…und drei Missdeutungen des Atheismus

Die Frage «Woran glauben Atheisten?» ist mindestens so dämlich wie unnötig; ebensogut könnte man fragen: «Was tun Nichtraucher in ihrer Freizeit?». Ich, beispielsweise, verlasse mich nicht einzig auf die Wissenschaft und die Vernunft (denn das sind zwar notwendige, nicht aber ausreichende Faktoren), wohl aber misstraue ich allem, was der Wissenschaft widerspricht oder die Vernunft beleidigt. Ich respektiere die Freiheit der Forschung, die Offenheit für neue Ideen und das Denken um des Denkens Willen. Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt, ich glaube es nicht, und es ist mir latte, denn selbst wenn es ihn gäbe, würde ich ihn nicht als meinen Gott akzeptieren. Aber ich respektiere, wenn Menschen an einen oder mehrere Götter glauben, solange sie mir damit nicht den Weg versperren. Mein Leben fluppt halt ohne die Gottesthese.


❌ Atheismus ist kein Agnostizismus

Agnostizismus (Gnosis) adressiert die Wissensfrage; Atheismus die Glaubensfrage. Beide Modelle versuchen die Gottesfrage, vereinfacht formuliert, unterschiedlich zu beantworten:

Gibt es Gott?
- Ich weiß es nicht. | Agnostizismus
- Ich glaube nicht. | Atheismus

Im Alltag wird Agnostizismus aber auch gerne als Weichspüler verwendet. Man gibt sich damit gerne weltoffen, tut so, als stünden die Wahrscheinlichkeiten, dass es Big G tatsächlich gibt, 50 % : 50 % .

Aber 99.9 % : 0.1 % ist eben auch Agnostizismus. So könnte es beispielsweise natürlich sein, dass ich vom Einkauf zurückkehre und plötzlich ein echter Banksy an der Wand hängt. Das kann ich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen - aber wie wahrscheinlich ist das?

Ein Arschgument, das heute gerne gemainstreamt wird, ist ausserdem, dass Leute wie ich, die manchmal laut und gerne blasphemisch ihren Atheismus, Gott bewahre, nicht für sich behalten, Fundamentalisten sind. «Behalte deinen scheiss Atheismus für dich!», bellte mich mal ein Pfostelix auf Twitter an, dessen Avatar ein Gipfelkreuz war.

Sie meinen, dass Atheisten zu wissen glauben, dass es keinen Gott gibt.

Das Wörterunglück, das dieser Mann mit beeinträchtigter Selbstwahrnehmung in Boomers-Neuland veröffentlichte, ist Fantasie mit Schneegestöber. Er wikignoriert die Semantik und hält die eigene Interpretation für normativ. Kann man machen, aber es bringt halt genauso wenig wie dem Papst ein Doppelbett zu verkaufen.

❌ Atheismus ist kein Glaube

Ein Atheist kann zwar Agnostiker sein, das ist jedoch eine Ergänzung, keine Erweiterung. Atheisten lehnen den Glauben an Götter ab. Es gibt natürlich Atheisten, die zu wissen behaupten, dass es keinen Gott gäbe, doch auch sie können diesen (in bestimmten Auslegungen) ‘nur’ logisch widerlegen.

Atheismus bezeichnet die Abwesenheit oder Ablehnung des Glaubens an Gott oder Götter. (Wikipedia)

Atheisteismus bedeutet nicht: «Ich glaube, dass es keinen Gott gibt».

Diejenigen, die solche geistige Flatulenz jedoch hoaxen, können sich oft nicht vorstellen, dass der Glaube an einen Gott, obwohl er anerzogen wird, nicht ‘natürlich’ wäre. Also gibt es in ihrer Weltanschauung keine Ungläubigen, sondern nur Leute, die den Glauben noch nicht gefunden haben, oder einen anderen Glauben haben müssen: den Glauben an eine Nichtexistenz. Das ist Quatsch, denn es implizierte einerseits, dass es überhaupt erst irgendeine paranormale Existenz gäbe, und andererseits, dass es nicht möglich wäre, einfach an etwas bestimmtes nicht zu glauben (zumal ein Glaube an eine Nichtexistenz auch völlig unnötig wäre). Glaubst du an das regenbogenfurzende Einhorn? Nein? Eben, reicht doch.

Der vermeintliche Glaube von uns Atheisten, ist kein Glaube. Und unsere Prinzipien bilden keine Konfession.

Per Definition ist der Atheismus einfach die Ablehnung, an eine übernatürliche Dimension zu glauben, und gehört in die gleiche langweilige und inhaltsleere Kategorie wie Nichtraucher oder Fußgänger.

❌ Atheismus ist keine Religion

Religion ist ein bestimmter, durch Lehre und Satzungen festgelegter Glaube an das über die Welt Hinausgehende.

Somit kann Atheismus keine Religion sein, da der Begriff eben die Ablehnung/Abwesenheit eines bestimmten Glaubens beschreibt. Wir Atheisten haben auch keine Autorität, an die wir uns wenden können. Wir sind stets nur so gut wie unser letzter Beitrag, unser letztes Argument.

Der Atheismus ist mit jeder anderen Weltanschauung vereinbar, vom Liberalismus bis zum Sozialismus. Und er verpflichtet zu nichts.

Ein Atheist ist ein Mensch, der an den vielen Glaubensprodukten, die auf dem Bazar der Religionen aggressiv angepriesen werden, vorbei spaziert, ohne einzukaufen. Dadurch wird er aber nicht zum Kunden!

Woran glaubt also ein Atheist? Ich für meinen Teil glaube, dass es jetzt jeder verstanden haben sollte!*

*(Das war getrumpt: natürlich glaube auch diesen Quatsch nicht!)


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