Von einem Stein der Weisen, dem lapis philosophorum, wie man früher sagte, haben sicher schon viele Menschen gehört, wobei mir immer noch aus der Faustlektüre der Schulzeit die Klage des Teufels über die gewöhnlichen Sterblichen in Erinnerung ist: „Wie sich Verdienst und Glück verketten, das fällt den Toren niemals ein, wenn sie den Stein der Weisen hätten, der Weise mangelte dem Stein.“ Vielleicht hat ihn jetzt jemand gefunden.

In den frühen wissenschaftlichen Bemühungen namens Alchemie haben die Menschen davon geträumt, das angesprochene Hilfsmittel finden zu können, um das, was sie edle Metalle nannten – Gold zum Beispiel – aus den unedlen Varianten – Blei zum Beispiel – zu gewinnen, wobei man genauer meinte, dass das Edle (auch das des Menschen) schon innen vorhanden ist und nur herausgeholt werden muss, um zu leuchten oder in der Welt tätig zu werden. Allgemein galt Alchemie als königliche Kunst, die Wertvolles hervorbringen sollte, wie etwa die Gesundheit eines Menschen, von der man ebenfalls annahm, dass die Fähigkeit dazu ihm angehört, dass sie in ihm steckt und man dabei helfen kann, sie ans Tageslicht zu befördern.  Zwar ist die alte Alchemie seit einiger Zeit von einer neuen Biochemie abgelöst worden, aber die von der modernen Wissenschaft zur Bekämpfung einer Krankheit gelieferten Medikamente wirken eher dadurch, dass sie diagnostizierte Fehlverläufe des Organischen korrigieren und weniger der Befreiung von unterdrückten Mechanismen des Gesundseins, dienen was aber auch der Fall sein kann.

Dieses Thema soll hier nicht verfolgt, dafür aber auf einen eleganten Gebrauch der Vorstellung von einem Stein der Weisen hingewiesen werden, die der amerikanische Physiker Frank Wilczek in seinem Buch „A beautiful question“ vorschlägt. Wilczek ist 2004 mit dem Nobelpreis für seinen Beitrag zum Verständnis des Standardmodells der Teilchenphysik ausgezeichnet worden, das er selbst lieber „Core Theory“ nennt und womit er eine physikalische Beschreibung der Welt aus ihrem Innersten heraus meint und die das Wesen der dort anzutreffenden Partikel erfasst – was immer damit gemeint sein kann. Auf dieses große Thema kommt es hier nicht an, dafür auf den schönen Gedanken von Wilczek, dem Periodensystem der Elemente, dessen Existenz aus dem Schulunterricht bekannt sein sollte, ein Periodensystem des Lichts an die Seite zu stellen, womit er die Farben meint, die sich in dem Spektrum zeigen, das weißes Licht hervorbringt, wenn es zum Beispiel durch ein Prisma geleitet wird. Es war Isaac Newton, dem um 1700 aufgefallen war, dass weißes Licht trotz aller theologischen Vorstellungen und Wünsche nicht rein in einem strengen Sinne ist. Physikalisch rein sind vielmehr die Farben, aus denen es besteht und die sich in seinem Spektrum zeigen, also Rot, Grün, Gelb und Blau, um nur die vier zu nennen, um die es im Leben am häufigsten geht. Wilczek erinnert seine Leser an die berühmte Entdeckung aus den 1920er Jahren, dass man am Himmel Galaxien beobachten kann, deren ausgestrahltes Licht eine Verschiebung zum Roten hin erkennen lässt. Daraus ist die Geschwindigkeit zu bestimmen, mit der sich der betrachtete Himmelskörper von der Erde fortbewegt, womit genauer die Sternengucker auf diesem Planeten gemeint sind, also die Menschen. Sie können mit ihrer Wissenschaft der Physik auch leicht zeigen, dass es umgekehrt eine Blauverschiebung gibt, wenn sich leuchtende kosmische Gebilde auf unsere Position in der Welt zubewegen. Und ohne dass man die Details dazu zu wissen braucht, kann man sich mit diesen Vorgaben klarmachen, dass die Astronomie in der Lage ist, im Periodensystem der Spektralfarben solche Umwandlungen des Lichts vorzunehmen, wie es die Alchemisten bei den Elementen erreichen wollten. Und mit diesem Gedanken kommt Wilczek zu dem wunderbaren Schluss, dass es für das Licht einen Stein der Weisen gibt. Es ist die Bewegung, wobei die Kombination aus Stein und Bewegung an die Beschreibung erinnert, mit der Bertolt Brecht erläutert, was der weise Laotse erfasst hat, dass nämlich das weiche Wasser in Bewegung mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt und das Harte unterliegt. Der Stein der Weisen siegt, weil er zur Bewegung wird. Ein umwerfender Gedanke, der nicht nur zeigt, wie Widersprüchliches zusammenfinden kann, sondern auch erkennen lässt, wie schön das Licht und seine Farben sind. Kein Weiser hätte sie besser machen können.

Übrigens – wenn gerade von Bewegung die Rede war, dann meint Wilczek damit konkret die äußerliche Bewegung eines Beobachters. Man kann das Konzept aber weiter fassen wie es der Ideenhistoriker Isaiah Berlin getan hat, wenn er „Die Wurzeln der Romantik“ frei legt und die Quintessenz der kulturellen Bewegung (!) mit diesem Namen in den Satz fasst, „es gibt nur Bewegung.“ Gemeint ist, es gibt kein festes Ich in seinem Innen, sondern es gibt den Menschen nur als eine schöpferische Form der Tätigkeit, um ein unentwegtes erschaffen seiner selbst oder eines Selbst und damit einen Beitrag zur Welt um ihn oder sie herum. Jeder Mensch muss (zu) sich finden und braucht dazu das Licht, mit oder in dem ihr oder ihm die Welt sinnlich zugänglich wird, wie es heißt. Sie ist dann aber nicht zu, sondern steht im Gegenteil offen. Mit dem Stein des Weisen bleibt das auch so. Das Leben strömt wie das Licht, und das eine will verstehen, was das andere hervorbringt.

Und noch etwas – der Stein der Weisen beim Licht ist eine äußere Bewegung. Die Suche nach sich selbst ist eine innere Bewegung. Mit ihr kommt das ganze Spektrum des Lebens zustande, das dann voller Farben ist und sich deswegen lohnt. Es gibt keinen festen Punkt, nirgends, und somit auch nicht das dazugehörige Grau des alltäglichen Einerleis. Es gibt nur das bunte und weite Feld der Möglichkeiten im Werden der Welt und im Leben der Menschen, im dem sich alles verbindet.

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