Ich maße mir aus der Ferne nicht an, zu beurteilen, wie Sheikh Jarrah (Stadtteil in Ostjerusalem, in dem die Lage eskalierte) und die Folgetage zu bewerten sind. Die Gemengelage scheint mir kompliziert. Was ich mir jedoch anmaße zu beurteilen: Die muslimische Community, auch in Deutschland, hat ein großes Antisemitismus-Problem.

Ich beobachte nun ein paar Tage lang, wie der Nahostkonflikt besprochen wird. Vor allem auf TikTok und Instagram, wo viele junge Muslime aktiv werden. Aber auch hier auf Twitter gab es schon erschreckende Meinungsäußerungen.



Nun zu TikTok und Instagram. Die harmloseste Variante: Israel wird delegitimiert und dämonisiert. Das kann sich beispielsweise in diversen Spielchen mit der Flagge manifestieren.



Leider nicht selten: Der Wunsch, Gewalt gegen Juden ausüben.



Dann geht es weiter mit Hass, der durchaus als eliminatorisch gesehen werden kann und auf die Vernichtung des jüdischen Volkes abzielt.



Mitunter wird sogar offen ausgesprochen, dass man sich Hitler zurück- und eine Wiederauflage des Holocausts wünscht.



Besonders erschreckend, wie AKP-Influencer und Erdoğan-Fanboy Bilgili Üretmen seine 35k Follower zurückpfeiffen musste, nachdem einige seine "Israelkritik" wohl zu inspirierend fanden. Man beachte auch Wording und Begründung.

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An Üretmen wird ein weiteres Problem deutlich: Anfälligkeit für Fake News bzw. das gezielte Verbreiten von Spins, die die Wahrheit verdrehen. Hierzu auch:


Nächstes großes Problem: Die Unfähigkeit und der Unwille zu reflektieren, dass es auf palästinenesischer Seite überhaupt so etwas wie Verfehlungen gibt. Oder Terroristen, die Zivilisten bombardieren. Oder Probleme, die hausgemacht sind.



Die Medienverachtung ist gewaltig. Meistens trifft es die Springermedien, aber auch funk, tagesschau, Tagesspiegel, etc. sind betroffen. Einfach mal Communitymanagerinnen fragen, wie Beiträge dieser Tage mit menschenverachtenden Kommentaren geflutet werden.



Falls CIA und Geheimdienste hier mitlesen: Angebote bitte *ab jetzt* an mich. Fast alle Screenshots stammen von öffentlichen Profilen von Menschen, die in Deutschland leben, viele mit Nähe zu Deutschrap, einige mit OK-Bezug, viele mit riesiger Followerschaft. Das heißt *nicht*, dass sie repräsentativ sind, aber dass sie ein gewisses Spektrum abbilden.

Was schlussfolgert man aus all dem?

1) Natürlich gibt es Stimmen, die #freepalestine posten, nachvollziehbare Kritik üben oder auf Leid aufmerksam machen. Aber Beiträge wie oben kommen zu häufig vor, als dass man sie als Ausnahmen oder Einzelfälle abtun könnte.

2) Radikale Antisemiten haben unter weniger radikalen stille Sympathisanten. Ein Selbstreinigungsmechanismus scheint auszubleiben. Man muss sich sicher sein, eine gewisse Akzeptanz im eigenen Milieu zu erfahren, wenn man etwa unverfroren Vernichtungsphantasien postet.

3) Gemäßigte muslimische Stimmen, die versuchen abzuwägen oder gar Verständnis für Israel aufbringen (es gibt sie!), werden mundtot gemacht oder trauen sich oft nicht, öffentlich aufzubegehren. Nach außen scheinen sie in der Minderheit und zumindest keine Deutungshoheit zu haben.

4) Das Selbstverständnis zahlreicher junger Muslime nährt sich aus Opfernarrativen, der Unfähigkeit zur Selbstkritik und einer "Wir gegen die"-Mentalität. Die Weltsicht ist schwarz-weiß. Israelis (und der Westen) sind das leibhaftige Böse und Terroristen; Palis unschuldige Opfer.

5) Politische Konflikte werden religiös begründet. Klar, im Nahostkonflikt naheliegend, aber Falestin wird zur Angelegenheit der Ummah, Anspruch auf Al-Quds mit Koransuren begründet. Exemplarisch dieser Post, in dem von Nahostkonflikt über Holocaust bis Theologie alles drin ist:

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6) Die Anteilnahme ist selektiv und das Leid von Muslimen anscheinend besonders dann schlimm, wenn die Konfliktpartei jüdisch ist. Zumindest gibt es in der Bubble nicht ansatzweise so viel Betroffenheit bei muslimischen Opfern in Syrien, Afghanistan, China, Irak, etc.

7) Viel zu oft wird mit Floskeln ("Mensch ist Mensch", "Islam ist Religion des Friedens, Bro", "Ich lehne jede Form von Gewalt ab") beschwichtigt. Stimmt halt nicht. Es sind Vorschubargumente, die oft vom eigenen (!) Social-Media-Verhalten torpediert werden.

8) Viele der Menschen, die mit ihrer "Israelkritik" völlig übers Ziel hinausschießen, haben in den letzten Tagen in Jürgen Todenhöfer ihr politisches Vorbild gefunden. Siehe auch Kommentare hier: instagram.com/p/COssvwIpi1a/

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Ich trage das alles nicht zusammen, weil ich antimuslimische Ressentiments schüren oder alle Muslime über einen Kamm scheren will, sondern weil es mir daran gelegen ist, ein meiner Meinung nach reales und verheerendes Problem anzusprechen. Es ist ein reales und verheerendes Problem, mit welchem Israel- und Judenbild einige junge Muslime hierzulande aufwachsen. Dieses wird meiner Erfahrung nach oft in Familien verbreitet, in (radikalen) Moscheen gepredigt, von muslimischen Rolemodels vorgelebt. Und nein, das alles hat auch nichts mit "Israelkritik" (😴) zu tun. Ginge es um "Israelkritik" und sachliche Auseinandersetzung, gäbe es diesen Artikel hier nicht. Aber für viele ist "Israelkritik" und der Nahostkonflikt meiner Einschätzung nach ein Ventil, um Hass gegen Juden offen zu artikulieren.

In 3 Tagen ist Nakba-Tag. Es wird in zahlreichen deutschen Städten Demos geben, zu denen die Bubble jetzt schon massiv mobilisiert. Ich vermute, es ist angesichts der Dynamik nur eine Frage der Zeit, bis in Deutschland wieder israelische Flaggen brennen.

Vielleicht, hoffentlich, irre ich.

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Ich bitte alle respektvoll zu bleiben. Ich behalte es mir vor, User zu blockieren, die diesen Artikel nutzen, um pauschal gegen Muslime zu hetzen.