Serien-Kritik Liest man den Star Wars Kosmos als Parabel der amerikanischen Epoche, erweist sich das neueste Serienprodukt aus dem Hause Disney als erstaunlich konsequent.
Kaum eine Serie der letzten Zeit habe ich mit größerer Aufmerksamkeit verfolgt wie die Star Wars Serie „Andor“. Im Krisenmodus des Jahres 2022, der uns nicht nur Krieg und Inflation zurückbrachte, sondern auch den Beginn eines großen hegemonialen Konfliktes zwischen den USA und China, scheinen sich auch die Koordinaten der kulturellen Selbstvergewisserung verschoben zu haben. Und kaum eine andere Serie brachte dieses neue Zeitgefühl der Verunsicherung besser auf den Punkt wie „Andor“.
Im Verzicht auf jegliche „Superkräfte“ bietet die Serie gewissermaßen die Antithese zur Macht der Jedi-Ritter und all den Marvel- und DC-Superhelden. Jenes darin symbolisierte amerikanische Selbstbewusstsein, das sich im Bewusstsein des beginnenden Abstiegs schon längst kompensatorisch zu Hybris und Größenwahn ausgewachsen hat, bekommt ein realistisches Ernüchterungsprogramm verpasst.
Dabei bleibt die Serie geschickt ambivalent in ihren Konstellationen. So spielt das „Imperium“ in seiner Uniformität, seinem totalitären Überwachungsstaat und seinen Arbeitslagern einerseits unmissverständlich auf China an. Doch gleichzeitig erinnert die elitäre Machtdynamik des Kommandierenden des Imperiums mit seiner verbissen ehrgeizigen Entourage auch an die libertären Kulturen der Silicon Valley Milliardäre. Und die wirtschaftliche Elite in ihren Palästen scheint ebenso gespalten zwischen Opportunismus mit der imperialen Macht und seinen finanziellen Füllhörnern und einem idealistischen Weltverbesserungsheroismus mit diffusen Motiven wie die aktuelle amerikanische Gesellschaft.
Asynchronität
Angeblich gibt es ja eine Chronologie der Star Wars Welt, die mit der sogenannten „Prequel-Trilogie“ von 1999-2005 beginnt und mit der „Sequel-Trilogie“ von 2015-2019 endet. „Andor“, das selbst wiederum ein Prequel zum Film „Rogue One“ ist, ordnet sich vor dem Beginn der mittleren originalen Trilogie von 1977-1983 ein. Diese „Timeline“ mag in Bezug auf die Handlung und ihre Protagonisten zutreffend sein, doch in Wahrheit spiegelt jeder Film den Zeitgeist seiner Entstehungszeit.
Als der erste Film „Krieg der Sterne“ 1977 in die Kinos kam, war die erste Generation der nach dem 2. Weltkrieg geborenen gerade dabei erwachsen zu werden. Die Amerikaner konnten darin ihren Kindern davon erzählen wie sie die Nazis geschlagen und damit die Welt gerettet haben, idealisiert in einer schlicht Schwarz Weiß gehaltenen Erzählung vom bösen Imperator und den guten Jedi-Rittern. Und ironisiert mit Screwball-Elementen, die von der Gewissheit des historisch beglaubigten guten Endes zeugten.
Vor allem die ersten beiden Filme bestachen, am Ende der Jimmy Carter Ära, durch die John-Boy-hafte Naivität ihres Protagonisten Luke Skywalker auf der Suche nach seiner Bestimmung, der mit seiner Familie auf Tatoine in einer tribalen Wild-West-Gemeinschaft lebt. Er war noch jener gutmütig idealistische „all american boy“, der der „american democracy“ 1945 zum Sieg verholfen hatte.
Der orchestrale Score von John Williams wiederum, der mit seiner Anknüpfung ans europäische 19. Jahrhundert eigentlich in diesem Kontext zunächst als deplatziert hätte wirken können, erwies sich als perfektes Amalgam im Kontext der amerikanischen Selbstverortung.
