Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) Uwe Janssens mahnte, Christian Drosten solle sich "heraushalten", seine Äußerungen zur Triage-Situation seien "unverantwortlich".
Was war vorgefallen?
Link zur Pressemitteilung:
Vorab der Wortlaut der Pressemitteilung vom 3.11 via @rponline:
Christian Drosten hatte sich am 30.11 zur Intensivbettensituation an der Charité geäußert und darauf hingewiesen, dass eine Überlastung drohe, was wiederum zu einer Triage-Situation führen könne. In diesem Rahmen hatte er auch erklärt, was Triage bedeutet:
Drosten legte hier die Zahlen zugrunde, die bereits 2 Tage zuvor i.R. der Bundespressekonferenz der Intensivmediziner mit einer eindringlichen Warnung vom ärztlichen Centrumsleiter der Charité, Prof. Suttorp öffentlich bekannt gegeben wurden.
Aus verschiedenen Gründen ist die Kritik des Präsidenten der DIVI meiner Meinung nach nicht berechtigt:
a) Janssens war bei der Bundes-PK als Referent anwesend, war also über die öffentliche Warnung von Suttorp über die Charité-Situation, die Drosten aufgriff, informiert.
Leider wird die Stimme Prof. Suttorps im DIVI Tweet zur Bundes-PK am 29.10 nicht gleichberechtigt mit der der Kollegen Janssens/Kluge aufgeführt.
b) Die DIVI hat es versäumt interdisziplinär mit Epidemiologen zusammenzuarbeiten, um wichtige epidemiologische Parameter der Infektionsdynamik in Ihre Einschätzung der ITS-Kapazitäten mit einzubeziehen. Noch am 24.10 hieß es dort:
Zum Glück rudert DIVI aktuell um und schlägt deutlich warnende Töne durch Ihren Vorsitzenden an. Das Wort "Triage" fällt hierbei nicht, die Maßnahmen durch die Bundesregierung werden aber deutlich befürwortet und der Tenor ist ähnlich.
Vor diesem Hintergrund bleibt die überzogene Kritik Janssens an Drosten völlig unverständlich. Zumal Herr Drosten seit Monaten im NDRinfo-Podcast vor genau dem 2. Welle-Szenario warnt, was wir jetzt haben.
Es kann somit kaum Janssens Auffassung sein, die Einschätzung der pandemischen Bedrohungslage in Hinblick auf die ITS-Kapazitäten sei alleiniges Hoheitsgebiet von Intensivmedizinern.
Aber worum geht es denn dann?
Zitat Janssens: "Indem er auf diese Weise davor [Triage] warnt, macht er den Menschen unnötige Angst."
Dann frage ich mich (als Psychiater): Ist es die Aufgabe von Intensivmedizinern einzuschätzen, welche Form von gesellschaftlicher Angst nötig und welche unnötig ist? Ich würde mich freuen, wenn wir endlich die alte Mär von der unnötigen Angst zurücklassen könnten.
Angst ist einer der wichtigsten Regulatoren, wenn es um die Veränderung unseres Verhaltens geht. Ich haben mich mit einigen Kolleg:innen und Freund:innen über den Vortrag von Christian Drosten in Meppen unterhalten. Angst war hier NICHT das vorherrschende Gefühl. Es war eher Mitgefühl. Mitgefühl für die Menschen, denen das Schicksal der Triage widerfährt und Mitgefühl mit den Ärzt:innen und Pfleger:innen, die die Triageentscheidungen treffen müssen.
Vermutlich ist Mitgefühl nach Angst der zweitgrößte Handlungsmotivator.
Von daher, lieber Herr Drosten, auch wenn es um Wissenschaft geht, hören Sie bitte nicht auf an unser Mitgefühl zu appellieren, damit uns dieses in schweren Zeiten der Pandemie nicht verloren geht.