Im Jahr 2018 lebte ich auf dem Land in einem 4000-Einwohner Dorf (theoretisch eine Kleinstadt, aber das Dorf-Feeling war in diesem Feriendomizil einfach nicht zu ignorieren). Hinter den Haus blökten Heidschnucken und wieherten Pferde. Ein Bächlein mit Brücke floss hinter der Koppel entlang - mitten im Dorf. Ein Weg führte durch ein Mini-Wäldchen. Auf der anderen Seite kam man am großen Bauernhof mit einer weiteren Koppel heraus. Eines Frühlings stand dort mal ein Reh samt Rehkitz und sah mich groß an.
Nichts davon ist gelogen, und ich bin wirklich morgens vom Blöken der Schnucken geweckt worden. Die Kehrseite der Dorfidylle waren lange Wegstrecken, gefährlicher Wildwechsel, eine Taube, die mir noch beim Gang zum Einwohnermeldeamt auf den Kopf schiss, und… Fliegen. Riesige, fette, haarige Fliegen, die direkt von Pferd und Schaf zu dir nach Hause kamen.
Ich. hasse. Fliegen.
Auch sonstigen Lebewesen mit sechs oder mehr Beinen bin ich in Innenräumen nicht sonderlich wohlgesonnen. 2016 hatte ich bereits eine Fuge neu füllen müssen, weil eine Ameisenstraße über mein Gäste-WC von außen durch die Wand direkt in meine Küche hinter die Spülmaschine führte. Haben Sie schon mal die Spülmaschine geöffnet und innen eine Ameisenparty vorgefunden? Eine durchaus unerwartete Begegnung.
Aber das waren nur Ameisen. Die ließen sich relativ einfach aussperren (Sie glauben gar nicht, wie gut Zahnpasta als Fugenmittel funktioniert!).
Aber Fliegen? Ich hätte es mir ja denken können. Schon beim Einzug wurden mir von den Vormieterin sämtliche Fliegengitter an allen Fenstern so wohlwollend überlassen. Aber ok, Fliegen gehören zum Dorf. Auch die haarigen in Traubengröße (würg). Und trotz Gitter, Treppenhaus und Fliegenvorhang vor der Terrassentür - sie schafften es aich immer wieder, sich vereinzelt einzuschleichen.
Und nochmal: Ich. hasse. Fliegen. Der Inbegriff von Dreck, der sich konstant mit einem unangenehm unstetem bsssssssss in dein Bewusstsein summt. Immer genau in dem Raum, wo du bist. Und widerlicherweise können die sich ja nicht mal in einer entfernten Ecke von dir aufhalten. Sie surren um deinen Kopf oder setzen sich skrupellos auf dich, besetzen dein Fernsehbild und kotzen und scheißen kleine Pünktchen auf deine Lampe. Von deinem Fliegen-Elektrisierer, der zwar Wespen anzieht, die dann mit einem hässlichen Geräusch verglühen, sind sie gänzlich unbeeindruckt.
Aber wissen Sie, worin ich damals wirklich gut war?! Im Umgang mit der schnöden Fliegenklatsche. Es mögen nicht sieben auf einen Streich sein, aber sitzt das Vieh erst mal, ist sein Schicksal besiegelt. Tot auf den ersten Schlag, Sie haben mein Wort drauf.
Ja, die ein oder andere Fliege verirrte sich in die Wohnung, Sie lebte nie lange. Was sind schon fünf oder sechs Fliegen am Tag!
Fünf oder sechs? Schön wäre es gewesen.
Es war eines Mittags, als ich von der Arbeit kam und die Küche betrat. Fliegen. An der Decke, auf den Küchenschränken. Grob geschätzt etwa dreißig Stück. Fuchsteufelswild holte ich die Fliegenklatsche und aus 30 lebenden Fliegen wurden 30 tote Fliegen. Ha!
Ich machte mir einen Kaffee, setzte mich in mein Home-Office, und arbeitete noch etwas, bis zum nächsten Hungergefühl. Traditionell war meine Küche wegen des Katers, der mein Essen extrem interessant fand, immer geschlossen.
Ich betrat die Küche. Fliegen. 10? 15? Was zur Hölle? Ich schlug eine erneute Schlacht und trug alles heraus, was irgendwie fliegeninteressant sein könnte. Müll, Obst und Reste und wischte Vorsichtshalber sogar die Spüle trocken.