Williams‘ wichtigster Anknüpfungspunkt war Gustav Holsts „The Planets“, einem Komponisten der nicht nur Churchills Zeitgenosse war sondern auch jenes angloamerikanische „gilded age“ des frühen 20. Jahrhundert, Amerikas Aufstieg zur Weltmacht, repräsentierte. Eben diese Mixtur aus amerikanischer Naivität und einer idealistischen Aspiration zu alter europäischer Kultur, die auch in den Mentor-Figuren Obi Wan und Yoda durchscheint, erwies sich als ungemein wirkungsvoll.
Doch schon im dritten Film „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ spürte man etwas vom kleinkindhaften Wall-Street Übermut, der die amerikanischen 80er Jahre prägen würde und dessen Protagonist Donald Trump uns bis heute verfolgt. Der Humor bekam eine immer infantilere Schlagseite und die knuddeligen Ewoks waren ein erster Triumph von „Franchise“ und „Merchandise“, der die amerikanische Unterhaltungskultur bis heute prägt (auch Baby-Yoda aus der Star Wars Serie „The Mandalorian“ muss jetzt in der dritten Staffel zurückkehren, da Disney auf ein so gutes Geschäft einfach nicht verzichten kann).
Als George Lucas gegen Ende des Millenniums, zu diesem Zeitpunkt bereits Inhaber eines milliardenschweren Imperiums, seine Prequel Trilogie entwarf, versuchte er erneut das Alte mit dem Neuen zu verbinden. Er griff die zentralen Figuren der originalen Filme erneut auf und versuchte sie neu zu kontextualisieren. Die Infantilitätsschraube wurde noch eine Windung weiter gedreht und die Tricktechnik, die seitdem gewaltige Fortschritte gemacht hatte, sollte neue Maßstäbe setzen. Gleichzeitig versuchte er an den dystopischen Zeitgeist der neueren Science Fiction Filme der 80er und 90er Jahre von „Alien“ über „Blade Runner“ bis zu „Terminator“ anzuknüpfen.
Doch ging die Rechnung nicht auf. Lucas hatte nicht nur als Autor zu wenig Begriff von Historie um den Aufstieg des Faschismus (sprich Imperiums), das der Chronologie nach das Thema dieser Trilogie sein sollte, glaubhaft darzustellen. Im Jahrzehnt vom „Ende der Geschichte“ und dem Glauben an den ultimativen Triumph der Demokratie, schien dieses Szenario auch ferner denn je. Entsprechend rührten die dystopischen Ängste dieser Epoche und der genannten Filme nicht an gesellschaftliche oder hegemoniale Konstellationen, sondern an Ängsten vor einer modernen Technik, die unkontrollierbare Maschinen oder genveränderte Monster-Kreaturen hervorbringt.
Yoda und Obi Wan der Prequel-Trilogie hatten nichts mehr mit den Figuren der älteren Filme gemein. Yoda wirkte wie der CEO eines Unternehmens, der den Wandel der Zeit verpasst hat und nur noch fragwürdige Entscheidungen trifft. Und Obi Wan wie ein Ivy-League-Professor, der nichts lieber möchte als von seinem Studenten Anakin Skywalker geliebt zu werden. Jeder spirituelle und metaphysische Idealismus war verschwunden und durch einen modernen amerikanischen Pragmatismus ersetzt, dessen idealistischen Ambitionen immer nur so weit reichen solange sie dem individuellen Narzissmus und den kapitalistischen Interessen nicht im Wege stehen.
Selbst auf technischem Gebiet musste George Lucas eine Niederlage einstecken. Denn obwohl Lucas mit seiner Firma ILM lange Zeit Vorreiter der digitalen Tricktechnik gewesen war, wurde er von der „Matrix“-Trilogie (1999-2003) links überholt, wenn auch eher dadurch, dass die Wachowskis es besser verstanden, die Limitationen der frühen CGI Technik mit stilistischer Allüre zu verbrämen. Gleichzeitig hatte es die Matrix Trilogie geschafft, der Maschinendystopie einen orginellen, gleichermaßen technizistischen wie metaphysischen Spin zu verleihen, demgegenüber die Star Wars Klon-Armeen geradezu altbacken wirkten.
