Triggerwarnung: Gewalt, Depression, Fehlgeburt, Suizid.
Ich blicke momentan auf die Schlagzeilen zum Thema Abtreibung und mein Herz rast. Vor Wut. Ich bin fassungslos über die Argumente von Abtreibungsgegnern und ich bin wütend auf diese Menschheit, die anscheinend zum großen Teil immer noch daran festhält, dass jedes potenzielles, ungeborenes Leben über dem Leben eines existierenden Menschen steht.
Warum mich das Ganze so aufregt? Weil ich Opfer dieses Systems wurde und mein eigenes kleines Drama dadurch bewältigen musste. Ich möchte meine Erfahrung schildern, nicht für Likes oder Mitleid, sondern fürs Wachrütteln und Verständnis schaffen!
Ich war 14. Ich war unerfahren und ich war naiv. Ich war schwanger. Absolut ungewollt. Und soll ich euch sagen wie es dazu kam? Ich hatte mein Leben zu diesem Zeitpunkt null im Griff. Depressiv, traumatisiert und suizidial, diese Begriffe beschreiben meinen damaligen Zustand ganz gut. Ich habe einen Fehler gemacht und die Pille falsch eingenommen und gehofft, der Schutz wäre noch da. War ich bereit für ein Kind? Nein! Hat sich der Erzeuger vernünftig damit auseinandergesetzt? Absolut gar nicht. Mir wurde gedroht, ich solle zusehen dass ich das „Problem“ gelöst bekomme.
Das Verhältnis zu meiner Familie war damals eine Katastrophe. Mein Vater war Alkoholiker und hatte es nicht einmal geschafft sich meinen Namen zu merken, meine Mama war als alleinerziehende, selbst schwer traumatisierte Frau, nicht in der Lage für mich da zu sein. Und ich mache meiner Mutter da keinen Vorwurf. Heute liebe ich sie. Damals war da nur Hass und Wut und Misstrauen zwischen uns - die äußert lange Vorgeschichte dazu würde den Rahmen hier sprengen. Aber glaubt mir, solche Dramen passieren auch den „besten“ Familien.
Also stand ich alleine da. Mit 14 Jahren. Meine damalige Frauenärztin hatte meine Tränen mit dem Satz „Tja Mädel, da musst du jetzt durch!“ kommentiert. Ich erklärte ihr, dass ich abtreiben möchte. Sie erklärte mir was das rechtlich bedeutet und welchen Weg ich dafür gehen muss. Ich hätte dafür exakt noch 1,5 Wochen Zeit gehabt. Danach waren die magischen 12 Wochen rum. Und sie erklärte mir, dass ich unbedingt die Einwilligung meiner Eltern dafür benötige. Von den Eltern, denen ich zu diesem Zeitpunkt nichts anvertrauen konnte. Aus Scham, aus innerer Zerrissenheit und dem Gefühl mal wieder versagt zu haben. Von der finanziellen Belastung mal ganz abgesehen… (ja, eine Abtreibung ist teuer und wenn man gerade so über die Runden kommt bzw. überhaupt keine finanziellen Rücklagen hat, dann bedeutet so eine Belastung schnell mal finanzieller Ruin). Also beschloss ich das „Problem“ selbst in die Hand zu nehmen. Nachdem ich meine Panikattacken und Suizidgedanken vertreiben konnte, begann ich mit einer schon fast manischen Recherche nach Alternativen. Es war relativ leicht für mich, mich über „alte“ Methoden zu belesen. Es gab mehrere Varianten, aber alle hatten die gleichen Risiken: Absolut nicht sicher in der Wirkung, absolut gefährlich und im schlimmsten Fall tödlich. Zwischendurch führte ich mehrere Telefonate mit verschiedenen Beratungsstellen, die mir immer wieder ihre Pro Life Inhalte predigten, mich mit Vorwürfen konfrontierten und darauf bestanden, dass ich persönlich zu erscheinen habe, sonst wird das nichts mit der Abtreibung… (ich hätte nicht mal das Geld für das Zugticket gehabt).
Hab ich Informationen finden können für einen sicheren Raum? Für eine individuelle Lösung, die die Umstände berücksichtigt? Hatte ich das Gefühl, hier möchte mir jemand helfen und mich nicht nur mit Vorwürfen belasten? Nein! Einfach nein!
Ich hab’s durchgezogen. Und ich werde mit Sicherheit nicht beschreiben was ich mir selbst angetan habe - aber Fakt ist, es hat meine Vorstellung von Körperbewusstsein und Körperkontrolle absolut gesprengt. Ich hätte es in Kauf genommen, dabei zu sterben. Ich hatte eh nichts mehr zu verlieren. Ich hab es irgendwie hinter mich gebracht.
