Die Auswahl eines aktuellen Themas, über das man einen politischen Kommentar verfassen sollte, wird immer schwieriger. Jetzt könnte man meinen, dass es doch eine Vielzahl von Problemen, Konflikten und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen gibt, so dass genügend Themen existieren, um ganze Bücher mit entsprechenden Kommentaren füllen zu können.

Eine nähere Analyse der gesellschaftspolitischen Lage führt jedoch zum Ergebnis, dass es gar nicht so viele Themen gibt, über die umfangreich berichtet werden könnte. Alles konzentriert sich auf die Generalfrage, wie ist es möglich, dass die Gesellschaft von einem Minimum an Gerechtigkeit getragen wird. Es geht also immer um die Verteilung von Ressourcen. Wer ist in der Lage, „Verteiler“ zu sein und wer hat dann das Verteilen zu akzeptieren. Dieses Verteilungsproblem, das eigentlich ein Machtproblem ist, bezieht sich nicht nur auf das allgemeine Lebensumfeld eines jeden Bürgers, sondern es ist auch auf Staaten zu übertragen, die meinen, immer mehr zu Lasten anderer Staaten haben zu müssen und dies mit allen Mitteln, die Staaten zur Verfügung stehen, umsetzen. Konkret wirkt sich dies dann durch Wirtschaftskriege und durch Kriege mit Waffen, bei denen brutal Menschen umgebracht werden, aus. Dabei wird dann eine Pseudoethik vermittelt, die das Töten moralisch rechtfertigen soll, wobei Begriffe wie „wertegeleitete Regeln“ und Kampf für die Freiheit mit dem Kreis der Willigen gegen die Axe des Bösen, das sind Despoten und Verbrecher, verwendet werden. Bei diesen Kämpfen scheinen auch alle Weltuntergangsprobleme der Ökologie keine Rolle mehr zu spielen, da ohne Rücksicht auf Verluste mit Waffen nicht nur Feinstaub produziert wird, sondern Menschen regelrecht ausradiert werden. Den Feinden geschieht das zurecht, den Willigen, die für eine sogenannte wertebasierte Ideologie eintreten, wird später ein Denkmal gesetzt.

Gerade im Hinblick auf den bevorstehenden Feiertag des 1. Mai, der einmal ein Kampf-Tag der Arbeiter sein sollte, um sich gegen die Ausbeutung – also einer ungerechten Verteilung von Ressourcen - zu wehren und darauf aufmerksam zu machen, lohnt es sich, einmal die gegenwärtige Lage der Arbeiter zu betrachten. Dabei sollte man den Begriff des „Arbeiters“ nicht mehr so verengt sehen, dass nur Personen in sogenannten „Blaumännern“ gemeint sind. Arbeiter ist heute ein weitgefasster Begriff und umfasst abhängig tätige Personen, von dem ungelernten Beschäftigten bis hin zum Akademiker, der vielleicht von sich glaubt, einen höheren gesellschaftlichen Status zu haben, in Wahrheit genauso ausgebeutet wird, wie viele Reinigungskräfte oder Kassierer an den Kassen der Einzelhandelskonzerne. Wie aber auch andererseits der Begriff des Arbeiters lächerlich gemacht wird, kann man daran sehen, wenn neuerdings Prostituierte als Sexarbeiter bezeichnet werden. Da kann man als Sozialarbeiter schon ins Grübeln kommen.

Die Politiker reden viel von den „hart arbeitenden Menschen“, wobei es die gleichen Politiker sind, die dafür gesorgt haben, dass unmittelbar nach der sogenannten Wende – gemeint ist nicht die „Zeitenwende“ von Olaf Scholz, sondern das Ende der DDR, also eine tatsächliche Wende – große Teile des Sozialsystems der Bundesrepublik Deutschland demontiert wurde. Die Zahl der sogenannten prekären Arbeitsverhältnisse hat mittlerweile breite Bevölkerungsschichten erfasst. Die besonders zynische Neukonstruktion im Sozialbereich war die von dem vorbestraften ehemaligen Personalchef des VW-Konzerns ersonnene und vom Genossen der SPD, Schröder umgesetzte Hartz-Regelung. Wo waren eigentlich damals die Gewerkschaften, die doch angeblich die Rechte der Arbeitnehmer vertreten sollen und die immer lautstark für soziale Gerechtigkeit eintreten?

