Ich verstehe das. Keiner hat mehr Bock auf Einschränkungen, Masken, Vorsicht, Angst. Alle wollen auf ihre Art Sozialkontakte, Feiern, Reisen, Normalität. Das ist ok. Wir dürfen keine Lust mehr haben und wir dürfen etwas anderes wollen.

Jetzt aber so zu tun, als sei alles vorbei ist falsch, denn das ist es in vielen Bereichen noch nicht. Gerade in den Schulen nicht. Und weil Schüler in Familien leben mit den Eltern und Großeltern haben, ist das, was mit den Schülern passiert für alle wichtig.

Bildung ist wichtig. Schule ist wichtig. Ich glaube nicht, dass Schule so perfekt ist, wie sie dargestellt wird, aber ich bin der Meinung, dass es sich auch in der Pandemie lohnt, darum zu kämpfen, dass die Schüler in die Schule können. Da steht kämpfen, nicht behaupten, es geht schon.

Die Pandemie ist vorbei, wenn wir wollen

Ein Aspekt, der mir zu sehr untergeht ist der Folgende: Das Virus hat keinen eigenen Stoffwechsel, keine Reflexe, kein Handeln, kein Denken. Keine Taktik, keine Strategie. Es verhält sich klar regelhaft. Nach mehr als ein-einhalb Jahren kennen wir diese Regeln auch. Das Virus ist kein ernstzunehmender Gegner. Wenn wir wollen, wissen wir genau, wie wir diese lästige Pest loswerden.

Das Problem sind die Menschen, die Uneinigkeit, der Unwille, das Virus ernstzunehmen und zu besiegen. Das macht uns zu schaffen. Das Virus ist einfach gestrickt. Wir haben es komplett in der Hand.

Wenn wir wollten, könnten wir uns heute auf den Weg machen und COVID in Deutschland, in Europa oder der Welt ausrotten. Es geht. NoCovid oder jede andere sinnvolle Eindämmungsstrategie geht und wird erfolgreich sein.

Warum ich da so sicher bin? Ganz einfach, weil wir es schon zwei Mal gemacht haben. Einmal beim Wildtyp und einmal bei der Alpha-Variante. Die sind beide verschwunden, erdrückt von unseren Maßnahmen.

Von Maßnahmen, die wir leider nicht freiwillig gemacht haben, sondern, die notwendig wurden, weil aggressivere Varianten sich durchsetzten.

Den Wildtyp haben wir erst besiegt, als Alpha so hohe Infektionszahlen erzeugt hat, dass wir wieder ernsthaft eingeschränkt haben.

Und Alpha haben wir verdrängt mit den Maßnahmen, die wegen Delta notwendig waren.

Auch Delta könnten wir eindämmen und zurückdrängen. Es geht, wir müssten nur genug Maßnahmen machen. Entweder freiwillig, vielleicht werden wir aber auch durch eine noch aggressivere Variante wieder dazu gezwungen.

Tatsache ist: Wir haben diese Pandemie so lange, wie wir das wollen. Bisher haben wir immer wieder gelockert und mehr Kontakte unter weniger Schutz zugelassen wenn die Inzidenzen mal gefallen sind. Kontakte sind der Brennstoff der Pandemie. Wir haben das Feuer immer wieder mit neuem Futter versorgt, als es auszugehen drohte. Wir wollen das Feuer nicht, wir wollen die Ansteckungen nicht.

Deswegen ist es auch jetzt in der mittlerweile vierten Welle notwendig über die Maßnahmen und Strategien zu reden. Hier ist mein Beitrag. Mein Konzept für sichere Schulen in der Pandemie mit Delta als der dominanten Variante.

Die Pandemie ist für die Geimpften vorbei

Als Geimpfter mag sich das anders anfühlen. Das Risiko, sich anzustecken ist massiv reduziert. Das Risiko, einen schweren Verlauf mit Krankenhausaufenthalt abzugreifen ist noch niedriger und das Risiko auf Tod ist sehr gering. Was soll schon passieren.

Das persönliche Risiko hat um mehrere Größenordnungen abgenommen. So fertig, Pandemie vorbei. Was jetzt passiert, passiert halt.

Dumm nur, dass auch Geimpfte mal einen Unfall haben und ins Krankenhaus aufgenommen werden wollen. Oder einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall, eine Hüft-OP, die Augen lasern. Das alles ist auf freie Kapazitäten des Gesundheitssystem angewiesen. Das alles hängt davon ab, ob die andere Hälfte der Bevölkerung sich ansteckt oder nicht.

