Soll ich Euch heute von meinem 1. Mal erzählen? Nein, keine schweinischen Gedanken, bitte! Ich rede von meiner 1. Begegnung mit einem Reichsbürger - einer „natürlichen Person“ zugehörig zum angeblich noch bestehenden deutschen Reich. Habt ihr Interesse? Na dann, los!

Zunächst vielleicht noch einpaar Worte zur Einordnung der Begrifflichkeiten. Es gibt unzählige Arten von Reichsbürgern mit unzähligen, höchst unterschiedlichen Vorstellungen von ihrem angeblichen "Reich".

Da gibt es welche, die sich das nationalsozialistische 3. Reich zurückwünschen oder hoffen, dass dieses nie untergegangen sei. Es gibt welche, die lediglich die völkerrechtlichen Verträge für unwirksam halten. Es gibt aber auch Exemplare, die weiterhin von einer Besatzung durch die Alliierten ausgehen.

Allen diesen fragwürdigen Gestalten ist allerdings gemein, dass sie von der fehlenden Legitimität der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches ausgehen. Sie wird als eine Art Vertretung der Alliierten oder alternativ auch gerne als eine GmbH gesehen. Dass dies rechtlich völlig absurd und unhaltbar ist, muss ich an dieser Stelle wohl nicht weiter betonen.

Und nun zu unserem Fall:

Nennen wir den Angeklagten, mit dem ich es zu tun hatte, aufgrund seiner Initiale mal SS. Klingt ausgedacht, war aber tatsächlich so. Die Akte kam zu mir als eine ganz normale Anklage wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und einer Urkundenfälschung.

Es war völlig unproblematisch, dass dem Angeklagten bereits vor Jahren die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Er wurde nun von den Polizeibeamten im Rahmen einer ganz normalen Kontrolle angehalten. Auf deren Verlangen zeigte er ihnen allerdings seinen gefälschten Führerschein. Darüber hinaus auch noch seinen "Reichsführerschein".

Nach der Übersendung der Anklage an den Angeklagten bekam ich sodann als allererstes eine ganz besondere schriftliche Stellungnahme, bestehend vor allem aus Auszügen aus dem NATO-Truppenstatut und dem 2 + 4-Vertrag. Dazu kamen selbstverständlich hunderte Seiten mit völlig verrückten Aussagen zur Bundesrepublik GmbH, meiner Hörigkeit zu Frau Merkel und ähnlichem Zeugs.

Ich war noch ganz frisch im Dienst und las deswegen tatsächlich alles, was er eingegeben hatte. Es war bis zur Lächerlichkeit unverständlich und fast schon irre. Dennoch folgte ich sogar den Literaturnachweisen, die auf mehrere, von Reichsdeutschen völlig missverstandene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts verwiesen.

Mein Ergebnis war sehr deutlich: Der Angeklagte ist bekloppt, aber mit Sicherheit schuldfähig. Ich eröffnete das Hauptverfahren und bestimmte einen Hauptverhandlungstermin, zu dem der Angeklagte natürlich nicht erschien.

Für solche Fälle sieht die Strafprozessordnung entweder die Vorführung des Angeklagten oder den Erlass eines Haftbefehls vor. Ich entschied mich zunächst für die Vorführung als milderes Mittel, aber diese führte nicht zum Erfolg, denn der Angeklagte war nicht aufzufinden.

Daraufhin erließ ich einen Haftbefehl, der tatsächlich nach wenigen Tagen vollstreckt werden konnte, als der Angeklagte erneut ohne Fahrerlaubnis in eine Polizeikontrolle geriet. Der Angeklagte wurde vorgeführt, äußerte sich weder zum Vorwurf noch auf sonstige Weise und durfte sodann die Haft antreten, bis die Verhandlung stattfinden konnte. Da zu der Verhandlung noch Polizeibeamten geladen werden mussten, verbrachte der Angeklagte daher insgesamt fast 2 Wochen in Haft.

Als es dann zur Verhandlung kam, gab er sich so wunderbar "geläutert": Er habe eingesehen, dass er sich geirrt habe. Das mit der BRD GmbH habe er von einem Kumpel gehört. Dieser Kumpel habe ihm auch den Reichsführerschein ausgestellt und gesagt, dass er auch damit durchkommen würde, weil dies ja keine Urkundenfälschung sei. Den gefälschten Führerschein habe er aus dem Internet, weil er ja habe "sichergehen" wollen. Er sei ja überhaupt kein Reichsbürger. Auch die Unterlagen, die er übersandt habe, habe er lediglich aus dem Internet ausgedruckt. Dies alles sei überhaupt ein Missverständnis.

Darauf angesprochen, dass er vor der angeklagten Tat - und ja auch noch einmal danach- mit entsprechendem Vorgehen aufgefallen sei und dass sich aus den beigezogenen Akten der alten Verfahren ein ähnliches Muster ergebe, brach der Arme sogar in Tränen aus und schwor, sich zu bessern.

Da der Angeklagte im Übrigen ja geständig war, war die Beweisaufnahme schnell beendet und ich sprach, nach den Plädoyers der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten, mein Urteil: 10 Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung.

Und da zeigte der Angeklagte sein wahres (ziemlich hässliches) Gesicht: Er schrie wie wahnsinnig, dass er sich von einem Angestellten dieser BRD GmbH nicht in den Knast schicken lassen werde. Er werde uns alle anzeigen. Er werde bis zum EuGH gehen. Er trat gegen den Tisch und ließ sich nur von den Wachtmeistern beruhigen.

Und dann machte der liebe Herr noch einen kleinen Fehler: Er schrie, dass er nun abtauchen werde und dass er alles "auf Band" habe. Dies führte zu einer sehr schnellen und unkomplizierten Einleitung eines weiteren Strafverfahrens, der Durchsuchung des Angeklagten und alsbald zu einem Antrag auf Erlass eines erneuten Haftbefehls wegen Fluchtfgefahr.

So durfte der liebe Herr die Zeit bis zu seiner Berufungsverhandlung in der JVA verbringen, um sich weiterhin läutern zu lassen. Inwieweit diese Läuterung eintreten konnte, entzieht sich leider meiner Kenntnis.

Aber das Verfahren hinterließ bei mir einen starken Eindruck und war mir auch eine wichtige Lehre. Es wird mir nicht passieren, dass ich diese Menschen und die von ihnen ausgehende Gefahr unterschätze.

Menschen, die den Rest der Bevölkerung für "hörige Schlafschafe" halten, die die "Wahrheit" nicht erkennen würden, sind keine Helden, Freiheitskämpfer oder Genies, sondern gefährliche Egoisten, die in einer Welt leben, in der nur ihre Sicht der Dinge zählt. Und ihre Sicht folgt ihrem Wunschdenken mehr als dem gesunden Menschenverstand.

Tja und wenn ich nun am Ende dieses Textes so darüber nachdenke, dann kommt mir diese Denkweise auch im aktuellen Pandemie-Kontext durchaus bekannt vor…