Liberalen wird gerne nachgesagt, dass sie die Freiheit des Einzelnen lieben und im Zweifel immer gegen jegliche Form von Zwang handeln. Besonders in der BRD wird mit dem Begriff nicht nur ein Ideal formuliert, in der die Freiheit des Einzelnen die Freiheit des Anderen bedingt, sondern auch parteipolitisch die bundesdeutsche Regierung gestellt, in der die selbsternannte Gralshüterin des politischen Liberalismus, die Freie Demokratische Partei (FDP), immer wieder mit Forderungen stellt, die eigentlich daran zweifeln sollte, ob das noch irgendetwas mit Liberalismus zu tun hat. Doch anders als stets kolportiert, ist der politische Liberalismus alles andere als eine entideologisierte Strömung, sondern vertritt wie jede andere Ideologie entsprechende ökonomische, gesellschaftliche und teils moralische Interessen, die seit dem Ende des zweiten imperialistischen Weltkriegs als gemeingültiges Mantra herhalten muss. Spielereien zwischen einem vermeintlich „linken“ und einem vermeintlich „rechten“ Flügel, die sich lediglich in Nuancieren unterscheiden und den Kern nicht negieren, sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich in letzter Konsequenz um eine Strömung handelt, die ohne den Kapitalismus und sein Endstadium, der Imperialismus, nicht gedacht werden kann.

Doch verbleiben wir beim Freiheitsbegriff der Liberalen in der Bundesrepublik. Die Rolle des (bürgerlichen) Staates spielt in jener Interpretation eine bestimmte Rolle, die in ihrer Konsequenz jedoch erstaunlich widersprüchlich erscheint. Horcht man den Berufspolitiker:innen der FDP, besonders den Lindners und Wissings, wird stets eine Freiheit heraufbeschworen, die zwischenmenschliche Interaktionen nicht als notwendige Bedingung begreifen, sondern als notwendiges Übel. Die fast schon metaphysische Betonung der Individualität verkennt den dialektischen Prozess, denn das Individuum erst zum Individuum macht. Das heißt: Der Einzelne kann nur dann als Einzelner wahrgenommen werden, wenn er als Teil eines Gesamten auftritt, das ihm erst die Möglichkeit erschafft, individualisiert zu werden. Dabei ist es alles andere als falsch, sich auf das Individuum zu beziehen. Doch es entsteht dabei nicht nur eine philosophische, sondern auch eine sozioökonomische Diskrepanz, wenn das Kollektiv nicht gleichbedeutend aufgegriffen und eingeordnet wird. Was damit genau gemeint ist, haben die vermeintlichen Freien Demokrat:innen in den vergangenen Tagen gleich zweimal hervorragend dargestellt: einen Angriff auf das Klima sowie auf die Mehrheit der Gesellschaft. Was geschah genau? Trotz der menschengemachten Klimakatastrophe, die immer mehr Kipppunkte überschreitet, fordert ein Papier der FDP ein Rückbau von Fahrradwegen und Trottoirs, dafür mehr Zugänge für den Individualverkehr, primär das Auto – und das freilich kostengünstig. Im selben Atemzug attackiert der Fraktionsvorsitzende der FDP Christian Dürr das ohnehin schon viel zu niedrige „Bürgergeld“ und fordert eine Senkung der Leistungen um bis zu 20 Euro.

Der Grund? Freiheit! Besser: die Freiheit derer, die sich die Freiheit leisten können. Denn freilich profitieren von mehr Parkplätze und weniger Sozialleistungen nicht die Mehrheit der Gesellschaft, sondern die politische Klasse derer, die jene Forderungen erst in den Raum stellen. Und hier bricht der selbstdefinierte Freiheitsbegriff in sich zusammen. Für die FDP geht es nämlich auch um Entscheidungsfreiheit. Das Problem hierbei ist jedoch, dass eine Entscheidungsfreiheit erst dann möglich ist, wenn jeder den Zugang zur Entscheidung hat. Zusätzlich wird die Entscheidung manipuliert, in dem Möglichkeiten unterschiedlich gewichtet werden. Das wird besonders am Beispiel des sogenannten „Deutschlandtickets“ deutlich. Während laut den Liberalen kein finanzieller Spielraum besteht, um einen kostengünstigen – oder sogar kostenloser, Gott bewahre! – ÖPNV zur Verfügung zu stellen, sollen jene, die sich unglaublich teure Fahrzeuge für den Privatgebrauch leisten können, nicht nur steuerlich begünstigt, sondern haben nun auch noch die Freiheit, mehr Auswahl beim Parken zu haben. Und das schon längst widerlegte Argument, dass die Mehrheit der Bezieher:innen des „Bürgergelds“ „arbeitsfaul“ seien, verkennt die eigentliche Problematik dahinter: denn die Freiheit, sich für oder gegen die Arbeit zu entscheiden, existiert in dieser Logik nicht.

Rosa Luxemburg meinte einst gegenüber den Bolschewiki im Umgang mit anderen sozialistischen Kräften: „Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenken“ Übertragen auf die Liberalen der Bundesrepublik müsste man sagen: „Die Freiheit des Einzelnen ist immer die Unfreiheit der Gesamtheit“. Denn anders lässt sich das Dilemma jenes Freiheitsbegriffs auch gar nicht lösen. Für die FDP steht das Individuum über seinem Recht zu existieren; anders lässt sich das Festhalten an einem System, das für die regelrechte Zerstörung der menschlichen Existenz verantwortlich ist, nicht erklären. Der Liberalismus ist nur noch als moralische Strömung eine hübsche Spielerei in praktischer Philosophie, doch angewandt als politische und ökonomische Ideologie bedeutet sie den regelrechten Untergang der Menschheit. Entstanden aus den bürgerlich-demokratischen Revolutionen des 19. Jahrhunderts halten sich die Verfechter:innen jener Ideologie an einem Versprechen fest, welches sie nicht einlösen können. Will man die bürgerliche Verfassung der BRD beim Wort nehmen, müsste man den Liberalismus und ihre jeweiligen Organisationen als verfassungsfeindlich betrachten. Doch damit ist ebenfalls keine Welt gerettet. Der Liberalismus leitet das Ende der Menschheit ein – lassen wir nicht zu, dass er damit Erfolg hat.