Ich verstehe, dass Geimpfte keine Einschränkungen mehr haben sollten. Ich verstehen, dass sie ins Restaurant wollen, auf große Familienfeiern oder ins Kino und Theater. In den Club, auf Reisen oder sonstwas. Ich verstehe den Wunsch.

Und wichtig ist auch: Die Lebensqualität der Geimpften hängt massiv davon ab, was die Pandemie unter den Ungeimpften anrichtet. Und deswegen sollte die Pandemie den Geimpften nicht egal sein. Aus Nächstenliebe nicht. Und aus ganz egoistischen Motiven nicht.

Die Pandemie ist für die Schüler nicht vorbei

Denn für die Schüler ist die Pandemie nicht vorbei. Für die U12 nicht, für die noch kein Impfstoff verfügbar ist nicht. Und für die U18 auch nicht. Denn die zögerliche Impfempfehlung der StIKo hat dafür gesorgt, dass es nicht leicht war, eine Impfung zu bekommen und dass die Impfquote hier noch niedrig ist.

Für die Schüler ist die Pandemie nicht vorbei. Die Schüler bilden mit Klassen und Familien ein engmaschiges Netz durch eine ganze Stadt oder Gegend. In wenigen Sprüngen kann das Virus in der Klasse auf Mitschüler überspringen, so in die Familien kommen und dann über Geschwister an den anderen Schulen oder Jahrgängen auftauchen. In wenigen Sprüngen sind so alle Familien, alle Klassen und alle Schulen erreichbar. Niemand ist sicher, wenn wir nicht für Sicherheit sorgen.

Aber die Herdenimmunität! Die geimpften Eltern und Lehrer schützen die Kinder.

Nerv nicht.

Die Herdenimmunität ist hochgradig lokal. Der Ansteckung in einer Klasse in Baden-Baden hilft es nicht, dass alle Senioren Hamburgs super geimpft sind. Herdenimmunität ist hochgradig lokal. Es zählt nur die Situation um eine infektiöse Person herum. Und da sieht es unter Schülern echt mau aus. Ü12 ist die Impfquote rund 25%, U12 eine glatte 0%. Kein Kind ist besser geschützt, weil die Erwachsenen geimpft sind.

Und deswegen ist die Pandemie für Kinder auch noch nicht vorbei. Jeder Versuch, dies zu ignorieren und Schule wie 2019 zu erzwingen wird mit Inzidenzen nicht unter 500 bestraft. (Während ich dieses schreibe ist NRW in der Altersklasse der Schüler genau da: In manchen Kreisen über 500, in allen auf dem Weg dahin).

Wir werden die Ansteckungen unter Schülern nur in den Griff bekommen, wenn die Impfquote der Kinder ausreichend hoch ist oder wir ausreichende Schutzmaßnahmen IN DEN SCHULEN selber anziehen. Es hilft nicht, was wir in anderen Gesellschaftsteilen machen. Schule alleine reicht völlig für eine eigenen Infektionsdynamik.

Die Pandemie ist für die Ungeimpften nicht vorbei

Auch für die Ungeimpften ist die Pandemie nicht vorbei. Im Gegenteil, sie ist gerade gefährlicher als je zuvor. Delta ist nicht nur aggressiver, was die Ansteckung angeht, auch die Hospitalisierungsquote ist höher.

Dazu kommt, dass die Inzidenzen von Geimpften und Ungeimpften auseinanderlaufen. Die Inzidenz der Geimpften ist um einen Faktor zehn oder mehr niedriger als die Inzidenzen der Ungeimpften. Das Infektionsgeschehen spielt sich also fast vollständig bei den Ungeimpften ab. Da die Ungeimpften aber nur 40% der Bevölkerung ausmachen, die Inzidenz aber auf die Gesamtbevölkerung gerechnet wird, leben die Ungeimpften mit einer um den Faktor 2,5 gegenüber den offiziellen Angaben erhöhten Inzidenz.

Schon ohne die Diskussion, die Inzidenz als Indikator abzuschaffen, leben die Ungeimpften in einem risikoreicherem Umfeld als zuvor.

