Es ist wenige Wochen her, da rüttelte eine Meldung die deutsche Medienlandschaft auf, die bei manchem Leser ein befremdliches Unbehagen ausgelöst haben muss. Der Ökonomie-Professor Bernd Lucke sollte an der Universität Hamburg eine Einführungsvorlesung zur Makroökonomie halten. Es war eine Vorlesung von der Art, wie sie auch an vielen anderen deutschen Hochschulen zu finden ist: ein Frontalvortrag, vielleicht etwas eintönig, der erfahrungsgemäß für den einzelnen Studenten weniger lerneffizient ist, als die intensive Eigendidaktik in der örtlichen Hochschulbibliothek – solange das Smartphone außerhalb der verführerischen Handreichweite bleibt.

Was war also das Problem? Bernd Lucke ist Mitgründer der „Alternative für Deutschland“ und war bis Mitte dieses Jahrzehnts das wohl prominenteste Gesicht dieser Partei – bis er von seiner innerparteilichen Konkurrentin Frauke Petry, mit Unterstützung der rechtsradikalen Kräfte der Partei, gestürzt wurde und gedemütigt aus der Partei austrat. Dieser Umstand war für den AStA der Universität Hamburg Grund genug, zu einem großangelegten Protest gegen die Vorlesung Luckes aufzurufen. Es blieb nicht nur bei einer Demonstration vor dem Hörsaal. Hundertschaften an Protestlern stürmten, Banner der Antifaschistischen Aktion schwenkend, den Hörsaal. Lucke wurde körperlich angegangen, an eine Fortführung der Vorlesung war nicht mehr zu denken. Der Professor musste unter Polizeischutz den Campus verlassen.

AStA steht für „Allgemeiner Studierendenausschuss“ und bezeichnet das Exekutivorgan der Studentenvertretung der meisten deutschen Hochschulen. Als solches haben die dortigen Vertreter, also Studenten der jeweiligen Hochschule, die jährlich über Hochschulwahlen gewählt werden, die Aufgabe, die Interessen ihrer Studenten gegenüber der Hochschulleitung aber auch verschiedenen politischen Ebenen anzuzeigen und durchzusetzen. Für den AStA der Universität Hamburg war der Fall glasklar: Lucke war Mitgründer der AfD und müsse sich die rechtsextremen Auswüchse der Partei, die schon seit ihrer Gründung politisch, medial und gesellschaftlich tabuisiert wird, zurechnen lassen. Nach Ansicht nicht weniger der Demonstranten sei Lucke ein „Nazi-Schwein“. Eine solche Person habe keinen Platz im Hochschulwesen und jede Maßnahme ihn zu entfernen sei folglich gerechtfertigt.

Zu Luckes Ansichten mag man nun stehen, wie man will, und man kann ihn politisch und inhaltlich durchaus heftig kritisieren. Lucke ist aber bei weitem kein Höcke, ein Vergleich den interessanterweise die Satiresendung „die heute-show“ mit der Verwechslung der Vornamen Björn und Bernd regelmäßig zieht und schon im politischen Tagesgeschäft für Versprecher sorgte. Lucke wurde inhaltlich ein Opfer des extremen Flügels der Partei, der sich wiederum bei Übergang der Parteiführung von Petry auf Meuthen und Gauland, zu denen sich Höcke ideologisch einreiht, weiter extremisierte, und hatte bereits in der Vergangenheit eine Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz gefordert. Schwerlich die politische Karriere eines Vorzeige-Nazis.

Zeitsprung.
Es ist der Sommer des Jahres 2017. Ich stand am Ende meines ersten Semesters des Studiums der Rechtswissenschaft an der Universität Regensburg. Schon früh war ich, zugegeben auch nach dem Konsum mehrerer Flaschen Bier, der konservativen Hochschulgruppe RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) in Regensburg beigetreten. Meine Motivation für den Beitritt war allein dem Ansinnen geschuldet, in Deutschland ein universitäres Klima zu verhindern, wie es in amerikanischen Ivy-League-Universitäten vorherrscht. Zu dieser Zeit kam es dort zu einer Reihe pöbelhafter Störungen und Unterbrechungen von Vorlesungen, die meist durch vermeintlich rassistische oder sexistische Äußerungen der dortigen Dozenten motiviert waren. Damals hielt ich solche Vorgänge in Deutschland für nahezu unmöglich und ich hatte vor, meinen Anteil dazu beizutragen, dass das auch so blieb. Daher brachte ich mich im RCDS Regensburg ein und wurde nach den Hochschulwahlen, die für uns ausgesprochen günstig ausfielen, als Referent des Regensburger Sprecherrates, quasi die bayerische Variante eines AStA, vorgeschlagen. Die wahlgebende Sitzung des Studentenparlaments war für mich die erste parlamentarische Konfrontation mit Hochschullinken und ich war nicht auf den Hass vorbereitet, der dem RCDS allgemein, und mir speziell, entgegenschlug. Ich trat dort mit der naiven Vorstellung auf, Brücken zu den anderen Hochschulgruppen bauen zu können, lag meine eigene „linke Phase“ zu der Zeit doch noch nicht allzu lange zurück. Es wurden demonstrativ „FCK NZS“- Schildchen aufgestellt, Redebeiträge der politischen Gegner waren darauf gerichtet uns politisch vollständig zu diskreditieren oder in Widersprüche zu verwickeln, aus denen man eine „schwierige, rechte Gesinnung“ hätte ableiten können. Ein kurzes Blackout bei der Vorstellungsrede meines Referats wurde mit hämischem, triumphierendem Gelächter quittiert - von genau denselben Leuten, die noch wenige Sätze zuvor für Rücksichtnahme, Toleranz und Vielfältigkeit eingetreten waren und sich selbst zu den Avataren der höchsten Moral stilisiert hatten. Die Wahl zum Referenten gewann ich trotzdem. Als meine Kollegen und ich die verdreckten und vermüllten Büros des Sprecherrates von unseren linken Vorgängern entgegennahmen, waren auf die Innentüren eines Schrankes die Worte „RCD SS Hurensöhne“ gesprüht.

