Als Liberale ist die Freiheit des Individuums im Mittelpunkt unserer Ethik. Wir haben erkannt, dass wahllose Gruppenzugehörigkeiten wie Geschlecht, Ethnie oder sexuelle Orientierung keine Relevanz bei der Bewertung von Personen haben, weder im Positiven noch im Negativen. Jedes Individuum hat das Recht auf ein Leben in Freiheit entsprechend seiner Mündigkeit.
Spricht man nun mit Liberalen über Tierrechte (z.B. das Recht nicht im Schlachthaus die Kehle durchgeschnitten zu bekommen), stößt man häufig auf Widerstand. Wie passt es zusammen, für die Freiheit der Individuen einzustehen, aber Tieren die Freiheit zu verwehren? Die meisten Liberalen gehen einen von drei Wegen.
"Tiere sind keine Individuen"
Eine Position, die wohl die Wenigsten vertreten. Jeder, der Mal Kontakt zu Hunden hatte, weiß, dass diese Tiere eigene individuelle Charaktere besitzen und die Welt als Subjekt ihres Lebens erfahren. Alles deutet darauf hin, dass sie Schmerz und Angst sehr ähnlich empfinden wie wir. Viele Tiere – insbesondere die, die der Mensch typischerweise als Nutztiere hält – stehen Hunden dabei in nichts nach.
"Freiheit für Individuen gilt nur für menschliche Individuen"
Dies ist die Position, die von den meisten Liberalen vertreten wird. Es gibt viele verschiedene Perspektiven aus denen argumentiert wird. Meistens ist es eine bestimmte Eigenschaft, die Menschen besitzen, Tiere aber nicht, die diese Ungleichbehandlung rechtfertigen soll. Dass Tiere keinen Gesellschaftsvertrag eingehen können oder Tiere geringere kognitive Fähigkeiten haben sind dabei noch die stärkeren Punkte.
Für jede dieser Eigenschaften lässt sich aber ein Mensch finden oder er ist zumindest vorstellbar, der diese Eigenschaften nicht besitzt, da er zum Beispiel stark kognitiv eingeschränkt ist. Nun darf man diese Menschen allerdings trotzdem zu recht nicht ins Schlachthaus schicken. Die genannten Eigenschaften können also nicht der tatsächliche Grund sein, warum man Menschen nicht töten darf, Tiere aber schon.
Der Leser ist an dieser Stelle angehalten, eine Eigenschaft der Nutztiere zu finden, diese auf einen potentiellen Menschen zu übertragen und zu entscheiden, ob man diesen Menschen nun kopfüber aufhängen und ihm die Kehle aufschneiden darf.
Die einzige Eigenschaft der Nutztiere, die gegen diese Art der Argumentation immun ist, ist die nicht-Menschlichkeit selbst. Läuft es also darauf hinaus, dass wir nicht-menschlichen Individuen ihre Freiheit verwehren dürfen, schlicht weil sie keine Menschen sind? Hier stellt sich die Frage, inwiefern die Zugehörigkeit zur Spezies Mensch eine Kategorisierung ist, die weniger wahllos und irrelevant ist als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie oder einem bestimmten Geschlecht.
Die liberale Position sollte die Tötung eines kognitiv eingeschränkten Menschen nicht ablehnen, weil die Person nun zufällig eine DNA hat, die einen Homo Sapiens kodiert, sondern weil sie ein Individuum mit Bewusstsein und Schmerzempfinden ist.
Ebenso begehen Argumente, die darauf abzielen, dass kognitiv eingeschränkte Menschen ja Ausnahmen sind und sie zu einer Spezies gehören, dessen Mitglieder im Normalfall diese vermeintlich relevante Eigenschaften besitzen, den Fehler, Individuen nicht als Individuen, sondern als Teil einer wahllosen Gruppierung zu betrachten – eine illiberale Ansicht.
Gruppieren wir Individuen statt nach „Menschen vs. alle anderen“, nach „Menschen ohne kognitive Einschränkungen vs. alle anderen“ verliert mit der selben Argumentation ein Teil der Menschen ihre Rechte. Nehmen wir die Gruppierung „Primaten vs. alle anderen“, haben Affen Rechte. Zumindest solange es mehr Menschen als Affen gibt. Sollte es einmal mehr Affen geben, mangelt es plötzlich der Norm der Gruppe an der entscheidenden Eigenschaft und alle Menschen verlieren ihre Rechte.
Ein liberales Framework, das Rechte eines Individuums von der Existenz oder nicht-Existenz anderer Individuen in wahllosen Gruppen abhängig macht, ist absurd.
Eine Ungleichbehandlung beim Zugeständnis von Freiheitsrechten zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Individuen ist also logisch inkonsistent. Bewusstsein ist alles was zählt.
"Tierrechte öffnen die Büchse der Pandora"
Was bedeutet das nun? Was ist mit Insekten? Müssen wir Rasenmäher als weapons of mass destruction klassifizieren und deren Verwender vor Den Haag stellen? Dies sind Fragen, die viele Liberale nun anbringen, wenn sie das Obige zwar akzeptieren, aber Tierrechte aufgrund der Konsequenzen ablehnen.
Dazu muss man zunächst sagen, dass unliebsame Konsequenzen ja im Liberalismus nicht als Argument gegen individuelle Freiheit gelten. Also selbst wenn dem so sei, wäre dies kein Argument gegen Tierrechte. Weiterhin, wäre es als Liberaler in dem Fall eher angebracht aus praktischen, wenn auch illiberalen Gründen, nur Insekten ihre Freiheit zu verwehren und zumindest den Tieren Rechte zuzugestehen, bei denen es ohne Probleme möglich wäre. Schweine, Kühe und Hühner sind nicht nur evolutionär, sondern auch in ihrem Bewusstsein dem Menschen deutlich ähnlicher als sie es Insekten sind.
Zum Glück sind Insektenrechte aber ein kleineres Problem als man zunächst denken mag. Bei den meisten Insekten ist es fraglich, ob sie überhaupt ein Bewusstsein haben oder Schmerzen empfinden können, so dass man bei einer Abwägung von Freiheiten, wie man es im Liberalismus nunmal oft tun muss, zu dem Schluss kommen kann, dass die Bewegungsfreiheit der Menschen, das Recht der Ameisen, nicht zertrampelt zu werden, überwiegt.
Diese Abwägung beruht aber dabei eben nicht auf dem Fakt, dass Ameisen Ameisen sind und Menschen Menschen, sondern auf der Bewusstseinsfähigkeit der Individuen.
Wo sind die Liberalen?
Ein durchschnittlicher Leser hat für diesen Text soweit 3:20 min gebraucht. In dieser Zeit sind weltweit ungefähr 2.000 Kühe, 10.000 Schweine, 500.000 Hühner und 7.000.000 Fische durch Menschenhand gestorben. Individuen als Eigentum verkauft, Schwänze, Schnäbel und Hörner verstümmelt und schließlich getötet. Die Gewalt gegen sie ignoriert, als unwichtig abgetan oder sogar belächelt. Wo sind die Liberalen? Auf welcher Seite wollen die Verteidiger der Individuen bei diesem gewaltigen Krieg gegen die Freiheit stehen? Auf der der Unterdrückten oder auf der der Unterdrücker?
Image credit: We Animals Media