Der Verkauf von Lucasfilm an Disney im Jahr 2012 für 4 Milliarden US Dollar markierte einerseits den Höhepunkt der Karriere des Geschäftsmanns George Lucas, der aus bescheidenen Anfängen ein Geschäftsimperium aufgebaut hatte. Und war doch gleichzeitig ein Ausverkauf aller Ideale, und metaphorisch der Übertritt zur dunklen Seite der Macht. Denn exakt zu jener Zeit entwickelte der Konzern mit dem Aufkauf aller großen „Franchises“ von Marvel über Lucasfilm bis zu 20. Century Fox (die Camerons „Avatar“ Filme produzieren) eben jene Tendenz zum Totalitarismus, der der Fluch aller Imperien ist.
Mit der Ära von George W. Bush, in der demonstrativer Idealismus und hintergründige Machtinteressen auf immer fadenscheinigere Weise vermischte wurden, war auch Amerikas Integrität brüchig geworden. Immer unverhohlener zeigten sich seine imperialen Züge. Dass die Sequel-Trilogie dann mit dem Auftritt von Donald Trump zusammenfiel, der die imperialistische Ideologie von „America first“ schließlich völlig ungeniert in alle Welt twitterte, war kaum verwunderlich.
Die Sequel Filme waren denn auch üble kommerzielle Machwerke, denen jeder idealistische oder historisch allegorische Horizont vollkommen abhandengekommen war. Dagegen wurde einem in cleverer kapitalistischer Wiederverwertungsmanier ein Remake der originalen Trilogie präsentiert, aktuell aufgehübscht mit politisch korrekter Besetzung und populärem Marvel Humor. Jede Vorstellung von künstlerischer Autonomie hatte sich in einem konsumistischen „Fan Service“ aufgelöst, der einen hostessenmäßig ständig fragt: ist das nicht genau das, was Du Dir gewünscht hast? Dass am Ende der Imperator als Klon wiederkehrte, war dann fast eine unfreiwillig treffend Metapher auf die kreative Impotenz der Macher, die nur noch über künstliche Reproduktion kreativ werden können.
Ebenso unfreiwillig reflektierte die Star Wars Produktion des Disney Konzerns die aktuellen Grabenkämpfe innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. Waren die Sequel-Filme und die Obi Wan-Serie Kampfansagen der demokratisch progressiven Woke-Kultur, die die männlichen Star Wars Fans immer lauter aufjaulen ließen, bietet eine andere Fraktion mit den animierten Serien und „The Mandalorian“ der republikanischen Fraktion die gute alte Cowboy Mythologie, in der der originale Luke Skywalker denn auch einen gloriosen Auftritt hatte.
Rebellen im Disney Imperium
Die wenigsten hatten damit gerechnet, dass aus diesem Moloch nochmal etwas Ernstzunehmendes hervorgehen könnte. Umso erstaunter war man dann von der „Andor“ Serie, die langsam und unspektakulär begann, einen dann doch immer mehr in diesen Kosmos hineinzog, und, was vielleicht das erstaunlichste ist, viel erwachsener als selbst die originale Trilogie wirkte.
Dem Schwarz-Weiß der Star Wars Welt sind plötzlich viele Grautöne unter gemischt. Auch unter den Rebellen gibt es korrupte Egoisten und selbst Cassian Andor ist eher ein Opportunist, der sich nach dem Tod seiner Ziehmutter mehr aus psychologischen Gründen als aus idealistischen Motiven den Rebellen zuwendet, um die Leerstelle, die diese hinterließ mit etwas zu füllen. Der Führer der Rebellen Luthen Rael ist ebenso kein reiner Gutmensch sondern ein harter Pragmatiker, der auch Cassian Andor hätte töten lassen, wenn dieser zum Sicherheitsrisiko geworden wäre. Fast noch interessanter sind die Frauenfiguren, die das stille, pragmatisch idealistische Zentrum der Rebellion bilden.