Das waren die Verhältnisse in Regensburg. Die dortige hochschulpolitische Linke würde ich im bundesweiten Vergleich noch als gemäßigt bezeichnen. Und ich muss der Vollständigkeit halber sagen, dass in den vergangenen zwei Jahren meiner hochschulpolitischen Arbeit die Diskussionen zunehmend an Beleidigungsgehalt verloren haben und das studentische Parlament in Regensburg nun in diesem Semester gute Chancen hat, auf einer Basis eines Mindestmaßes gegenseitigen Respekts produktiv zu arbeiten.

Nun erleben wir aber bundesweit eher eine gegenteilige Entwicklung. Der Deutsche Hochschulverband warnte im Frühjahr 2019 vor einer zunehmend gewichtigeren Einschränkung der Meinungsfreiheit an den Hochschulen. Die Geschehnisse in Hamburg zeigen nun auf, welche Wandlung die Hochschulpolitik gemacht hat. Es ist meine Erfahrung, dass viele linke Hochschulgruppen oftmals hervorragende Vernetzungen zur lokalen, aber auch landes- und bundesweiten Antifa haben. Auf derartigen Protestveranstaltungen treten oft noch nicht einmal ausschließlich Studenten der eigenen Uni auf, sondern deren Kollegen aus anderen Unis, die sich „solidarisieren“, oder aber auch Menschen, die zuvor nie in ihrem Leben eine höhere Bildungseinrichtung betreten haben, sich dafür aber umso mehr um militant vorgetragene Solidarität bemühen.

An Hamburg können wir auch sehen, dass in diesem Milieu zu Grundrechten ein besonders ambivalentes Verhältnis besteht. Denn die ASten sind als Körperschaften des Öffentlichen Rechts an diese gebunden und dürfen keine Maßnahmen vornehmen, die wie bei der Causa Lucke z.B die Wissenschaftsfreiheit beschränken. Denn grundsätzlich sind die politischen Ansichten eines Dozenten im Lehr- und Wissenschaftsbetrieb irrelevant. Unter dem Schutze dieses Grundrechts hat sich im Rahmen der 68er-Bewegung und in neuerer Zeit vor allem in dem Fach der Genderwissenschaft eine ideologische Lehrmeinung gebildet, die die extreme Linkslastigkeit der Hochschulen begründet. Die Situation in Hamburg hat aber auch gezeigt, wie zögerlich und unvorbereitet die Hochschulleitungen auf solche Vorgänge reagieren. Über die vergangenen Jahrzehnte wurden diese durch grenzüberschreitende Aktionen mürbe gemacht. Es liegt nun im Verantwortungsbereich von Gruppierungen wie dem RCDS, solche Verstöße anzuprangern und deutlich zu machen, dass das Unterlassen von Maßnahmen seitens der Universitäten auch Konsequenzen hat. Aber auch der einfache Student kann künftig nicht tatenlos zusehen. Wenn Geschehnisse wie die in Hamburg toleriert werden, dann werden sie normalisiert. Und dann kann jedermann Ziel derartiger Aktionen werden. Denn wir müssen uns weiterhin vor Augen führen, dass Studenten wie die Mitglieder des AStA der Uni Hamburg nur eine kleine, aber laute Minderheit sind. Zuletzt muss auch die große Politik die Hochschulpolitik mit einem ernsteren Blick betrachten. Die Hochschulen sind treibende Keimzellen der Gesellschaft. Weltfremd anmutende Ideen aus dem hochschulpolitischen Raum können schon morgen Realität werden. Dieser Raum darf nicht kampflos denen überlassen werden, für die die Haltung im Rahmen der sogenannten „Cancel-Culture“, also das Niederschreien anderer Gesinnungen, zur politischen Waffe wird.


Die aber vielleicht erschreckendste Lehre, die wir aus Hamburg ziehen können, ist der intellektuelle Zustand dieser Studenten: Universitäten sind ein Ort des freien Diskurses und der Willensbildung. Wer mit den Ansichten eines Bernd Lucke nicht einverstanden ist, kann jederzeit im Rahmen der Vorlesung Widerspruch äußern, sofern sich diese Ansichten im vermittelten Lehrstoff niederschlagen. Wer sich dazu nicht in der Lage sieht und sich auf politische Hetze gegen Einzelpersonen versteift, der gibt seine eigene moralische und intellektuelle Unterlegenheit zu.