Es verwundert nicht, dass die Gewerkschaften über einen hohen Mitgliederschwund klagen. Auch ausgebeutete und betrogene hart arbeitende Menschen scheinen noch in der Lage zu sein, zu erkennen, wem sie den "sozialen Fortschritt" zu verdanken haben.

Der erhebliche Abbau des Sozialsystems in Deutschland, hingewiesen wird auf den Wegfall der Berufsunfähigkeitsrente, die massiven Einschnitte in der Krankenversicherung, die massiven Eingriffe in das Rentensystem, weil immer mehr Finanzmittel der Rentenversicherung entnommen wurde, um andere Dinge zu finanzieren, die in den allgemeinen Haushalt gehören, die massive Verschlechterung des Arbeitsrechts durch Zulassen von befristeten Arbeitsverhältnissen und Löhnen, die zum Leben nicht reichen, ist ein Bereich, der sich gegen die „hart arbeitenden Menschen“ richtet. Im gleichen Zeitraum haben sich die Gewinne von großen Konzernen massiv gesteigert. Die Gehälter von Vorständen der großen Unternehmen können nur noch als asozial bezeichnet werden. Wenn ein Vorstandsvorsitzender mehrere Millionen Euro erhält – ob er sie verdient, sollte hinterfragt werden – die Kassiererin eines Einzelhandelsgeschäft ALG-II-Leistungen beantragen muss, weil das Einkommen unterhalb des Existenzminimums liegt, dann kann man wieder fragen, wo sind eigentlich die Gewerkschaften?

Aber die Ausbeutung der Arbeitnehmer erfolgt viel subtiler und effektiver auf einer ganz anderen Ebene. Blicken wir auf die EU in Brüssel. Da werden Schulden gemacht, obwohl dies vertraglich verboten ist. Da wird Geld gedruckt, so dass es immer wertloser wird. Der Wirtschaftskommissar der EU-Bürokratie, der Italiener Paolo Gentiloni schlägt vor, dass jedes Mitgliedsland in der EU individuell verhandeln soll, wie die Schuldengrenze, die eigentlich festliegt, reduziert werden kann. Das bedeutet im Klartext, dass jedes Land so viel Schulden machen kann, wie es will und die EU dann dafür aufkommen muss. Was hat das mit den Arbeitnehmern in Deutschland zu tun? Sehr viel, denn die sind es u.a. die durch den Geldverlust dafür aufkommen müssen und ihr eigenes Einkommen real immer weiter absinkt. Auch hier muss man sich wieder fragen, wer vertritt die Interessen der Arbeitnehmer in Deutschland?

In den Parteien und damit auch in der Regierung hat sich mittlerweile eine Gruppe von Politikern herausgebildet, die – sofern sie überhaupt einen Abschluss erreicht haben – von der Hochschule direkt über die Partei in die Regierung gekommen sind. Insofern ist es auch nicht überraschend, dass diejenigen, die immer von den „hart arbeitenden Menschen“ reden, gar nicht wissen, was das ist. Dann ist es auch erklärlich, dass sich die Politiker mittlerweile so weit von ihren arbeitenden Mitbürgern abgegrenzt haben, dass sie gar nicht mehr wissen können, was die Bürger von der Politik erwarten.

Es wäre dringend zu hoffen, dass der sogenannte Kampftag der Arbeitnehmer der Auftakt für einen Kampf gegen die Ungerechtigkeit, gegen das Aneignen von Vermögen anderer Bürger und gegen die Bevormundung einer ganzen Gesellschaft durch eine sich selbst nennende Elite wird. Die Arbeitnehmer sollten sich daran wieder erinnern, dass sie es selbst sind, die der sogenannten Elite dazu verhelfen, dass diese glaubt, sie sei der Herrscher dieser Welt.

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