In vielen Fan-Foren hört man, „Andor“ sei nicht mehr Star Wars, womit dann meist die originale Trilogie gemeint ist. Das ist natürlich vollkommen richtig. Es kann es nicht sein, weil das Amerika von heute nicht mehr das von vor einem halben Jahrhundert ist. Und wer auf der Höhe der Zeit sein will, sich mit den aktuellen dunklen Versuchungen auseinandersetzen muss. Wie stark jedoch das Verlangen nach der Droge Nostalgie ist zeigt etwa der fantastische Erfolg von „Top Gun Maverick“, der eben jene trügerische Illusion bedient die Welt habe sich im Prinzip nicht verändert.
Das Schicksal von Imperien
Wer sich ein wenig mit Geschichte beschäftigt, dem ist vollkommen klar, dass, von den antiken Imperien in Ägypten, Persien, Griechenland, Makedonien und dem römischen Reich, bis hin zu den europäischen Imperien bis zum 2. Weltkrieg, diese Dynamik eines „rise and fall“ immer und immer wiederkehrt. Was an der Star Wars Erzählung exemplarisch und universal ist, ist eben jener „shift of empires“ samt seinen ideologisch polarisierenden Ausrichtungen von altem bösen Imperium und neuen guten Rebellen, die man auch in allen historischen Konstellationen wiederfinden kann.
Doch gleicht kein Fall dem anderen, dazu ist die Welt zu komplex. Nicht nur spielen immer auch zahlreiche sekundäre Faktoren - technologische, ökonomische und gesellschaftspolitische - in solchen Konflikten eine, oft richtungsentscheidende Rolle. Auch vollziehen sich solche Ereignisse oft parallel in verschiedenen Territorien. So überschnitten sich die verschiedenen europäischen imperialen Zyklen der letzten 500 Jahre von Spanien über Frankreich, England, Deutschland und Russland zu großen Teilen, was dann oft zu einer volatilen „multi-body“-Dynamik führte. Der aktuell in der Ukraine ausgetragene Konflikt wiederum ist aus Sicht der USA gleichzeitig ein Nachspiel des „cold war“ mit Russland, und gleichzeitig der Beginn eines hegemonialen Konfliktes mit der neuen Weltmacht China.
Wobei das Schicksal aller Imperien ist, dass sich der Idealismus, der ihnen am Beginn zum Sieg und Aufstieg verhalf durch wachsende Macht und Wohlstand korrumpiert wird und sie früher oder später jener „dunklen Seite“ anheimfallen. Die Tragik ist, und in eben dieser Situation befinden sich die USA im Moment, dass man sich eben das nicht eingestehen möchte. Diese Ambivalenz und dieses latente Unwohlsein fängt „Andor“ sehr gut ein.
Die Erinnerung von Geschichte, in der medialen Öffentlichkeit gleichermaßen wie in der künstlerischen Vergegenwärtigung, spielt für das kollektive Bewusstsein eine nicht zu unterschätzende Rolle. So ist im aktuellen Ukraine Konflikt nicht zu übersehen, dass insbesondere Joe Biden und Boris Johnson sich als Roosevelt und Churchill imaginierten und Putin immer wieder mit Hitler und die zögerliche Haltung des Westens mit der Appeasement Politik verglichen wird. Allerdings passiert auf russischer Seite exakt dasselbe: mit dem Nazi-Vokabular und der Beschwörung von Stalingrad.
Tatsächlich ist im Moment vollkommen offen, ob wir einen show-down des kalten Krieges erleben werden. Oder eine Rebellion der zweiten und dritten Welt unter Chinas Führung gegen die erste, den USA und dem Westen. Nur eines ist vollkommen sicher: das Heute wird nicht wie das Gestern sein.
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