Am nächsten Morgen war es so, als seien die 15-20 toten Fliegen des Nachts zurück gekehrt. Ich nahmst mein Frühstück grummelnd unter widerlichem Gesumme ein. Lange betrachtete ich meine Widersacher und stellte fest, dass sie zumindest recht klein waren. Den Tag verbrachte ich damit, während ich im Außendienstunterwegs war, Schlachtpläne zu entwickeln. Ich gab ein paar Bestellungen auf, wohl wissend, dass meine Fleischfressende Pflanze “Konrad” (eine „Pitcher Plant” - s. Symbolbild), auf dem Küchenfensterbrett maßlos überfordert war.
Oder seien wir mal ehrlich, Konrad war in etwa so effektiv wie mein Kater, der von den Viechern zwar genervt war, aber unfähig, eines zu fangen. Bisher hatte ich Konrad sogar regelmäßig mit dem Beifang von meiner Fliegenklatsche versorgt, aber die Armee, die sich in der Küche bildete, war nun auch zu viel für ihn. Mir war klar, dass die Fliegen jung waren und in der Küche schlüpften, auch wenn ich mir nicht erklären konnte, wo. Aber, bis zur Ankunft meiner Bestellungen konnte ich ja auf die Suche gehen.
Am Abend räumte und putzte ich unter den neugierigen Omatidienaugen von ca. 40 Fliegendie gesamte Küche. Alles, was nicht schwer oder niet- und nagelfest war, verschwand in Schränken oder außerhalb der Küche. Hinterher sah die Küche blitzeblank und kahl aus, wie direkt vorm Einzug. Kein Döschen, keine Deko, kein Lappen oder Tuch. Nur das Spülmittel verweilte einsam auf der sauberen Spüle. Konrad war ins Büro umgezogen und erneut hatte ich 45 Fliegen den Garaus gemacht.
Triumphalerweise fand ich eine vermeintliche Quelle des Übels: Unter dem Wasserkasten, der trocken und leer auf dem Boden stand, fand ich ein paar leere Puppen. Das musste der Ursprung sein - aber der war jetzt weg und die Stelle geschrubbt. Jetzt konnte doch nirgendwo mehr ein Fliegenherd sein.
Oder?…
„Hallo, mir sins, sechzig Fliegen, mir sin zum Frühstück da. ❤️“
Wie?! Woher? Die Küche war so gut wie leer, die Küchentür zu und bis auf das ein oder andere geflüchtete Fliegentier aus der Küche war die restliche Wohnung nicht befallen.
Verwirrt und angeekelt und in den sommerlichen Temperaturen leicht schwitzend, erlegte ich 80 Fliegen und verteilte die gerade eingetroffene Diatomeen-Erde auf allen Oberflächen. Die kleinen scharfen Diatomeen sollten den Chitinpanzer der Fliegen zerstören, würden mir und dem Kater aber nichts anhaben.
Ich aß im Wohnzimmer. In der Küche war ja alles mit dem weißlichen Puder zugekleistert. Paranoia schob sich in meinen Alltag und ich rannte bald zurück in die Küche, wo die Fliegen schon wieder Samba tanzten und die Diatomeenerde vermutlich schnupften, um high zu werden, denn töten konnte die Erde sie nicht. Sie waren völlig unbeeindruckt.
Ich stand jetzt früher auf. Zum Fliegentöten. So hundert Fliegen am morgen erledigen - das zählt doch hoffentlich als Frühsport, oder?
In meiner Paranoia wurden alle Fliegentötungen bei geschlossener Tür und geschlossenem Fenster durchgeführt, trotz Fliegengitter. Es war schwül und unerträglich heiß. Aber ich hatte mir geschworen: Ich würde die Mistviecher ausrotten. Wenn ich sie jeden Tag erlegte, es kein Versteck und kein Futter gab, dann mussten sie doch irgendwann ausgerottet sein!
Und so stand ich all-morgendlich halbnackt und schweißgebadet auf einem Stuhl in der Küche und schlug 150 Fliegen von der Decke. Sie fielen mir auf die Brille und auf den Kopf, aber mein stets steigender Kampfgeist erlaubte mir nicht mehr, mich zu ekeln. So ging es weiter bis zum Wochenende!
Yay, ausschlafen, nicht an Fliegen denken! Naja, bis man am späten Vormittag die kahle, saubere, textilfreie, Diatomeenerde-bepulverte Küche betritt und in einer Fliegenwolke steht.
Ok, ihr Mistviecher, heute habe ich Zeit. Ich rotte euch heute live aus. Mark my words. Ich zählte mit und war inzwischen im Umgang mit meinem Werkzeug so gut, dass zwei oder drei auf einen Streich durchaus möglich waren. Das war natürlich auch der relativen Fliegendichte pro Quadratmeter geschuldet.
Eins… zwei… vier… sieben… zwanzig… fünfundfünfzig…..… zweihundertundzwanzig?!!!