Es gibt viele Gründe nicht geimpft zu sein. Und auch wenn ich selber Zeit und Aufwand reingesteckt habe, um selber möglichst früh geimpft zu werden, verstehe ich die Gründe. Nur ein kleiner Teil der Ungeimpften lehnt die Impfung rundheraus ab. Rund 30% der Bevölkerung sind noch nicht geimpft und nicht grundsätzlich und entschieden abgeneigt. Diese Menschen dürfen wir mit niedrigschwelligen Angeboten durchaus noch erreichen, bevor wir sie zur Durchseuchung freigeben.

Die Pandemie ist im Ausland nicht vorbei

Man muss nicht in die Armen Länder der Dritten Welt schauen, um festzustellen, dass wir auf einer Insel mit relativ hohen (und immer noch zu niedrigen) Impfquoten sitzen. Im Rest der Welt sind wenig bis kaum Menschen geimpft.

Das wirkt sich auch auf uns aus. Alpha ist importiert. Delta ist importiert. Alle Varianten, die bei uns dominiert haben, haben wir aus dem Ausland importiert. Sie sind in Zeiten frei laufender Pandemie entstanden und haben den Weg zu uns gefunden.

Und wir schlagen uns mit den Folgen rum. Aktuell haben wir Wachstumsraten wie nie zuvor, und das, obwohl wir die höchste Impfquote seit Pandemie haben.

Es ist nicht egal, was im Ausland passiert. Aus Nächstenliebe nicht und auch aus Eigennutz nicht. Die Pandemie ist in Deutschland nur dann auch wirklich vorbei, wenn sie überall auf der Welt vorbei ist. Vorher werden wir keine Ruhe haben.

Die Pandemie ist vorbei, wenn sie für alle vorbei ist

Wenn irgendwo in dieser Gesellschaft, wenn irgendwo auf diesem Globus noch nennenswerte Ansteckungen stattfinden, dann finden diese Ansteckung den Weg zu allen Menschen. Auch die Geimpften werden dann wieder exponiert. Sie bekommen Virus ab. Und ja sie stecken sich seltener an, aber nur wenig seltener, denn die Impfung hilft erstmal gegen schwere Verläufe.

Aber auch Menschen mit leichten Verläufen können Long-Covid bekommen. Auch Menschen mit leichten Verläufen können ihr Umfeld wieder anstecken. Auch Menschen mit leichten Verläufen sind ein Risiko für Immunsupprimierte Angehörige.

Wie sind als Gesellschaft erst sicher, wenn wir überall niedrige Inzidenzen haben und auf dem Weg sind, Sars-CoV-2 zu verdrängen. Immer wenn wir irgendwo Infektionen durchlaufen lassen ist die Pandemie für alle noch nicht vorbei.

Die Pandemie ist für die Politik nicht vorbei

Es spielt keine Rolle, welche Botschaft unsere Politiker im Wahlkampf gerne verbreiten wollen. Die Pandemie ist nicht vorbei. Und wir brauchen die Politik noch für die gesellschaftliche Antwort auf diese Pandemie.

Eigenverantwortung kann ich alleine. Ich brauche die Politik nicht für Appelle an die Eingenverantwortung. Eine Politik, die sich darauf beschränkt hat sich selber überflüssig gemacht. Ich brauche, wir brauchen die Politik als kollektiven Problemlösungsmechanismus für kollektive Probleme. Für Probleme, die sich nur kollektiv lösen lassen.

Deswegen wird die Politik, werden die Maßnahmen auch noch gebraucht. Denn noch ist die Pandemie nicht vorbei.

Wir können nicht einfach Schule wie 2019 machen und hoffen, dass das klappt. Das wird es nicht. Die Länder, die früher aus den Sommerferien kommen beweisen das.

Wir brauchen auch 2021 noch eine Pandemie-Strategie. Wir brauchen auch 2021 noch eine Strategie für den Schulbetrieb. Hier ist meine. So würde ich es machen, wenn ich zuständig wäre. Schulen offen UND Schulen sicher. Es sind Maßnahmen dabei, mit denen sich die Politik im Wahlkampf schwertut. Sorry, geht nicht nur ums Geschenke verteilen. Aber es geht ohne allgemeinen Lockdown. Davon bin ich überzeugt.

Dieser Artikel ist Teil einer Artikelreihe. Dies ist der erste Artikel. Und hier geht es weiter mit: Kinderansteckungen sind nicht so harmlos.