Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) Uwe Janssens mahnte, Christian Drosten solle sich "heraushalten", seine Äußerungen zur Triage-Situation seien "unverantwortlich".
Was war vorgefallen?
Link zur Pressemitteilung:

Vorab der Wortlaut der Pressemitteilung vom 3.11 via @rponline:

Christian Drosten hatte sich am 30.11 zur Intensivbettensituation an der Charité geäußert und darauf hingewiesen, dass eine Überlastung drohe, was wiederum zu einer Triage-Situation führen könne. In diesem Rahmen hatte er auch erklärt, was Triage bedeutet:
.@c_drosten schildert die aktuelle #COVID19 Situation an der Charité und erklärt, was die zu erwartende #Triage bedeutet.
— Alex Beisenherz (@Belex70) November 1, 2020
Das Videozitat ist geschnitten, um die Twitter-Zeitvorgaben zu erfüllen. Der gesamte Vortrag v. 30.10 kann hier⏬ aufgerufen werden:https://t.co/WMCjHBpJ4g pic.twitter.com/xJEZbf40vZ
Drosten legte hier die Zahlen zugrunde, die bereits 2 Tage zuvor i.R. der Bundespressekonferenz der Intensivmediziner mit einer eindringlichen Warnung vom ärztlichen Centrumsleiter der Charité, Prof. Suttorp öffentlich bekannt gegeben wurden.
(2) Prof. Suttorp Bundes-PK v. 29.10 zur Lage der Intensivstationen: "Wir waren immer im exponentiellen Wachstum, jetzt wird es aber richtig flott"
— Alex Beisenherz (@Belex70) October 29, 2020
"Die gestrigen Beschlüsse waren richtig und wichtig und fällig, ich fand sie gar ein bisschen überfällig"
Videozitat 2min⏬ pic.twitter.com/u3FWGAPqa7
Aus verschiedenen Gründen ist die Kritik des Präsidenten der DIVI meiner Meinung nach nicht berechtigt:
a) Janssens war bei der Bundes-PK als Referent anwesend, war also über die öffentliche Warnung von Suttorp über die Charité-Situation, die Drosten aufgriff, informiert.
Leider wird die Stimme Prof. Suttorps im DIVI Tweet zur Bundes-PK am 29.10 nicht gleichberechtigt mit der der Kollegen Janssens/Kluge aufgeführt.
Prof. Dr. Uwe Janssens und Prof. Dr. Stefan Kluge heute live um 11:30 Uhr in der #Bundespressekonferenz zum Thema "Mediziner berichten zur aktuellen Covid-19 Situation auf den #Intensivstationen" https://t.co/HjMl4teskT pic.twitter.com/W557RhJZTi
— DIVI e.V. (@DIVI_eV) October 29, 2020
b) Die DIVI hat es versäumt interdisziplinär mit Epidemiologen zusammenzuarbeiten, um wichtige epidemiologische Parameter der Infektionsdynamik in Ihre Einschätzung der ITS-Kapazitäten mit einzubeziehen. Noch am 24.10 hieß es dort:
Eine Überlastung der intensivmedizinischen Kapazitäten ist derzeit nicht zu erwarten. Einen Engpass wird es allerdings - wie in jedem Winter - beim #Pflegepersonal geben. https://t.co/gDnfZF95d0
— DIVI e.V. (@DIVI_eV) October 24, 2020
Zum Glück rudert DIVI aktuell um und schlägt deutlich warnende Töne durch Ihren Vorsitzenden an. Das Wort "Triage" fällt hierbei nicht, die Maßnahmen durch die Bundesregierung werden aber deutlich befürwortet und der Tenor ist ähnlich.
Prof. Uwe Janssens im Interview @DeutscheWellehttps://t.co/nC7T72B3UW pic.twitter.com/ENuMCN0FcX
— DIVI e.V. (@DIVI_eV) October 30, 2020
Vor diesem Hintergrund bleibt die überzogene Kritik Janssens an Drosten völlig unverständlich. Zumal Herr Drosten seit Monaten im NDRinfo-Podcast vor genau dem 2. Welle-Szenario warnt, was wir jetzt haben.
Als ich diese Passage letzte Woche gesprochen habe, war mir noch nicht klar, wie sehr die gültigen Distanzierungsmaßnahmen jetzt von allen Seiten in Frage gestellt werden. Bei R = ca. 1 verbreitet sich das Virus unter der Decke der Maßnahmen weiter. Auch jetzt schon. https://t.co/FFfuCBeGEe
— Christian Drosten (@c_drosten) April 19, 2020
Es kann somit kaum Janssens Auffassung sein, die Einschätzung der pandemischen Bedrohungslage in Hinblick auf die ITS-Kapazitäten sei alleiniges Hoheitsgebiet von Intensivmedizinern.
Aber worum geht es denn dann?
Zitat Janssens: "Indem er auf diese Weise davor [Triage] warnt, macht er den Menschen unnötige Angst."
Dann frage ich mich (als Psychiater): Ist es die Aufgabe von Intensivmedizinern einzuschätzen, welche Form von gesellschaftlicher Angst nötig und welche unnötig ist? Ich würde mich freuen, wenn wir endlich die alte Mär von der unnötigen Angst zurücklassen könnten.
Angst ist einer der wichtigsten Regulatoren, wenn es um die Veränderung unseres Verhaltens geht. Ich haben mich mit einigen Kolleg:innen und Freund:innen über den Vortrag von Christian Drosten in Meppen unterhalten. Angst war hier NICHT das vorherrschende Gefühl. Es war eher Mitgefühl. Mitgefühl für die Menschen, denen das Schicksal der Triage widerfährt und Mitgefühl mit den Ärzt:innen und Pfleger:innen, die die Triageentscheidungen treffen müssen.
“I've hoped now, for six months, that it would never happen. That people would have understood the risk. And that people would have changed their habits for one year. Just to avoid that. But it's a failure of the solidarity between people in Belgium...”https://t.co/2zNTc3V1aH
— Kai Kupferschmidt (@kakape) November 2, 2020
Vermutlich ist Mitgefühl nach Angst der zweitgrößte Handlungsmotivator.
Von daher, lieber Herr Drosten, auch wenn es um Wissenschaft geht, hören Sie bitte nicht auf an unser Mitgefühl zu appellieren, damit uns dieses in schweren Zeiten der Pandemie nicht verloren geht.