Ich stand in einem Schlachtfeld toter Fliegen und es herrschte Stille. Verzweifelt, triumphal und erschöpft kehrte ich die toten Fliegen vom Stuhl und vom Küchentisch und setzte mich, um die Stille zu genießen.
Bsss.
Bsss.
Bsss. Bss.
Chinesische Folter ist nichts dagegen.
Fünf Minuten waren vergangen und für jede Minute saß eine verdammte Fliege an der Wand. Tränen der Verzweiflung flossen mir übers Gesicht, während sich - klatsch - fünf weitere Fliegen zu den restlichen zweihunderzwanzig Kadavern gesellten.
Bsst. Bss.
Eine Fliege krabbelte ander Wand entlang, wo vorher mal der Müll gestanden hatte. Oder genauer, sie krabbelte hervor: Aus. Der. Fußleiste. Ich traute meinen Augen kaum. Frisch wie der junge Morgen quetschte sie sich aus dem oberen Ende der Fußleiste heraus und saß dann triumphierend an der Wand darüber.
Bss.
Klatsch.
Zweihundertsechsundzwanzig.
Bss.
Wieder krabbelte eine Fliege aus der Fußleiste hervor. Ich konnte es nicht fassen. Wie viel Hohlraum war da? Wie viele Puppen? Wie viele Fliegen hatten hier bereits unbeaufsichtigt koopuliert und ihre Eier abgelegt? Was fraßen die Maden? Wie viele Maden und Puppen— nein, nein. Ich bin Mieterin. Ich will es gar nicht wissen.
Ich holte durchsichtiges Packband. Damit hatte ich vor einiger Zeit die ca. 15 verbleibende Ameisen, die sich immer noch hinter der Küchenzeile und Spülmaschine befunden hatten, nachdem ich die Ameisenstraße blockiert hatte, hinter den Schränken eingesperrt, auf dass sie verhungern würden.
Dieses Band kam jetzt auf die Lücke in der Fußleiste. Sollten die Viecher doch ihr kurzes Leben im Dunkeln und ohne Ausgang genießen und dann elendig verrecken!
Raten Sie.
…
Bss. Und das kam nicht von der Fußleiste (Ok, von da auch).
Ich würde jetzt gerne erzählen wie ich glorreich die Fußleisten rausgerissen habe, den Bereich darunter geschrubbt und desinfiziert und jede einzelne Made und Fliege persönlich in die Insektenhölle befördert habe. Das habe ich aber leider nicht. Ich habe mich zunächst mal heulend vor Verzweiflung ins Wohnzimmer verzogen bis der Postbote kam und mir ein Paket mit einem Spray brachte.
Im Wohnzimmer flogen grade sechs Fliegen rum, vermutlich aus der Küche entfleucht - und es war mir alles so egal. Ich wollte das Haus abfackeln und triumphierend allen Fliegen des Dorfes sagen, dass ich auch vor einer 4.000-Einwohner-Stadt nicht mehr halt machen würde. Stattdessen stapfte ich mit meinem Paket in die Küche, zu fertig mit der Welt, im die Küchentür noch zu schließen.
Es waren „nur” drei……vielleicht der Rest einer aussterbenden Unterfußleisten-Spezies, vielleicht die Ankündigung der Reservearmee, die sich unter der Fußleiste gerade beinchenreibend formierte.
Ich öffnete das Paket, schüttelte die Sprühflasche und zielte auf die erste Fliege.
Pfft.
Pfft.
Pfft.
Drei Fliegen fielen von der Wand.
Die Küche wirkte etwas vernebelt und ich öffnete das Fenster.
Und ich wartete.
Nichts passierte.
Stille.
Ich lief ins Wohnzimmer. Die sechs Fliegen waren nicht mehr da. Es herrschte auch dort herrliche, sunmfreie, idyllische Stille.
Drei Schuss aus der Sprühflasche führten nach über einer Woche Schlacht zu 65qm zu Stille. Drei.
Korrelation? Kausation? Wer weiß das schon.
Aber ich hab jetzt ein Abo für ein Insektensprühmittel und bin nach zwei weiteren Umzügen auf Wunsch jederzeit summ- und fliegenfrei. Ich habe verlernt, Fliegen mit der Klatsche zu erlegen - ich treffe einfach nicht mehr. Der Kater pennt und zuckt vielleicht mal mit dem Ohr. „Mach mal wieder Fliegen weg!”
In einem Dorf lebe ich immer noch, aber im eigenen Haus. Hier fliegen die Fliegen unten durch die Haustür herein, in den ersten Stock und dann ganz durch bis zum Wohnzimmer, wo sie aus dem Fenster fliegen. Jedes Mal.
Diese stille Dorfidylle, die ist schon herrlich. 😌
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