Ich möchte Euch mal mitnehmen in einen Notarzteinsatz.
In unsere Realität. Was Corona für uns bedeutet. Warum wir der Gefahr nicht aus dem Weg gehen können indem wir einfach zuhause bleiben.

Es ist das, was NotärztInnen, NotfallsanitäterInnen, Gesundheits- und KrankenpflegerInnen, PolizistInnen, Feuerwehrleute im Umgang mit Covid-19 erleben, der Erkrankung die durch Corona verursacht wird.

Es geht um Luftnot, Angst, Gewalt und Corona. Und darum ob ihr in den nächsten Tagen Besuch empfangen wollt oder nicht.

Der Patient ist männlich, etwa „Mitte 40“ wie man so sagt. Er selber hat nur Kopfschmerzen, wird getestet, ist positiv. Er muss vor sechs Tagen in Quarantäne. Seit vorgestern ist er sehr müde. Am Vorabend ruft er den ärztlichen Notdienst. Er enthält Medikamente, bleibt zuhause. Morgens fühlt sich der Patient unwohl und ruft den Rettungsdienst. Nach Ankunft des RTWs krampft der Patient. Die Besatzung des RTW alarmiert einen Notarzt nach. In der Zwischenzeit sistiert der Krampf, der Patient kommt in den RTW.

Teile der Familie (bekannt positiv getestet) versammeln sich um den RTW. Als ich als Notarzt dazu komme ist die Familie sehr aufgebracht, sie sind zu Recht besorgt. Im RTW treffe ich auch einen sehr agitierten Patienten.

Der Patient möchte immer wieder aufstehen, kann aber nicht stehen bleiben. Er hat eine ausgeprägte Fallneigung nach rechts, die Bewegungen sind unkoordiniert und er kann das Gleichgewicht nicht halten. Er droht zu stürzen, wir stützen ihn, er wehrt sich.

Der Patient ist nicht führbar, er reagiert nicht auf unsere Ansprache.
Wir tragen Vollschutz, wir versuchen dem Patienten immer wieder eine FFP2-Maske aufzusetzen. Der Patient reißt sich diese ständig herunter und greift auch immer wieder nach uns.

Einem Kollegen wird dabei der Mundschutz abgerissen, einem anderen Kollegen reißt er den Schutzkittel ab.
Die Anlage eines Venenzugangs ist unmöglich, der Patient ist aggressiv und unkooperativ und nach wie vor nicht mündlich zugänglich.

Der Patient ist wie von Sinnen - gutes Zureden verpufft. Wir überlegen ob wir die Polizei dazu holen - entscheiden uns im Team dagegen weil wir nicht noch mehr Einsatzkräfte gefährden wollen.

Ich mache mir Sorgen um mein Team. Die sehr dünne Schutzausrüstung ist nicht dafür gedacht einem aggressiven Patienten zu widerstehen, der immer wieder versucht uns Teile der Schutzausrüstung zu entreißen. Der Patient toleriert seinen Mundschutz nicht, er hustet und schnauft.

So gut es geht sammeln wir schnell die Fakten.
Von dem Patienten geht eine akute Gefahr für uns alle aus, gleichzeitig gefährdet er sich selbst. Es muss davon ausgegangen werden, dass er nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt ist und deswegen auch selbst gefährdet ist.

Spätestens in der Klinik wird er Diagnostik benötigen (ein Thorax-CT, ggf. ein CT vom Kopf), das wird so nicht funktionieren.
Den hustenden, kämpfenden Patienten einfach so in die Klinik fahren?
Kein Konzept.

Er würde auf dem Weg dahin und in der Klinik weitere Menschen gefährden.
Ich versuche einen guten Plan zu machen.

Wir geben über die Nase die maximal zulässige Menge eines Beruhigungsmittels (2x5mg Midazolam, 2x50mg S-Ketamin!). Der Patient bleibt auch danach aufgedreht, wir haben große Probleme die Maske auf dem Gesicht des Patienten zu halten.

Der Patient und wir alle sind nassgeschwitzt.
Ich bitte also einen der Notfallsanitäter draußen (Aerosolschutz) eine Narkose vorzubereiten. Aber wie kriegen wir die Narkose in den Patienten?

Wir wiederholen die gleiche Dosierung in der Annahme, dass ein erheblicher Teil hinten an der Nase herunter gelaufen ist. Der Patient wird nun etwas ruhiger, die Anlage eines Venenzugangs ist aber weiter unmöglich. Immerhin gelingt uns die Fixierung seines Beins, ich gebe also eine lokale Betäubung, bohre einen Zugang in den Knochen. Ich gehe an den Kopf des Patienten und übernehme den Mundschutz und die Sauerstoffmaske.

Wir leiten die Narkose mit einem Schmerzmittel, einem Schlafmittel und einem Medikament zur Muskelentspannung ein. Der Patient beruhigt sich und fällt ins künstliche Koma, wir legen einen Beatmungsschlauch in die Luftröhre.
Jetzt endlich ist die Lage wieder unter Kontrolle.

Der Patient wird in die Klinik gefahren, dort zeigt sich später ein Schlaganfall.
Wir machen ein Debriefing, machen also eine detaillierte Nachbesprechung. Wir schreiben alles für die Berufsgenossenschaft auf, weil es sehr wahrscheinlich ist, dass wir uns angesteckt haben.

Theoretisch haben wir Schutzausrüstungen, nutzen einstudierte Prozeduren für das An- und Auskleiden. Alles um uns zu schützen. Es ist dabei schlicht nicht vorgesehen, dass der Patient zum Beispiel an unserer Schutzausrüstung reißt und das tragen einer Maske verweigert.

Als Arzt habe ich mich nie wirklich bedroht gefühlt und wenn doch war die Polizei zur Stelle. Jetzt werden wir von einem Virus bedroht.
Wir wissen nicht wen es wann wie heftig erwischt. Wir wollen helfen, auch in dem Wissen, dass wir uns damit ganz konkret selbst gefähren.

Wir kämpfen nicht am Schreibtisch gegen Corona sondern ganz vorne. Da wo eigentlich niemand hin will.

Als Zeichen des Respekts vor der Krankheit und dem Engagement aller Covid-BekämpferInnen wäre es ein Anfang wenn einfach jeder der kann an Weihnachten zuhause bleibt.

Bitte verzichtet auf jegliche (!) Besuche. Jeder Besuch - egal wie - heizt die Pandemie an.
Bleibt zu Hause und bleibt gesund.
Ach so. Und - frohe Weihnachten!