„Philanthropie“, das ist in buchstäblicher Übersetzung die „Menschenfreundlichkeit“. Verstanden werden darunter zumeist finanzielle Zuwendungen von hinreichend bemittelten Gönnern, die diese ihre Mittel nun für den „guten Zweck“ einsetzen. Und als solcher Philanthrop #1 hat sich spätestens im Zuge der Pandemie Bill Gates hervorgetan, aber er ist nicht der einzige.

Für eine ganz andere Generation steht nämlich der Youtuber Mr. Beast, Jahrgang 1998. Über die Werbeeinnahmen von Youtube zu Reichtum gelangt verteilt „Herr Beast“, bürgerlich Jimmy Donaldson, diesen mal unter zufällig ausgewählten Personen, mal unter den Armen und Bedürftigen – und generiert mit den zugehörigen Videos weitere Klicks und Likes auf seinem nahezu 60 Millionen Abonnenten starken Kanal. Kürzlich hat er einen weiteren Kanal ins Leben gerufen, der sogar den expliziten Titel Beast Philanthropy trägt. Von seinen Fans wird er mithin als gutes, moralisch einwandfreies Exemplar Mensch, ja, als Anwärter auf den Nobelpreis gefeiert.

Leben und leben lassen. Wer gerne gönnt, dem sei dies vergönnt. Wenn sich jemand über derartige Aktionen als besonders menschenfreundlicher Zeitgenosse hervortun will, muss er sich aber die Frage gefallen lassen, ob das Gute, welches auf allzu monetäre Weise in die Welt gelangt, die Zwielichtigkeit des Reichtums übertrifft, welcher hierfür die notwendige Voraussetzung darstellt. Wie man sich zu dieser Frage stellt, hängt naturgemäß davon ab, wie man sich zu Geld und Reichtum überhaupt stellt.

Unternehmer wie Bill Gates werden gerne als „Macher“ zelebriert, die aufgrund ihres Mutes und unermüdlichen Einsatzes – und sicher einer gewissen Portion Glück – rechtmäßig zu ihrem Reichtum gelangt sind. Das sollte jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass dieser Reichtum in keinem Verhältnis stehen kann zu der real von ihnen erbrachten Arbeitsleistung: Bill Gates mag in seinem Leben doppelt, dreifach oder dutzendfach so viel geschuftet haben wie ein durchschnittlicher Arbeiter, aber eben nicht hundertfach oder tausendfach. Hätte man ihn mit 18 Jahren allein in der Wildnis ausgesetzt, hätte er sich vielleicht einen ansehnlichen Selbstversorger-Hof mit diversen Extras errichtet, aber niemals wäre er so reich, wie er in seinem realen Umfeld geworden ist. Irgendwo lag für ihn das Geld also doch auf der Straße, und er war lediglich derjenige, welcher sich gebückt hat, um es aufzuheben. Eventuell hing es auch an einem morschen Ast über einem gefährlichen Abgrund und er war derjenige, welcher sich traute, dorthin zu klettern – es mag sein, dass unser Milliardär besondere Risiken in Kauf nahm –, aber so oder so war das Geld im übertragenen Sinne bereits da.

Wenn man den Stundenlohn als Maß aller Arbeit für allzu engstirnig hält, könnte man einwenden, dass Gates mit dem, was er aufgebaut hat, der Menschheit einen großen Dienst erwiesen habe. Hierdurch käme aber eine gewisse Doppeldeutigkeit ins Spiel, gegeben dadurch, dass in der Betriebswirtschaft nunmal ein Konsens der Eigennützigkeit verbreitet ist: Ist das herrschende Wirtschaftssystem wirklich so famos, dass grenzenlose Profitmaximierung nicht nur für Gates selbst, sondern auch für die Menschheit insgesamt das Beste darstellen kann? Können Egoismus und Altruismus hier wirklich identisch sein? Was ist mit den Kritikpunkten an Microsoft und an seiner Stiftung? Tat Gates alles, was er tat, weil er sich im Bewusstsein seiner humanitären Mission gewiss war, dass der „gute Zweck“ für die Menschheit – Windows, Microsoft, Technik für alle – im Zweifelsfall die Mittel heiligt? Oder war es doch eher eine gewisse Ellbogenmentalität, die ihn hierzu verleitete? Welches Verdienst kommt wirklich Gates selbst zu, und welches eher seinen Beschäftigten oder Dritten?

In irgendeiner Weise sind Milliardäre immer Profiteure des Systems, welches ihnen diesen Reichtum gewährt hat. Gesetzt, dass dieses System ungerecht ist, dass unter ihm etwa weniger bemittele Bevölkerungsschichten in anderen Weltregionen unverhältnismäßig zu leiden haben, erweckt Philanthropie dann den Anschein, eine Art Ablasshandel für das eigene Gewissen zu bedeuten. Nehmen wir zudem an, dass übermäßiger Reichtum eine Art Diebstahl ist, wirkt der Philanthrop zunehmend wie ein Halbstarker auf dem Schulhof, der seinen kränklichen Klassenkameraden um zehn Euro erleichtert, um ihm schließlich öffentlichkeitswirksam fünf oder meinetwegen neun Euro zurückzugeben. Angesichts von Gates' mannigfachen Aktivitäten erhebt sich auch stets die Frage, inwiefern er damit auf politische Einflussnahme, auf Macht durch die Dankbarkeit, die „Schuld“ Anderer abzielt.

Mr. Beast hat die Philanthropie schließlich selbst zum Geschäftsmodell gemacht: spenden, um reich zu werden, um noch mehr zu spenden, um noch reicher zu werden. Was ist hier überhaupt noch „Mittel“, was ist „Zweck“? Geht es ihm nun primär um das Spenden, oder um seinen eigenen Reichtum? Sein neuer Kanal wartet mit dem Slogan auf, dass alle Einnahmen in die Spenden fließen, doch diese dienen ihm ja selbst wieder als Kapital. Beides verschwimmt schließlich ineinander, wird ununterscheidbar, doch eben deshalb kann wohl festgehalten werden: In jedem Fall geht es um Geld. Und dieses wurde in wesentlichen Teilen von denjenigen Unternehmen erwirtschaftet, die auf Youtube die Werbung in Beasts Videos schalten.

Philanthropie geht insofern davon aus, dass das Geld, welches sie für ihre Zuwendungen nutzt, grundsätzlich „sauber“ statt „schmutzig“ ist. Sie reproduziert das bestehene Geldsystem mit all seinen zugehörigen Strukturen, indem sie von der Möglichkeit ablenkt, dass dieses System zu den Ursachen der Probleme zählt, welche sie zu beheben gedenkt. Das System ist freilich komplex. Doch wenn wir auch nur von der Möglichkeit ausgehen, dass es tiefgreifende Probleme mit sich bringt, dann birgt Philanthropie gesamtgesellschaftlich die Gefahr, zum Blendwerk zu verkommen – seien die Handlungen ihrer Akteure auch noch so „gut gemeint“. Was Mr. Beast angeht, liegt das Problem nicht unbedingt in den vergleichsweise bescheidenen Beträgen, es liegt auch nicht in Herrn Beast selbst: Vor allem zeigt es sich in der riesigen Fanbase derjenigen, die sich so bereitwillig von dem Getue blenden lassen.

Bild: „White empty Plate with piece of Cake Leftovers and Fork“ von Marco Verch, Lizenz: Creative Commons 2.0

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