschaftliche Arbeit durch geringe Bezahlung abgewertet wird, dann sagt das etwas darüber aus, wie es um die Anerkennung dieser Arbeit durch die geisteswissenschaftlichen Disziplinen selbst bestellt ist.

Was auf den ersten Blick wie eine Frage der ‚Nachwuchsförderung‘ daherkommen mag, die arrivierte Vertreter_innen geisteswissenschaftlicher Fächer allenfalls insoweit interessieren muss, als sie als Fachvorgesetzte ein Bedauern darüber hegen mögen, ihre Promovierenden nicht besser bezahlen zu können, ist tatsächlich auch darüber hinaus äußerst bedenklich. Denn auch die Geisteswissenschaften sind immer wieder Adressatinnen der Forderung, Gründe für ihre eigene Daseinsberechtigung vorzubringen. In einer universitären Welt, in der die Summe der Drittmittelprojekte über das Schicksal von Instituten und Professuren mitentscheidet, haben geisteswissenschaftliche Disziplinen allein schon deshalb einen Wettbewerbsnachteil, weil die erforderlichen Mittel für geisteswissenschaftliche Projekte naturgemäß geringer ausfallen als für Disziplinen, in denen Forschung die Anschaffung teurer Gerätschaften und Materialien erfordert. Wenn geisteswissenschaftliche Disziplinen nun selbst ihre finanzielle Genügsamkeit auf Kosten ihres ‚Nachwuchses‘ zelebrieren und zur Schau stellen, indem sie mit Teilzeitbezahlung für Vollzeittätigkeiten dessen Arbeit abwerten, statt sie angemessen zu würdigen, dann tragen sie dazu bei, das Bild der Geisteswissenschaften auch außerhalb der Universitäten zu beschädigen. Statt eines von den geisteswissenschaftlichen Disziplinen mitveranstalteten Ausverkaufs ihrer selbst wäre es dringend an der Zeit, auch innerhalb der eigenen Disziplinen das eigene Arbeiten mit der gebührenden Wertschätzung zu bedenken – und zwar auf allen Qualifikationsstufen. Die Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse während der Promotion durch adäquate Bezahlung (Vollzeitstellen für Vollzeitarbeit) und das Ersetzen kurz befristeter Kettenverträge durch Stellenlaufzeiten, die einem Erreichen des Qualifikationsziels angemessen sind, wäre ein Anfang. Es wäre zunächst an den DFG-Fachkollegien, entsprechende Vorgaben für die Bezahlung von Promovierenden und die Laufzeit von Promotionsstellen festzuhalten, und dem Ausverkauf geisteswissenschaftlicher Arbeit während der Qualifizierung so Einhalt zu gebieten – da die DFG-Vorgaben auch über DFG-Anträge hinaus Gewicht haben, wäre dies ein wichtiger erster Schritt, der auch jenseits von DFG-Projekten positive Effekte zeitigen dürfte.