Und in meiner jugendlichen Naivität glaubte ich, das „Problem“ sei jetzt endgültig gelöst. Falsch gedacht, danach ging der Spaß weiter. Ich besuchte erneut meine Frauenärztin und wollte mir die Bestätigung holen, dass alles „geklappt“ hat. Es hatte geklappt. Ich hatte offiziell eine Fehlgeburt. Sie schaute mich vorwurfsvoll an und drückte mir eine Überweisung fürs Krankenhaus in die Hand. Ein Freifahrtschein für eine Ausschabung. Juhuuuuu! Und wisst ihr was? Auch für diesen medizinisch notwendigen Eingriff brauchte ich die Einwilligung meiner Eltern. Und jetzt hatte ich noch weniger Zeit.
Völlig apathisch erzählte ich meiner Mutter zwischen Tür und Angel, dass ich schwanger war, dass ich eine Fehlgeburt hatte und dass ich nun ins Krankenhaus muss. Das Gespräch zwischen mir und meiner Mutter möchte ich hier jetzt nicht ausweiten. Zumal ich mich auch nur noch lückenhaft daran erinnere… alles rauschte. Wir fuhren ins Krankenhaus und ich wurde operiert. Und diese ganze Zeit habe ich ähnlich wie einen Traum erlebt, aber nicht als einen von den guten. Alles zog an mir vorbei. Zu diesem Zeitpunkt war mir alles egal und der Gedanke an Suizid kam erneut auf. Ich bekomme ja eh nichts auf die Reihe. Und dann lag ich da in diesem Krankenhausbett nach der OP. Alleine. Meine Mutter musste zur nächsten Nachtschicht. Ich hatte Nachwehen aus der Hölle und hab gefühlt die ganze Nacht geweint. Die einzige Person, die mir in diesem Moment Trost schenkte war meine Zimmernachbarin. Eine ältere Dame, die gerade eine Mastektomie hinter sich hatte. Sie schaute verständnisvoll in mein Gesicht und sagte „Das wird schon alles wieder!“.
Ich wurde übrigens nicht darüber aufgeklärt, dass ich danach einen Anspruch auf eine Hebamme gehabt hätte, die mir bei der Rückbildung hätte helfen können. Nein, ich war ja auch Abschaum der Gesellschaft. So ein junges, dummes Ding, das sich hat schwängern lassen und sich der Verantwortung als zukünftige Mutter entzogen hat. Applaus! Applaus!
Ich habe das hinter mich gebracht. Und ich habe alle Wunden, sowohl körperlich als auch seelisch mittlerweile vollkommen überstanden. Heute bin ich glücklich und stark und nicht mehr so naiv. Heute könnte ich mir kein stärkeres Band zwischen meiner Mama und mir vorstellen. Aber diese Heilung hat Jahre und unzählige Gespräche benötigt.
Und ich habe so unfuckingfassbar lange darüber geschwiegen und gelogen. Ich habe zwar von einer Fehlgeburt erzählt, aber die Umstände ausgelassen und Zeiträume verfälscht. Alles nur, damit man mehr Verständnis für mich hat. Irgendwann habe ich verstanden, dass mir das ehrliche Reden darüber hilft und ganz klar die beste Therapie für mich ist. Es ist das erste Mal, dass ich so detailliert in der Öffentlichkeit darüber spreche. Und wisst ihr was das Traurigste daran ist? Ich bin kein Einzelfall! Ich habe durch ein Netzwerk betroffener Personen feststellen müssen, dass selbstdurchgeführte Abbrüche viel häufiger passieren als man es erahnen kann. Und glaubt mir, NIEMAND MACHT DAS AUS SPASS. Sowas passiert aus purer Verzweiflung. Ich wünsche niemanden diese emotionale und körperliche Hölle.
Hätte ich mich für das Kind entschieden, es hätte mich zerstört. Ich habe mich dagegen entschieden, habe die Konsequenzen dafür getragen, habe aus meinem Fehler gelernt und für mein Leben gekämpft.
Und wisst ihr was ich mir gewünscht hätte? Dass ich nicht mit Vorwürfen überschüttet worden wäre und dass man mir die medizinisch, sichere Abtreibung ohne Bürokratie ermöglicht hätte. Um mich zu schützen. Ich hätte mir einen sicheren Raum gewünscht. Eine vernünftige Beratung, frei von Vorurteilen. Und ich hätte mir gewünscht, dass mein Leben einen höheren Stellenwert bekommen hätte, als ein Zellhaufen in meiner Gebärmutter.
P.S.: Mir geht es heute gut!